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       # taz.de -- Zweifel an Eisbären-Haltung: „Leiden sind nicht tolerierbar“
       
       > Der Schweizer Tierschutzprofessor Hanno Würbel hält wenig vom
       > Eisbären-Boom in deutschen Zoos: Deren Umgebung befriedigt Bedürfnisse
       > der Raubtiere nicht
       
   IMG Bild: Streit ist natürlich. Aber wenn der Platz beengt ist, streitet Bär schneller
       
       taz: Herr Würbel, Eisbären als Zootiere scheinen gerade einen neuen
       Popularitätsschub zu bekommen. Berlin feiert sein Eisbären-Junges, Hannover
       leiert eine Nachzucht an, und selbst Bremerhaven lockt das zweite Jahr in
       Folge mit einem Eisbären-Baby BesucherInnen. Was halten Sie davon? 
       
       Hanno Würbel: Es überrascht mich ein bisschen, wenn man sich vor Augen
       hält, wie problematisch die Zucht und Haltung von Eisbären in Zoos ist.
       
       Warum ist die problematisch? 
       
       Dass es problematisch ist, können wir an den Verhaltensauffälligkeiten
       ablesen, die Eisbären in Gefangenschaft entwickeln: Sie neigen zu
       Stereotypien, das ist ein klarer Hinweis darauf, dass wichtige Bedürfnisse
       nicht befriedigt werden. Warum sie es tun, wissen wir nicht in allen
       Details. Es spielt allerdings sicher eine Rolle, dass Eisbären große
       Ansprüche an das räumliche Habitat stellen, in dem sie leben.
       
       Aber die leben doch in kargen Regionen. 
       
       Ja, aber auf großen Flächen: Die Gehege, die wir ihnen anbieten können,
       sind um ein Tausend- oder eher Millionenfaches kleiner als die Lebensräume,
       die sie bewohnen und besiedeln. Und an die ist nun einmal ihre Lebensweise
       angepasst. Sie sind Jäger, sie müssen große Strecken zurücklegen, um sich
       zu ernähren. All diese Dinge lassen sich in Gefangenschaft nicht leicht
       nachstellen oder simulieren. Dadurch scheint es zu diesen Problemen zu
       kommen.
       
       Die müssen aber doch diese gewaltigen Strecken nur zurücklegen, weil sie im
       Nahbereich zu wenig Nahrung vorfinden – und nur dann? 
       
       Das ist sicher eine Streitfrage. Die Tiere, die in kargen Gegenden leben
       und viel Aufwand betreiben müssen, um sich zu ernähren, wären vielleicht
       froh, wenn man ihnen das Futter vor die Füße legen würde. Das könnte man
       meinen.
       
       Aber? 
       
       In der Realität zeigt sich: Weil diese Tiere angepasst sind, an ein solches
       anforderungsreiches Leben, bringen sie sozusagen entsprechende
       Erwartungshaltungen mit. Die äußern sich auch in ihrem Verhalten. Deswegen
       werden viele Tiere, besonders auch Raubtiere, unruhig, zeigen
       Hyperaktivität, wenn sie gefüttert werden – und ihr angepasstes,
       angeborenes Verhalten nicht ausleben können. Das sehen wir auch bei ganz
       anderen Tieren: Schweine zum Beispiel. Wenn Sie Schweine durch einen
       Futterbrei füttern, den sie in kürzester Zeit verschlungen haben, werden
       Sie erleben, dass die Tiere im Anschluss daran ein ausgiebiges
       Explorationsverhalten zeigen, das eigentlich zum Kontext der Nahrungssuche
       gehören würde.
       
       Warum? 
       
       Das Bedürfnis, dieses Verhalten zu zeigen, war in der Natur so
       überlebenswichtig, dass es nicht einfach verschwindet, weil man das Futter
       verfügbar macht.
       
       Dass sich die Eisbärenhaltung in den Zoos deutlich verbessert hat, reicht
       also nicht aus? 
       
       Ich bin skeptisch, kann das aber nicht beurteilen: Grundsätzlich bin ich
       der Meinung, dass eine artgerechte Haltung jedes Tieres möglich sein
       müsste. Voraussetzung dafür ist aber, dass man die Bedürfnisse der Tiere
       kennt – und dann auch berücksichtigt. Bei Eisbären ist das Problem, dass
       wir deren Bedürfnisse noch nicht umfassend genug kennen. Das kann dazu
       führen, dass man möglicherweise fatale Fehler macht. Dazu gehört neben der
       Frage des räumlichen Habitats ganz sicher die Aufzucht, wenn die Mütter die
       Jungtiere nicht annehmen und dann eine Aufzucht mit der Flasche erfolgt und
       eine natürliche Sozialisation nicht möglich ist.
       
       Die Zoos behaupten, es ginge ihnen um die Arterhaltung. Was halten Sie
       davon? 
       
       Daran, dass man mithilfe der Zoobestände die natürliche Population
       supplementieren könnte, habe ich große Zweifel, auf jeden Fall, was
       Eisbären betrifft. Ein anderes Argument ist, dass man mit der Präsentation
       dieser Tiere aufmerksam machen kann auf die Problematik der schrumpfenden
       Lebensräume. Allerdings frage ich mich, ob es dazu wirklich eine Haltung
       von Tieren braucht; zumindest müsste diese dann wenigstens den Tieren
       gerecht werden. Verhaltensstörungen oder haltungsbedingte Schmerzen und
       Leiden sind dann nicht tolerierbar.
       
       In der Schweiz gibt es keine Eisbärenhaltung mehr in den Zoos – allerdings
       aus ökonomischen Gründen? 
       
       Manchmal werden solche Entscheidungen im Nachhinein auch schöngeredet. Ich
       weiß nicht genau, was seinerzeit in Zürich letztlich den Ausschlag gab: Die
       Tiere lebten dort aber in sehr beengten Verhältnissen und hatten auffällige
       Stereotypien gezeigt. Ob man tatsächlich zur Überzeugung gekommen war, eine
       Eisbärenhaltung in Gefangenschaft sei nicht möglich, weiß ich nicht –
       vielleicht konnte oder wollte man sich einfach kein größeres Gehege
       leisten.
       
       7 Mar 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Benno Schirrmeister
       
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