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       # taz.de -- Beschreibung sexualisierter Gewalt: Debatte statt Hetze
       
       > Nach einem Text in der taz zum Thema Vergewaltigung bekommt die Autorin
       > Vergewaltigungsdrohungen – aber auch differenzierte Kritik.
       
   IMG Bild: Das sieht nicht unbedingt nach solidarischer Diskussionsbereitschaft aus
       
       Es gibt sie, diese Texte, die man zweimal lesen muss. Einmal für den
       Überblick, ein zweites Mal, nachdem man sich den Schaum vom Mund gewischt
       hat. Mithu Sanyal und Marie Albrecht haben [1][einen solchen in der taz]
       veröffentlicht.
       
       Sie beschäftigen sich darin mit dem Begriff „Opfer“ in Zusammenhang mit
       sexualisierter Gewalt und argumentieren, dass mit „Opfer“ bestimmte
       Vorstellungen verbunden sind, aus denen es schwer sei auszubrechen. Daher
       brauche es eine andere, aktivere Selbstbeschreibung. Sie schlagen
       „Erlebende sexualisierter Gewalt“ als mögliche Form vor.
       
       Darüber lässt sich streiten, unbedingt. Ebenfalls in der taz erschien
       [2][ein Debattenbeitrag von Simone Schmollack]. Die Passivität, die Sanyal
       und Albrecht in ihrem Text am Opferbegriff kritisieren, hält Schmollack
       gerade für wichtig.
       
       Später veröffentlichte der Blog „Störenfriedas“ einen „[3][Offenen Brief
       gegen die sprachliche Verharmlosung sexueller Gewalt]“, der gegen Sanyals
       These Unterschriften sammelte. Darüber wiederum [4][berichtete die Emma].
       
       ## Ungeladene Gäste
       
       Mit der steigenden Aufmerksamkeit für den Text kam der Hass – denn rechte
       Trolle sind leider treue Leser feministischer Seiten. Mittlerweile ist bei
       „Politically Incorrect“ ein Eintrag zu finden, in dem direkt auf Sanyals
       E-Mail-Adresse verwiesen wird. Diese ist ohnehin zugänglich, ja, aber auf
       einer Seite, die Sanyals These als „Ideologie der Menschenverachtung“
       beschreibt, ist die Veröffentlichung nur schwer anders als eine Einladung
       zu Hass-Mails zu verstehen. Natürlich bittet die Seite aber um eine
       „höfliche und sachlich faire Ausdrucksweise“.
       
       Wie höflich die E-Mails sind, die Sanyal nun bekommt, beschreibt die
       Autorin in einem [5][Beitrag bei der Huffington Post]: Ihr schrieben
       Menschen, „die mich nicht kennen und nichts über mich wissen, und wünschen
       mir, dass ich vergewaltigt werde, weil sie Opfer schützen wollen. Wie kann
       das Schutz von Opfern sein?“
       
       Die „Wünsche“ in anderen Nachrichten sind noch brutaler. An anderer Stelle
       im Netz seien ihre Telefonnummer und Adresse veröffentlicht worden. Woher
       kommt der Hass?
       
       Oft wird in den Beiträgen angenommen, dass Sanyal, weil sie als Expertin
       für dieses Thema gilt, nie Gewalterfahrungen gemacht habe. 40 Prozent der
       Frauen über 16 Jahren in Deutschland [6][haben körperliche und/oder
       sexuelle Gewalt erlebt]. Die Koautorin des Textes hat sexualisierte Gewalt
       erfahren und im [7][Heimweg-Blog] der taz darüber geschrieben.
       
       ## Sachliche Kritik
       
       Überhaupt: Der Wunsch, einen anderen Begriff für Opfer sexualisierter
       Gewalt zu finden, entsprang einer Debatte unter Opfern sexualisierter
       Gewalt, die meinten: „[8][Ich bin kein Opfer].“ Diese Aussagen ernst zu
       nehmen ist nun genauso wichtig wie diejenigen, die der genau entgegen
       gesetzten Meinung entspringen.
       
       Während sich die Sprachwissenschaftlerin [9][Luise F. Pusch en détail und
       sehr differenziert kritisch] mit den Argumenten Sanyals und Albrechts
       auseinandersetzt, werden in dieser „Debatte“ ansonsten Textstellen der
       Autorinnen wiederholt so verkürzt dargestellt, dass sich so auch gar nicht
       erst sinnvoll diskutieren lässt.
       
       So werden aus „Erlebenden sexualisierter Gewalt“ im Originaltext nur noch
       „Erlebende“. Außerdem heißt es, die beiden Autorinnen würden fordern,
       überhaupt nicht mehr von „Opfern“ zu sprechen. Dabei schreiben sie
       explizit: „Selbstverständlich soll ‚Erlebende‘ andere Bezeichnungen nicht
       ersetzen.“ Mit jedem Teilen des Textes im Netz geht ein bisschen Wahrheit
       verloren.
       
       Es geht schon längst nicht mehr um den Text. Wir sehen hier eine Netzjagd
       auf eine Frau, wie sie leider immer wieder zu beobachten ist. Debatten sind
       gut. Debatten sind wichtig. Aber was ist eine Debatte wert, die dazu führt,
       dass eine Frau Vergewaltigungsdrohungen zugeschickt bekommt? Wie müssen
       Medien damit umgehen, dass sie ihre Autor*innen realer Gewalt aussetzen,
       wenn sie sie über Triggerthemen wie Feminismus oder sexualisierte Gewalt
       schreiben lassen? Mithu Sanyal erlebt gerade verbale Gewalt. Sie ist Opfer
       verbaler Gewalt. Und hier ist es nun reichlich egal, wie wir diesen Satz
       bilden.
       
       25 Feb 2017
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Beschreibung-sexualisierter-Gewalt/!5379541
   DIR [2] /Beschreibung-sexualisierter-Gewalt/!5382143
   DIR [3] http://diestoerenfriedas.de/offener-brief-gegen-die-sprachliche-verharmlosung-sexueller-gewalt/
   DIR [4] http://www.emma.de/artikel/opfer-sollen-nicht-mehr-opfer-heissen-334215
   DIR [5] http://www.huffingtonpost.de/mithu-m-sanyal/vergewaltigung-mob-netz-brief_b_14958974.html
   DIR [6] https://www.frauen-gegen-gewalt.de/gewalt-gegen-frauen-zahlen-und-fakten.html
   DIR [7] http://blogs.taz.de/heimweg/
   DIR [8] /Sexuelle-Uebergriffe-sind-Alltag/!163660/
   DIR [9] http://www.fembio.org/biographie.php/frau/comments/vergewaltigung-als-erlebnis/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Katrin Gottschalk
       
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