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       # taz.de -- Korruption in Regensburg: Eins plus x Beschuldigte
       
       > Der Oberbürgermeister erst in Haft, nun suspendiert: Regensburg sieht
       > sich mit Bestechungsvorwürfen konfrontiert.
       
   IMG Bild: Donaustadt mit Weltkulturerbe und begehrtem Baugrund: Regensburg
       
       Regensburg taz | Das Alte Rathaus ist ein trutziges Gebäude, Teile davon
       stammen aus dem 13. Jahrhundert. Sitz des Immerwährenden Reichstags bis
       1806. Die Oberbürgermeister der Stadt nutzen das Haus noch heute als
       Amtssitz. Im ersten Stock befindet sich hinter einer wuchtigen
       Massivholztür das Zimmer Nummer 9. Auf einem Schild steht:
       Oberbürgermeister Joachim Wolbergs.
       
       Doch der OB ist nicht da. Sechs Wochen lang, seit dem 18. Januar, hat er im
       Gefängnis, gesessen. Untersuchungshaft wegen Verdunkelungsgefahr. Und mit
       ihm sein enger Vertrauter, der Bauunternehmer Volker Tretzel, in Regensburg
       die Nummer eins der Branche.
       
       In der Stadt an der Donau ist der mutmaßlich größte kommunale Bestechungs-
       und Spendenskandal der Republik aufgeflogen. Tretzel soll den SPD-Mann
       Wolbergs geschmiert haben, um ein schönes, großes Grundstück für den
       Wohnungsbau zu ergattern. Ausgerechnet Wolbergs, der Hoffnungsträger, der
       alles besser machen wollte. Nun spotten alle über die „Bananenrepublik
       Regensburg“.
       
       ## SPD wünscht Rücktritt
       
       Margit Wild sitzt im kleinen Café Anton in der Regensburger Altstadt, die
       zum Weltkulturerbe erklärt wurde, mit ihren malerischen Gassen,
       Patrizierhäusern, Kapellen und Wehrtürmen. Die 59-Jährige bestellt einen
       Tee und sagt als Erstes, dass weiterhin die Unschuldsvermutung gilt. Das
       sagen alle in Regensburg als Erstes. Derzeit ist es ein Skandal im
       Konjunktiv. Dann sagt sie weiter: „Jetzt erscheint alles in einem anderen
       Licht.“ Margit Wild ist Vorsitzende der Regensburger SPD, Stadträtin,
       Landtagsabgeordnete. „Wir haben ihm vertraut“, sagt sie über Wolbergs.
       „Menschlich sind ihm viele verbunden.“
       
       Und doch: Die SPD rät ihm zum Rücktritt. Die Landesanwaltschaft hat ihn
       vorläufig vom Dienst suspendiert und die Bezüge halbiert. Der Haftbefehl
       wurde am Dienstag nur unter der Auflage außer Vollzug gesetzt, dass
       Wolbergs nicht mit Leuten aus dem Spendenumfeld sprechen oder sie treffen
       darf. Es existiert weiter ein dringender Tatverdacht. Sein Amt aber gibt er
       nicht auf.
       
       Joachim Wolbergs und Volker Tretzel: Das waren die beiden Schaffer, Macher,
       Hoffnungsmänner der 145.000-Einwohner-Stadt. Nun offenbart sich ihre
       womöglich tief dunkle, kriminelle Seite.
       
       500.000 Euro sind laut Staatsanwaltschaft im Jahr 2014 geflossen – auf das
       Konto von Wolbergs kleinem SPD-Ortsverein Regensburg-Stadtsüden. Auf dieses
       Konto sollen nur er und seine Frau als Kassiererin Zugriff gehabt haben.
       Das Geld wurde demnach fein gestückelt in Einzelspenden von
       Tretzel-Strohmännern eingezahlt, immer knapp unter 10.000 Euro, damit sie
       nicht öffentlich gemacht werden mussten.
       
       Wolbergs nutzte die Zuwendungen für seinen üppigen OB-Wahlkampf 2014, sich
       selbst bereicherte er vermutlich nicht. Und weiter: Nachdem Wolbergs im
       selben Jahr als neuer OB den Verkauf des Geländes an der ehemaligen
       Nibelungenkaserne im Stadtrat durchgesetzt hatte, soll Tretzel dem
       notleidenden Fußballverein SSV Jahn Regensburg mit 1,7 Millionen Euro unter
       die Arme gegriffen haben – „als vereinbarte Gegenleistung für den Zuschlag
       beim Kasernenareal“, sagt die Staatsanwaltschaft. Aufsichtsratsvorsitzender
       des „Jahn“ ist Joachim Wolbergs.
       
