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       # taz.de -- Hohe Luftverschmutzung in Peking: Den Smog wegklagen
       
       > Zweimal scheiterte eine Gruppe Anwälte mit einer Klage gegen die Stadt
       > Peking wegen der Luftverschmutzung. Nun versuchen sie es nochmal.
       
   IMG Bild: Der Himmel über Peking: Dächer im Smog
       
       Peking ap | Wegen des häufigen Smogs in Peking hat der chinesische
       Rechtsanwalt Cheng Hai eine ganze Liste mit Entschädigungsforderungen an
       die Behörden gerichtet: 65 Yuan (neun Euro) für den Kauf von
       Gesichtsmasken, 100 Yuan für einen Arztbesuch wegen Halsschmerzen und 9999
       Yuan für seelischen Stress. Cheng und eine Reihe seiner Kollegen sind die
       ihrer Ansicht nach halbherzigen Bemühungen zur Bekämpfung der
       Luftverschmutzung leid, und deshalb haben sie die Regierungen der
       Hauptstadt und umliegender Regionen verklagt.
       
       Damit stellen sie zugleich das chinesische Rechtssystem auf die Probe.
       „Einige Menschen mögen glauben, dass Luftverschmutzung bei wirtschaftlicher
       Entwicklung unvermeidlich ist, aber sie liegen falsch“, sagt der 64-jährige
       Cheng. „Wir haben Gesetze zum Schutz der Luftqualität, und eine starke
       Verschmutzung kann vermieden werden, wenn sie vollständig umgesetzt
       werden.“
       
       Die Klagen spiegeln die wachsende Frustration der Mittelschicht über
       notorisch schlechte Luft im Land – drei Jahre, nachdem Ministerpräsident Li
       Keqiang auf dem Volkskongress einen „Krieg gegen die Verschmutzung“
       ausgerufen hat. Auch beim bevorstehenden diesjährigen Volkskongress dürfte
       das Thema eine Rolle spielen.
       
       Die Behörden begegnen der Luftverschmutzung, indem sie Fabriken und mit
       Kohle betriebene Heizkessel schließen, sowie Hunderttausende ältere
       Fahrzeuge von den Straßen verbannen. Nach offiziellen Zahlen bewirken diese
       Maßnahmen auch etwas: Die Werte in Peking verbesserten sich seit 2013 jedes
       Jahr. Dennoch beträgt die durchschnittliche Feinstaubbelastung noch immer
       das Siebenfache dessen, was die Weltgesundheitsorganisation für sicher
       hält.
       
       „Wir sind die Opfer von Smog, und wir haben ein Recht darauf, um eine
       Entschuldigung und um Entschädigung von der Regierung zu bitten“, sagt ein
       anderer der Anwälte, Yu Wensheng. In den Klagen wird der Regierung
       vorgeworfen, nicht effektiv gegen den Smog vorzugehen. Sie seien wichtig um
       zu zeigen, dass die Regierung nicht über dem Gesetz stehe, sagt der
       50-jährige Yu, der wegen regierungskritischer Äußerungen in der
       Vergangenheit bereits in Gewahrsam genommen wurde.
       
       ## Proteste von der Regierung nicht erwünscht
       
       Das jahrzehntelange Wirtschaftswachstum in China sorgte für einen deutlich
       höheren Lebensstandard für viele Menschen, doch die Umwelt hat immens
       gelitten. Auch Anfang dieses Jahres galt in mehr als 20 Städten wegen
       heftigen Smogs „Alarmstufe Rot“. Peking hat in diesem Jahr 2,7 Milliarden
       Dollar (2,6 Milliarden Euro) zur Bekämpfung der Luftverschmutzung
       eingeplant.
       
       Neben Peking nahm die Anwaltsgruppe auch die benachbarte Provinz Hebei und
       die Hafenstadt Tianjin ins Visier. Die Region verzeichnet die stärkste
       Luftverschmutzung im gesamten Land. Den Anwälten geht es nach eigenen
       Angaben mehr darum, auf die Untätigkeit der Regierung aufmerksam zu machen,
       als darum, einen Vergleich zu erzielen.
       
       Trotz Bemühungen, die Öffentlichkeit in den Kampf um reinere Luft
       einzubeziehen, sind Proteste von der Regierung nicht erwünscht. Mindestens
       einer von ursprünglich fünf Anwälten der Gruppe scheint seine Klage nach
       Druck der örtlichen Behörden zurückgezogen zu haben.
       
       ## Schwierige Beweisführung
       
       Ein Gericht in Peking hat bereits zwei Mal Klageversuche der Anwälte
       abgewiesen. Ein Gericht in der Provinzhauptstadt von Hebei, Shijiazhuang,
       hat noch nicht auf eine vor mehr als zwei Monaten eingereichte Klage
       reagiert. Ähnliche Versuche in den vergangenen Jahren scheiterten
       ebenfalls. Einige Nichtregierungsorganisationen dürfen zwar seit 2015 Klage
       gegen Umweltsünder einreichen, doch wirken hohe Kosten für den Beweis der
       entstandenen Schäden sowie potenzielle Einschüchterungsversuche von Seiten
       der Beklagten abschreckend.
       
       Zudem sei die Beweisführung schwierig, sagt Wang Canfa, Direktor eines
       Zentrums, das Menschen bei solchen Umweltklagen unterstützt. „In diesem
       Fall sind nicht die Regierungen diejenigen, die Schaden anrichten, sondern
       es sind die Firmen, die Schadstoffe ausstoßen, und Einzelpersonen, die
       Autos fahren“, sagt Wang, der an der China-Universität für Politische
       Wissenschaften und Recht unterrichtet.
       
       Doch die Anwälte wollen offenbar ein Zeichen setzen. Ein weiterer von
       ihnen, Lu Tingge, fordert neben Geld auch eine offizielle Entschuldigung
       für die entstandenen Schäden. „Ich weiß, dass meine Chancen für einen Sieg
       gering sind“, sagt der 47-Jährige. „Aber ich möchte, dass die Menschen
       verstehen, dass die Regierung die Hauptverantwortung für den Umgang mit
       Smog und Luftverschmutzung trägt.“
       
       3 Mar 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Louise Watt
       
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