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       # taz.de -- Mietpolitik in Dresden: Zurück auf null
       
       > Dresden verkaufte 2006 alle kommunalen Wohnungen an Investoren. Die Stadt
       > spürte die Folgen und steuert jetzt um – indem sie baut.
       
   IMG Bild: Nicht nur Dresden wächst: sozialer Wohnungsbau in Jena
       
       Dresden taz | Nicht nur Dresden war elektrisiert, auch in der gesamten
       Bundesrepublik wurde der Vorgang im Jahr 2006 aufmerksam registriert: Dass
       eine Großstadt ihren kompletten kommunalen Wohnungsbestand verkauft, war
       einmalig. 48.000 städtischen Wohnungen gingen an den Immobilienkonzern
       Gagfah, hinter dem der amerikanische Heuschreckenfonds Fortress stand.
       
       Zu groß war die Verlockung, mit dem Netto-Erlös von rund einer Milliarde
       Euro die Stadt auf einen Schlag schuldenfrei zu stellen. Ihr erlagen neben
       CDU, FDP auch die Hälfte der damaligen Linksfraktion, die an diesem Streit
       zerbrach. Acht Linke stimmten gegen den Verkauf, ebenso die komplette
       Grünen-Fraktion, fast die gesamte SPD und das „Nationale Bündnis“.
       Christine Ostrowski, einst Frontfrau der Linken und eifrige Verfechterin
       des Verkaufs, war zu diesem Zeitpunkt bereits selber in der
       Immobilienwirtschaft tätig. Mittlerweile bekennt sie ihre Sympathien für
       die AfD.
       
       Fast auf den Tag genau elf Jahre danach plante der Dresdner Stadtrat für
       vergangenen Donnerstagabend einen Beschluss, um diesen Kurs zu korrigieren.
       Seit 2014 verfügen Linke, Grüne, SPD und Piraten über eine Mehrheit im
       Rathaussaal. Die Wiedererrichtung einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft
       ist seither einer der zentralen Punkte der Agenda dieses kooperativen
       Zweckbündnisses.
       
       Die Kurskorrektur fällt dennoch zunächst bescheiden aus. Die zu gründende
       städtische Tochtergesellschaft soll in einem ersten Schritt bis 2019 2.500
       Wohnungen bauen. Ein Gutachten empfiehlt für das Unternehmen die auch in
       anderen Städten übliche Rechtsform einer GmbH & Co KG. Sie hat den Vorzug,
       dass bei der vorgesehenen Einbringung städtischer Grundstücke keine
       Grunderwerbssteuer anfällt.
       
       Als Gründungskapital stellt die Stadt eine knappe Million Euro bereit. Für
       die ersten 800 Wohnungen wird ein Kapitalbedarf von insgesamt 113 Millionen
       Euro veranschlagt. Mit günstigen Baukosten von nur 1.900 Euro je
       Quadratmeter sollen künftige Mieter nicht mehr als 5,85 Euro Kaltmiete je
       Quadratmeter zahlen.
       
       ## Knapper Wohnraum zeigt sich in den Mietpreisen
       
       Rot-Grün-Rot folgt nicht nur einem Trend zur Rekommunalisierung, sondern
       zieht auch Schlüsse aus Dresdner Erfahrungen. Die Schuldenfreiheit hat sich
       mittlerweile als Legende erwiesen und man kann höchstens darüber streiten,
       wie viele Verbindlichkeiten die Stadt geschickt bei ihren Tochterfirmen
       versteckt. Schwerer wiegen die sozialen Folgen des damaligen
       Wohnungsverkaufs. Sie schienen seinerzeit in der Abwägung gegen den
       Milliardenerlös zweitrangig. Noch gab es einen Mietermarkt bei einem
       erheblichen Wohnungsleerstand. Der Immobilienhype rollte eben erst an,
       bevor er infolge der Weltfinanzkrise richtig aufdrehte.
       
