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       # taz.de -- Auf der Suche nach „Planet 9“: Der große Unbekannte
       
       > Niemand hat ihn je gesehen und doch sorgt er für einige Bewegung im
       > Sonnensystem. Haben wir bald wieder einen neunten Planeten?
       
   IMG Bild: Ein Gasriese soll Planet 9 sein, so weit draußen, dass er kaum Sonnenlicht reflektiert
       
       Da draußen im All ist gerade mehr los als sonst. Raketen kehren heil zur
       Abschussrampe zurück, anstatt unterwegs zu verglühen. Ein Weltraumteleskop
       sucht die Milchstraße stoisch nach „zweiten Erden“ ab und hat dabei schon
       über 3.000 Kandidaten entdeckt, die fremde Sterne umkurven. Eine ganze
       Reihe von Weltraumbehörden und Privatunternehmen planen die erste bemannte
       Reise zum Mars. Und bald soll unser kleines Sonnensystem auch noch einen
       neunten Planeten bekommen. Ja, hatten wir den nicht schon?
       
       „Planet 9“. Arbeitstitel. Vorläufig. Dieses Ding hat die Welt der
       Astronomie in den vergangenen Monaten in helle Aufregung gestürzt. Doch
       Planet 9 umkreist die Sonne in zweierlei erschwerender Hinsicht:
       
       1.) in einer so unvorstellbaren Entfernung, dass er selbst mit den besten
       Teleskopen kaum zu sehen ist.
       
       2.) bis dato nur in der Theorie.
       
       Maßgeblich vorangetrieben hatte die Suche nach Planet 9 der
       US-amerikanische Astronom Mike E. Brown. Das ist der Mann, der schon dafür
       gesorgt hatte, dass Pluto nicht mehr der neunte, äußerste Planet des
       Sonnensystems ist.
       
       Und das kam so: Immer wieder entdeckten Brown und seine Kollegen im
       Kuipergürtel, einem Asteroidenfeld, das noch weit hinterm Neptun liegt,
       Gesteinsbrocken, die ähnlich groß sind wie Pluto. Einer davon, Eris, war
       sogar kurz als zehnter Planet im Gespräch. Doch dann schlug das Pendel der
       Weltraumbürokratie in eine andere Richtung aus: Um eine drohende
       Planeteninflation aus vielen neu entdeckten transneptunischen Objekten
       (also Himmelskörpern jenseits des Neptun) zu vermeiden, änderte die
       Internationale Astronomische Union die Richtlinien. So wurde Pluto am 24.
       August 2006 zum kleinwüchsigen Zwergplanet Nr. 134340 degradiert.
       
       ## Die beiden wurden stutzig
       
       Vielleicht hatte Mike E. Brown also ein schlechtes Gewissen, vielleicht
       wurde er über seinen Twitter-Account [1][@plutokiller] einmal zu oft von
       Fans des verstoßenen Nichtmehrplaneten beschimpft. Vielleicht ging er auch
       einfach nur seinem Job nach, als er vor einigen Jahren zusammen mit
       Konstantin Batygin die Spekulation zweier Kollegen über einen unbekannten
       Himmelskörper untersuchte.
       
       Der Plan von Brown und Batygin war, die Theorie zu widerlegen, sie als
       bekloppte Idee abzuschmettern.
       
       Der Plan ging gründlich in die Hose.
       
       Was Brown und Batygin machten: Jenseits des Neptuns, knapp 5 Milliarden
       Kilometer von der Erde entfernt, untersuchten die Forscher die Asteroiden
       im Kuipergürtel. Und stellten Unregelmäßigkeiten in deren Umlaufbahnen
       fest. Die beiden wurden stutzig. Das seltsame Verhalten der Objekte im
       Kuipergürtel musste eine Ursache haben. Genau wie man an einem See von
       kleinen Wellen, die plötzlich ans Ufer schwappen, auf die Existenz eines
       Motorboots schließen kann.
       
       ## 500-mal weiter von der Sonne entfernt
       
       Neu ist diese Idee nicht: Schon vor rund 200 Jahren wurden Astronomen auf
       die Spur von Neptun gebracht, weil sie sich die Bewegungen eines bereits
       bekannten Planeten, nämlich Uranus, nicht anders erklären konnten. Danach
       mussten sie Neptun nur noch am Himmel orten. 1846 war es so weit.
       
