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       # taz.de -- EuGH-Urteil zu humanitären Visa: Kein Recht auf legale Einreise
       
       > Haben Flüchtlinge aus Kriegsländern das Recht auf ein humanitäres Visum
       > für die EU? Der EuGH hat nun eine Antwort gegeben.
       
   IMG Bild: Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg hat über das Recht auf ein humanitäres Visum entschieden
       
       WÜRZBURG taz Die weltweiten Opfer von Verfolgung und Krieg haben keinen
       europarechtlichen Anspruch auf humanitäre Visa. Das entschied jetzt der
       Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem spektakulären Verfahren. Für diese
       Fragen seien die EU-Mitgliedsstaaten zuständig, nicht die EU. (Az.:
       C-638/16)
       
       Konkret ging es um den Fall einer syrischen Familie mit drei kleinen
       Kindern. Sie hatte im Oktober 2016 in der belgischen Botschaft im Libanon
       ein Visum beantragt, um auf legalem Weg und ohne Schlepper nach Europa
       reisen zu können. In Belgien wollte die Familie dann Asyl beantragen.
       
       Die Familie verwies darauf, dass es in ihrer damals noch umkämpften
       Heimatstadt Aleppo und in Syrien allgemein zu gefährlich sei. Als Christen
       seien sie besonders gefährdet. Der Vater sei bereits von einer Terrorgruppe
       entführt und gefoltert worden und nur gegen Lösegeld freigekommen.
       
       Das zuständige belgische Gericht – der Rat für Ausländerstreitsachen –
       legte den Fall dem EuGH vor. Das Gericht wollte wissen, ob die
       EU-Grundrechte-Charta die EU-Staaten in solchen Fällen dazu verpflichtet,
       ein humanitäres Visum für die Reise nach Europa zu erteilen.
       
       ## Der schwierigsten Frage aus dem Weg gegangen
       
       In einem sensationellen Gutachten bejahte Paolo Mengozzi, der als
       EuGH-Generalanwalt das Urteil vorbereitet, Anfang Februar den Anspruch auf
       humanitäre Visa. Die EU-Grundrechte-Charta sei anwendbar, denn bei
       Visums-Entscheidungen gelte der EU-Visumskodex, es werde also EU-Recht
       durchgeführt. Die EU-Staaten müssten deshalb Antragstellern immer dann ein
       Visum für die Einreise erteilen, wenn diese glaubhaft machen, dass ihnen
       sonst Folter und unmenschliche Behandlung drohen.
       
       Wie allgemein erwartet lehnte der EuGH nun aber die Lösung des
       Generalanwalts ab. Die EU-Richter vermieden die schwierige Frage, welche
       Rolle EU-Grundrechte in Botschaften im Ausland spielen. Er zog sich auf den
       formalen Standpunkt zurück, dass für die vom belgischen Gericht
       aufgeworfene Frage EU-Recht nicht anwendbar sei. Der EU-Visakodex gelte nur
       für Visa bis drei Monaten. Die syrische Familie wolle nach der Einreise
       aber offensichtlich Asyl beanstragen und längerfristig in der EU bleiben.
       Über solche Visa-Anträge müssten die EU-Mitgliedsstaaten nach ihren
       nationalen Regeln und Grundrechten entscheiden.
       
       Der EuGH erinnerte daran, dass das EU-Asylrecht ausdrücklich nicht in
       Botschaften gelte, sondern nur innerhalb des EU-Gebiets. Außerdem würde die
       vom Generalanwalt vorgeschlagene Lösung dazu führen, dass Flüchtlinge sich
       ihr Asylland aussuchen könnten. Damit würden die Regeln der
       Dublin-Verordnung unterlaufen, wonach in der Regel derjenige EU-Staat das
       Asylverfahren durchführen muss, über den der Antragssteller eingereist ist.
       
       Der belgische Rat für Ausländerstreitsachen muss über den Visums-Antrag der
       syrischen Familie nun nach belgischem Recht und belgischen Grundrechten
       entscheiden. Das Gericht hatte den Fall parallel bereits dem belgischen
       Verfassungsgerichtshof vorgelegt.
       
       7 Mar 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Rath
       
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