       ## Eine „bunte Koalition“
       
       Um nachzuvollziehen, was geschehen ist und wie es dazu kommen konnte, ist
       Tina Lorenz eine geeignete Gesprächspartnerin. Die 35-Jährige vertritt als
       einzige die Piratenpartei im Stadtrat. Nach den Kommunalwahlen 2014 habe
       eine „wahnsinnige Aufbaustimmung“ geherrscht. Der neue OB Wolbergs
       schmiedete eine „bunte Koalition“ im Stadtrat: SPD, Grüne, Freie Wähler,
       FDP und die Piratin arbeiteten zusammen – und die machtverwöhnte CSU musste
       außen vor bleiben. „Jetzt geht was voran“, dachten alle. Der OB sprach mit
       seinem laut Lorenz „riesigen rhetorischen Talent“ besonders junge Leute an,
       Kulturschaffende, aufgeschlossene Stadtbürger.
       
       Joachim Wolbergs, der an diesem 2. März 46 Jahre alt wird, kam in
       Regensburg zur Welt und wuchs hier auf. Er war Schülersprecher, machte
       Abitur, Zivildienst, trat in die SPD ein. Er arbeitete im Jugend- und
       Kulturbereich. „Ein talentierter, junger Mann“, erinnert sich die SPDlerin
       Wild. Das leer stehende Gebäude der Alten Mälzerei verwandelte er Anfang
       der 90er Jahre in ein angesehenes Kulturzentrum. 13 Jahre lang war er dort
       Geschäftsführer, seitdem bezeichnet er sich als „Veranstaltungsmanager“.
       
       Wolbergs hat keinen Studienabschluss, keine Berufsausbildung. Regensburg
       war für ihn alles. Er strebte an die Spitze der Stadt, und das mit einer
       eigenwilligen Art der Wahlkampffinanzierung. „Er wollte das über seinen
       Ortsverein laufen lassen“, sagt Margit Wild. „Ich habe gewusst, dass viele
       Spenden eingegangen sind. Ich habe erwartet, dass diese ordentlich verbucht
       werden.“ Ziel sei nun, „alles möglichst transparent zu machen“.
       
       ## Viele kleine Spenden
       
       Wild wirkt ehrlich enttäuscht. Nicht nur sie und andere Parteigenossen,
       auch viele Regensburger können das Geschehen kaum glauben. Eine unbekannte
       Frau steuert im Café auf Wild zu und sagt: „Das war doch alles sehr gut,
       was ihr gemacht habt. Hoffentlich seid ihr nicht alle korrupt.“ Andere
       Bürger hätten sie auf der Straße angesprochen, erzählt Wild, und gesagt:
       „Da ist doch nichts dran. Das wird so enden wie bei Herrn Wulff.“ Doch
       danach sieht es im Moment nicht aus.
       
       Bauarbeiter, Bagger, Kräne sind bei nasskaltem Wetter dabei, das Areal der
       einstigen Nibelungen-Bundeswehrkaserne umzupflügen. In drei Abschnitten
       entstehen hier, am Galgenberg im Süden der Stadt, 300 Eigentums- und 250
       Mietwohnungen, Letztere mit öffentlicher Förderung. Bauträger: die Firma
       von Volker Tretzel. Von dort kann man zu Fuß zum neuen Stadion des „Jahn“
       gehen, der „Continental Arena“. Ein Rechteck mit rot überdachten
       Sitzplätzen. „Total protzig“, findet es Piratin Tina Lorenz. Der Verein ist
       zu schätzungsweise 80 Prozent vom Bauunternehmer abhängig, die
       Profi-Fußballer spielen in der Dritten Liga.
       
       Als im Stadtrat 2014 über die Vergabe des Nibelungenareals an Tretzel
       beraten und abgestimmt wurde, fühlte sich die Piratin nicht gut informiert.
       „Bei Nachfragen wurde mir bedeutet: Du bist komisch und kennst dich nicht
       aus“, erinnert sie sich. Im Sommer vergangenen Jahres begannen die ersten
       Ermittlungen. „Das geht jetzt wirklich in die falsche Richtung“, dachte
       Lorenz und verließ die „bunte Koalition“.
       
