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       # taz.de -- Verbotener Kinofilm in Indien: Dieser Film ist „frauenorientiert“
       
       > Indiens Regierung hat einen Film über vier Frauen verboten, weil er
       > sexuell zu aufgeladen sei. Wenn es um Männer geht, ist sie freizügiger.
       
   IMG Bild: Weibliches Begehren unerwünscht: Szene aus „Lipstick under my Burkha“
       
       „Im Leben eines jeden Mädchens kommt dieser Augenblick, in dem sie zu einer
       Frau werden möchte“, beginnt der Trailer zu „Lipstick under my Burkha“. Der
       Film erzählt von vier Frauen, zwischen 18 und 55 Jahren, die in einer
       indischen Kleinstadt nach Liebe und Freiheit suchen. Der Film lief schon an
       mehreren internationalen Filmfesten – kann nun aber nicht in Indien
       starten, weil er von der Zertifizierungsbehörde für Kinofilme eine
       Altersfreigabe erhielt – was einem Verbot gleichkommt.
       
       Die Begründung ist nicht ganz einfach zu entziffern. Der Film beinhalte
       „contanious“ (Anm.: ein falsch geschriebenes englisches Wort, das
       möglicherweise „contentious“, also „strittig“ heißen soll) sexuelle Szenen,
       Schimpfwörter, „Audio-Pornografie“, sei „frauenorientiert“ und befasse sich
       auf sensible Weise mit „einem bestimmten Teil der Gesellschaft“. Welcher
       Teil dies sein soll, bleibt unklar – vermutlich sind aber Muslim*innen
       gemeint, auf die im Filmtitel angespielt wird, obwohl nur eine der
       Protagonistinnen eine Muslimin ist.
       
       Der Tenor der Begründung, dagegen, ist recht einfach zu verstehen: Der Film
       ist unmoralisch, weil er Sex zeigt, weil in ihm über Sex gesprochen wird,
       weil man im Film Sex hört – und weil es Frauen sind, die diesen Sex haben.
       „Populäre Filme in Indien sind vom männlichen Blick dominiert“, schreibt
       die Regisseurin Alankrita Shrivastava [1][in einem Beitrag für die
       britische Zeitung Guardian]. „In einer Kultur, in der Frauen in Filmen
       ‚Item Numbers‘ aufnehmen – in denen sie vor gaffenden Männern tanzen
       während die Kamera an ihren Körpern hoch und runter fährt – […] stellt
       dieser Film den Status Quo infrage.“
       
       Tatsächlich pflegt die indische Filmindustrie sehr komplexe Doppelstandards
       für Sexualität in Filmen. Während Küsse auf den Mund und nackte Haut bis
       vor wenigen Jahren noch tabu waren, gibt es inzwischen zahlreiche Filme,
       die [2][wie Softpornos anmuten] und wegen ihrer Freizügigkeit sogar
       Pornodarstellerinnen casten.
       
       Der Kern der meisten Frauenrollen beschränkt sich auf deren Beziehung zu
       den männlichen Hauptfiguren: Sie sind Mütter, Verwandte, Freundinnen oder
       Liebhaberinnen der Männer, selten selbst Handelnde. Und bei vielen
       Darstellungen von Romantik [3][ist die Grenze zum Stalking schnell
       überschritten]: Oft verfolgen Männer die Frauen, in die sie verliebt, auch
       wenn diese gar kein Interesse zeigen – und haben am Ende sogar Erfolg.
       
       „Wie können es Frauen wagen, Geschichten aus ihrer Sicht zu erzählen? Wie
       können sie es wagen, über ihren Körper bestimmen zu wollen? Wie können sie
       es wagen, ihre Träume mitzuteilen? Wie kann eine ältere Frau es wagen, ihre
       Sexualität auszudrücken? Wie können diese Frauen es wagen, zu existieren?“
       fragt Shrivastava deshalb polemisch. Die absurde Einschätzung, „Lipstick
       under my Burkha“ sei „frauenorientiert“, drückt unfreiwillig ehrlich den
       Sexismus der indischen Gesellschaft aus.
       
       Die fehlende Freigabe des Filmes sorgt dennoch für einen Skandal unter
       Filmemacher*innen in Indien. Shrivastava und ihr Produzent wollen dagegen
       vorgehen – nicht selten wurden in der Vergangenheit die Einschätzungen der
       Zertifizierungsbehörde gekippt.
       
       3 Mar 2017
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.theguardian.com/commentisfree/2017/feb/27/lipstick-under-my-burkha-india-film-censorship
   DIR [2] http://www.youtube.com/watch?v=ajH07r81Rug
   DIR [3] http://www.theguardian.com/film/filmblog/2015/jan/29/does-bollywood-normalise-stalking
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lalon Sander
       
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