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       # taz.de -- Aschermittwochsrede von Martin Schulz: Die Anhänger sind ziemlich ergriffen
       
       > Im Bierzelt gute Reden halten? Kann nicht jeder. Als SPD-Spitzenkandidat
       > Schulz in Vilshofen vors Mikrofon tritt, ertönen „Martin, Martin“-Rufe.
       
   IMG Bild: Menschlich soll er ja tip-top sein, der Martin. Und so einen schönen Daumen hat er!
       
       Vilshofen taz | Schon beim österreichischen Bundeskanzler Christian Kern
       ist das sozialdemokratische Publikum im Vilshofener Bierzelt begeistert. Es
       sei „Zeit für mehr Gerechtigkeit“, sagt der SPÖ-Genosse – und heizt die
       Stimmung an diesem Politischen Aschermittwoch der SPD in Niederbayern schon
       mal an, bevor der Top-Act des Tages ans Mikrofon tritt: Martin Schulz.
       
       Jahr für Jahr findet hier in Donau-Nähe ein politisches Fernduell statt –
       zwischen der CSU in Passau und den Sozialdemokraten ein paar Kilometer
       nördlich. Die Bayern-SPD bemüht sich stets kräftig, Prominenz ins Zelt zu
       holen, was in der Vergangenheit nicht immer gut gelang.
       
       Diesmal hat es geklappt. Martin Schulz, designierter SPD-Kanzlerkandidat
       und Parteivorsitzender, kommt als Hoffnungsträger. Reden kann er, das weiß
       man, doch kann er auch Bierzelt? Die Genossen sind bestens aufgelegt. Nach
       der Kern-Rede skandieren sie: „Hoch die internationale Solidarität“. Der
       bayerische Noch-SPD-Landeschef Florian Pronold stellt Schulz als
       „zukünftigen Bundeskanzler von Deutschland“ vor. „Martin, Martin“-Rufe
       ertönen – es werden nicht die letzten an diesem Aschermittwoch sein.
       
       Mit seiner Ansprache beginnt Schulz zehn Minuten früher als geplant, als ob
       er es nicht erwarten könne – hier in Vilshofen nicht und nicht bis zur
       Bundestagswahl am 23. September. Gleich am Anfang beschwört er den Erhalt
       der EU und ruft: „Nationalisten dürfen Europa nicht die Zukunft zerstören.“
       Er verteidigt die Aufnahme der Flüchtlinge im Jahr 2015: „Ein Akt der
       Solidarität.“ Er schimpft gegen die Populisten der Welt, gegen Ungarns
       Regierungschef Viktor Orbán, Erdoğan in der Türkei und den US-Präsidenten
       Donald Trump. Dann ist die Außenpolitik abgehakt.
       
       Mobil aufgebaute Zelte wie das auf dem Vilshofener Festplatz sind eine
       praktische Sache. Sie lassen sich problemlos verkleinern und vergrößern.
       Die Sozialdemokraten haben die XXL-Variante aufgestellt, bei den Planungen
       wurde es immer noch ein Stück gezogen, damit die angemeldeten 5.000
       Besucher hineinpassen. Fast unendlich lang wirken die Bankreihen mit den
       vielen Menschen, von hinten kann man Martin Schulz gerade noch als ganz
       kleinen Mann auf dem Rednerpult erkennen.
       
       ## 1.000 rote SPD-Fahnen wehen im weiß-blauen Bierzelt
       
       Ohne einmal durchzuschnaufen, ist der „Mann aus Würselen“ bei der
       Innenpolitik. Würde, Respekt, Solidarität – das sind seine Vokabeln, das
       ist der Grundwortschatz seines politischen Programms. Jedem solle Respekt
       gezollt werden, Krankenschwestern, Facharbeitern, Polizisten, Ingenieuren,
       Künstlern.
       
       Selten hat einer donnernden Applaus erhalten, wenn er lediglich das
       Grundgesetz zitiert. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, ruft Schulz.
       Mit der Emotionalität, die er rhetorisch gut kann, erzählt er die
       Geschichte vom jungen Martin Schulz: „Ich habe die Orientierung verloren,
       ich habe die zweite Chance bekommen.“ So wurde er Buchhändler, dann
       Bürgermeister. Das kennt man mittlerweile, in Vilshofen sind die Anhänger
       dennoch ziemlich ergriffen.
       
       Im Bierzelt eine gute Rede halten kann nicht jeder. Bei der SPD tat sich
       einst der vormalige Kanzlerkandidat Peer Steinbrück schwer, der
       Ministerpräsidentenkandidat Christian Ude sprach viel zu gedrechselt. In
       den letzten Jahren fristete die Veranstaltung ein Schattendasein, war
       ähnlich trostlos wie der Zustand der Bundes- und speziell der Bayern-SPD.
       
       Jetzt aber: begeistertes Klatschen, großer Jubel. „Zeit für Martin“ steht
       auf den Plakaten und: „Jetzt ist Schulz.“ Dieser sagt, man müsse das Land
       jeden Tag ein Stück besser machen: „Sozis müssen das in ihrem Herz spüren.“
       1.000 rote SPD-Fahren werden im weiß-blauen Bierzelt geschwenkt.
       
       2 Mar 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Patrick Guyton
       
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