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       # taz.de -- Die Wahrheit: Schrothkur im Kopf
       
       > Das systematische Wiederentdecken der Fastenzeit ist nicht schön und
       > grenzt an Nötigung. Denn es weckt Erinnerungen an Schrothkuren und mehr.
       
   IMG Bild: Labormaus mit Übergewicht auf der Waage
       
       Fasten war in vergangenen Jahrhunderten was für Katholiken. Man musste
       schon schwer weihrauchbeduselt vor sich hin glauben, um den Herrn Jesus
       durch Fleischverzicht am Freitag retten zu wollen, und Protestanten glauben
       eher praktisch. Allerdings sind Protestanten auch gründliche Selbstquäler,
       weswegen das systematische Wiederentdecken der Fastenzeit hervorragend zu
       ihnen passt.
       
       Seit über dreißig Jahren gibt es „Sieben-Wochen-ohne“, das die
       Evangelischen zwischen Aschermittwoch und Ostern zu besseren Menschen
       machen soll. Aber schon vor vierzig Jahren wurden wir von einem Pastor
       genötigt, beim Februar-Gottesdienst unsere Namen und Adressen zu
       hinterlassen, weil es dann noch „etwas Schönes“ für uns gebe.
       
       Wir waren jung und brauchten das Schöne, und der Datenschutz war noch nicht
       erfunden. Einiges andere auch nicht – manchmal stelle ich mir vor, mein
       pubertierendes Ich würde aus den Siebzigern zu uns herübergebeamt und
       jemand würde zu dieser Latzhosenträgerin vom Typ Bescheidwisserin sagen:
       „Ich kann dich leider nicht fotografieren, weil ich mein Telefon zu Hause
       vergessen habe.“
       
       Ich wusste also damals offensichtlich nicht gut genug Bescheid, denn ich
       ließ meine Adresse beim freundlichen Pastor. Und wurde in der Folge mit
       Briefen zum „aktiven Gestalten“ der Fastenzeit eingeladen, zu Treffen,
       Gottesdiensten und religiös abzufeierndem Verzicht.
       
       Ich glaube, der Gottesmann und seine Helfer waren stolz auf diesen genialen
       Coup, aber ich bin trotzdem nicht mehr hingegangen. Schließlich war ich
       gerade einer gigantischen Verzichtsveranstaltung namens Kindheit
       entwachsen. Endlich durfte ich mal ein Bier! Eine Zigarette! Und spät nach
       Hause! Da konnte man mir doch nicht so kommen!
       
       Seitdem bin ich für alle Arten von Schrothkuren verloren. Die hielt ich
       damals übrigens für eine Erfindung der Schauspielerin Hannelore Schroth,
       obwohl zu jener Zeit noch nicht jede Prominente eine selbst kreierte Diät
       im Angebot hatte. Ich konnte es aber nicht besser wissen, denn Wikipedia
       funktionierte damals nur im Raumschiff Enterprise. So bestand meine Jugend
       hauptsächlich aus Sonnenschein und Missverständnissen. Es war eine hübsche
       Zeit. Fasten war nur etwas für Sonderlinge und Heilande, der Rest nahm all
       die Dinge, die geboten wurde: Pizza! Fondue! Chinapfanne! Ging es noch
       exotischer?
       
       Wahrscheinlich gab es bei Hannelores Kur dagegen ausschließlich Schrotbrot
       zu essen und nur lauwarmes Wasser zu trinken, und außerdem musste man
       schweigen. Obwohl ich gern wie Hannelore Schroth im Film „Unter den
       Brücken“ gewesen wäre, war mir das suspekt.
       
       Der einzig konsequente Verzicht in meinem Leben betrifft seither die
       Teilnahme an Kirchenveranstaltungen. „Fasten im Kopf“ (ja, das ist ein
       Originalzitat der evangelischen Website) werden sie auch in diesem Jahr
       wieder ohne mich. Fasten im Topf, Fasten ohne Kopf, Fasten mit Kropf,
       Krapfen mit Frost, mir egal. Noch einmal kriegt ihr mich nicht.
       
       8 Mar 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Fischer
       
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