       Batygin und Brown schickten also hypothetische neunte Planeten durch ein
       Computermodell des Kuipergürtels. Kleinere und größere Brocken, mit mal
       weiteren, mal engeren Umlaufbahnen. Immer wieder verglichen sie ihre
       Simulation mit der tatsächlich gemessenen Konstellation im All.
       
       Am besten passte schließlich eine Variante von Planet 9, die zehnmal so
       schwer wie die Erde ist und 500-mal weiter von der Sonne entfernt. Ein
       eisiger Gasriese, der bis zu 20.000 Jahre braucht, um die Sonne zu
       umrunden. Und das auch noch auf einer im Vergleich zu den anderen Planeten
       ungewöhnlich geneigten und elliptischen Umlaufbahn. Ein bisschen irre
       irgendwie.
       
       Doch die Ergebnisse von Brown und Batygin wurden im vergangenen Jahr sehr
       ernsthaft diskutiert. Denn ihr hypothetischer Planet ergäbe jede Menge
       Sinn. Planet 9 würde nicht nur die Bewegungen der Asteroiden im
       Kuipergürtel erklären. Sondern auch unsere eigene bis dato rätselhafte
       Schieflage. Die Bahnebene der Planeten steht nicht senkrecht zur Drehachse
       der Sonne. Sie ist um 6 Grad gekippt. Verantwortlich dafür könnte eben ein
       noch unbekanntes Objekt sein, das durch seine stark geneigte Umlaufbahn
       alle anderen Umlaufbahnen stört.
       
       ## Nur Hawaii kann ihn sehen
       
       Darüber hinaus hat Planet 9 vielleicht auch noch Schuld daran, dass es in
       der Erdgeschichte in regelmäßigen Abständen zu regelrechten
       Massenaussterben kam. Weil er nämlich, so eine Theorie, alle 27 Millionen
       Jahre den Kuipergürtel passiert und so einige größere Asteroiden in
       Richtung Sonne und Erde kickt. Tödliche Kometenhagel oder auch nur eine
       vorübergehende Verdunklung der Sonne wären die Folge.
       
       Nun muss man den geheimnisvollen Planeten bloß noch finden. Seinen groben
       Aufenthaltsort haben Brown und Batygin großherzig veröffentlicht. Sie
       möchten, dass der theoretische Planet 9 Realität wird. Doch das ist nicht
       so ganz einfach. Der Gigant ist so weit entfernt, dass er so gut wie kein
       Sonnenlicht reflektiert – nicht genug, um sich herkömmlichen Teleskopen zu
       zeigen. Derzeit könnte ihn allenfalls das Subaru-Teleskop auf Hawaii
       erspähen, in einigen Jahren kommt das Large Synoptic Survey Telescope in
       Chile hinzu.
       
       Trotzdem kann jeder bei der Suche mitmachen. Die Forscher hoffen nämlich,
       dass die große Entdeckung in bereits vorhandenen Daten schlummert. Unmengen
       davon hat die Nasa auf ihrer im Februar gestarteten Website [2][„Backyard
       Worlds: Planet 9“] veröffentlicht. Dort können sich Hobbysucher
       zeitversetzte Aufnahmen eines Infrarot-Weltraumteleskops angucken, die wie
       ein Daumenkino nacheinander über den Bildschirm flackern. Die Idee
       dahinter: Veränderungen, wie etwa ein verdächtig gradlinig wandernder Punkt
       auf den Bildern, kann das menschliche Auge besser erkennen als ein
       Computer.
       
       Man kann natürlich auch in einer sternenklaren Nacht zum Sternbild Orion
       hinaufschauen, so etwa zwischen dem roten Riesen Beteigeuze und Orions
       Gürtel, am besten durch ein anständiges Teleskop, fernab von Städten und
       ihrer störenden Lichtverschmutzung. Wer dann ganz genau hinschaut … der
       wird immer noch absolut keine Chance haben, Planet 9 zu sehen, egal, mit
       wie viel gutem Willen man sich ihn auch herbeifantasieren mag. Aber schön
       sieht es aus, da draußen.
       
       19 Mar 2017
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://twitter.com/plutokiller
   DIR [2] https://www.zooniverse.org/projects/marckuchner/backyard-worlds-planet-9/classify
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Philipp Brandstädter
       
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