       Für die Gagfah, die sich in Dresden nur um die Filetstücke kümmerte, ohne
       eigenes Zutun ein Riesengeschäft. Als sie 2015 vom Immobilienriesen
       Annington geschluckt wurde, der sich dann in Vonovia umbenannte, war eine
       2006 noch für durchschnittlich 35.000 Euro von der Stadt erworbene Wohnung
       bereits 65.000 Euro wert.
       
       Wegen Verstoßes gegen die 2006 vereinbarte Sozialcharta verklagte die Stadt
       die Gagfah 2011 auf eine Milliarde Euro Schadenersatz. Der Streit wurde in
       einem Vergleich beigelegt, der unter anderem höhere Investitionen in
       vernachlässigte Wohnungen vorsah. Zum Ärger der Mieter reizte die Gagfah
       die gesetzlichen Mieterhöhungsspielräume stets voll aus.
       
       Wie alle ostdeutschen Großstädte verzeichnete Dresden im vergangenen
       Jahrzehnt außerdem einen erheblichen Einwohnerzuwachs. Zu allem Überfluss
       wurden in den vergangenen 15 Jahren aber 7.900 Wohnungen abgerissen, was
       der Freistaat Sachsen auch noch mit 28,5 Millionen Euro gefördert hat.
       Privat neu gebaut wurde hingegen wenig, meist Eigentumswohnungen im oberen
       Preissegment. Der Wohnungsleerstand ist unter 2,5 Prozent gesunken. „Damit
       ist die Grenze zur Wohnungsnot erreicht“, schrieb die städtische SPD.
       
       Die Folgen dieser teils staatlich geförderten Wohnraumverknappung bekommen
       alle Dresdner im Mietspiegel zu spüren. Es mangelt für eine „besondere
       Bedarfsgruppe“, wie es im Amtsdeutsch heißt, an bezahlbarem Wohnraum,
       obschon die Durchschnittsmieten im Bestand mit knapp 6 Euro je Quadratmeter
       im Bundesvergleich noch moderat erscheinen. Die Aufschläge bei
       Neuvermietungen sind aber für jeden fünften Dresdner Haushalt unbezahlbar.
       61.000 haben wegen ihres geringen Einkommens Anspruch auf einen
       Wohnberechtigungsschein.
       
       ## Der Marktbeeinflussungseffekt könnte gering sein
       
       Die Steuerungsmöglichkeiten der Stadt sind ohne eine eigene Gesellschaft
       minimal. Bei der Gagfah-Nachfolgerin Vonovia besitzt sie lediglich
       Belegungsrechte für 10.000 Wohnungen, die aber nicht zu einem gestützten
       Mietpreis unterhalb der Marktwerte vermietet werden. Überdies laufen diese
       Belegungsrechte im Jahr 2026 aus – ein Argument für eine eigene
       Wohnungsgesellschaft.
       
       Den Bedarf an günstigen Wohnungen bestreitet auch CDU-Bauexperte Ingo
       Flemming nicht. Schließlich wollte sein Parteifreund und Innenminister
       Markus Ulbig als Kandidat für das Dresdner Oberbürgermeisteramt 2015 schon
       einmal 5.000 kommunale Wohnungen bauen. Von einem Wohnungsproblem aber mag
       Flemming angesichts des Angebots im sanierten Plattenbau und der
       durchschnittlichen Bestandsmieten nicht sprechen. „Vieles ist nur
       herbeigeredet“, sagt er. Außerdem bleibe der Marktbeeinflussungseffekt
       einer neuen, kleinen WOBA bei insgesamt fast 300.000 Wohnungen in Dresden
       gering.
       
       Vertreter der Rot-Grün-Rot-Fraktionen hoffen trotzdem auf einen Erfolg.
       Berechtigte Hoffnungen auf Fördermittel kann sich die Stadt zumindest nach
       der neuen Sozialwohnungsbau-Richtlinie des sächsischen Innenministeriums
       schon mal machen.
       
       2 Mar 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Michael Bartsch
       
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