       ## Landesschatzmeister schöpft Verdacht
       
       Ans Licht gebracht hat das Ganze ein Sozialdemokrat.
       SPD-Landesschatzmeister Thomas Goger fielen im Frühjahr 2016 bei der
       Prüfung die vielen Einzelspenden auf, die verdächtig wirkten; er meldete
       dies der Staatsanwaltschaft. Für Christian Schlegl, den CSU-Gegenkandidaten
       der OB-Wahl 2014, ist klar: „Da war ganz offensichtlich sehr viel Geld da.“
       Wolbergs habe viele ganzseitige Farbanzeigen in der Zeitung geschaltet,
       große Plakatwände gemietet. Schlegl sagt: „Das hätten wir uns nicht leisten
       können.“
       
       In Regensburg sprechen die Leute mittlerweile von einem korrupten System.
       Und einiges deutet darauf hin. „Es gab dieses System“, versucht die
       SPD-Stadträtin Wild eine Erklärung, „und es gab nur wenige Hauptakteure.“
       Nach jetzigem Ermittlungsstand sind das im Wesentlichen Wolbergs, Tretzel
       und ein enger Mitarbeiter des Bauunternehmers. Die beiden Letztgenannten
       befinden sich weiterhin in Haft.
       
       Oberstaatsanwalt Markus Pfaller spricht von „7 plus x“ Beschuldigten. Dazu
       zählen auch der mittlerweile von seinem Amt zurückgetretene
       SPD-Fraktionsvorsitzende im Stadtrat, Norbert Hartl, sowie Wolbergs
       Amtsvorgänger Hans Schaidinger (CSU). Von einem System, in das große Teile
       von Politik und Verwaltung involviert waren, will der Staatsanwalt dennoch
       nicht sprechen. „Kern“ des Falles seien die Bestechungsvorwürfe gegen die
       Männer, die in Haft genommen worden waren.
       
       ## Transparency eingeschaltet
       
       In der vergangenen Woche beschloss der Stadtrat einstimmig, die
       Antikorruptionsorganisation Transparency International als externe Experten
       zur Aufklärung hinzuziehen. Als dringend nötig empfindet dies Tonio Walter,
       Jura-Professor und lange in der lokalen SPD aktiv. „Die SPD hat monatelang
       keine Konsequenzen gezogen“, kritisiert er.
       
       Im Alten Rathaus hängt an den Wänden im zweiten Stock die Ahnengalerie der
       einstigen Stadtoberhäupter, in Öl gemalt. Das letzte Bild zeigt Hans
       Schaidinger, der 18 Jahre lang OB war, bis er 2014 aus Altersgründen
       abtrat. Die Bestechungsaffäre, wenn es eine war, reicht bis zu ihm zurück.
       Von Bauunternehmer Tretzel bekam er laut Staatsanwaltschaft nach seiner
       OB-Zeit einen Beratervertrag „mit einem monatlichen Honorar von 20.000
       Euro“. Zudem sei ihm die Gratisnutzung der Segelyacht des Unternehmers für
       eine Reise in Aussicht gestellt worden, „mit Skipper“. In der CSU war
       Schaidinger als Städtetags-Präsident mal eine große Nummer.
       
       Wenn sie aus ihrem Büro kommt, fällt Gertrud Maltz-Schwarzfischers Blick
       auf die Bürgermeistergalerie. Die Zweite Bürgermeisterin, SPD, führt nun
       die Geschäfte von Joachim Wolbergs. Über die Stunden und Tage nach seiner
       Verhaftung sagt sie: „Ich war getunnelt. Ich machte einfach einen Schritt
       nach dem anderen.“ Jetzt delegiert sie Termine, verteilt Zuständigkeiten
       neu.
       
       „Wir schaffen das“, sagt Maltz-Schwarzfischer. Die Situation bleibt
       kompliziert. Niemand kann im Moment Wolbergs abwählen – nicht die
       Bevölkerung, nicht der Stadtrat, nicht die SPD. Die CSU-Forderungen nach
       Neuwahlen greifen nicht. Wolbergs selbst beteuert über seinen Anwalt seine
       Unschuld.
       
       Es kann dauern, bis es zur Anklage und zu einem Prozess kommt. Erst ein
       Urteil schafft Klarheit. Bei einem Schuldspruch wegen Bestechlichkeit und
       einer Haftstrafe von mindestens sechs Monaten wäre Wolbergs des Amtes
       enthoben. Nach seiner Freilassung aus der Haft am Dienstag hat sein Anwalt
       Peter Witting vollmundig mitgeteilt, Wolbergs sei nicht käuflich. Der OB
       habe sich „zu jeder Zeit ausschließlich“ an den Interessen der Bürger
       Regensburgs orientiert.
       
       3 Mar 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Patrick Guyton
       
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