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       # taz.de -- Erfolgreicher Protest für Bäckerei Filou: Vom Eklat zum Eclair
       
       > Nach großem Druck aus der Nachbarschaft lenken die Eigentümer ein: Die
       > Bäckerei kann bleiben – zur selben Miete.
       
   IMG Bild: Zornige Nachbarn auf einer Demo in Berlin-Kreuzberg gegen Verdrängung und Mietsteigerungen
       
       Berlin taz | So viel Herzlichkeit begegnet einem in der Großstadt dann doch
       selten. „Stimmt es, dass ihr bleiben dürft?“, fragt ein junger Mann die
       Kreuzberger Bäckerin, die ihm das Brötchen in die Tüte packt. „Das sind ja
       super Neuigkeiten, da atme ich auf“, sagt der Kunde hinter ihm.
       
       Die Tür öffnet sich, eine Frau in Regenjacke streckt den Kopf herein:
       „Herzlichen Glückwunsch!“, ruft sie und ist schon wieder weg. Nadja Wagner,
       die Verkäuferin, bedankt sich winkend. Als eine ältere Dame den Laden
       betritt, kommt die Bäckerin gleich ganz hinter der Theke hervor, beide
       umarmen und drücken sich.
       
       Wagner, eine schmale blonde Frau in weinroter Kapuzenjacke, betreibt mit
       ihrem Mann Daniel Spülbeck zusammen seit 16 Jahren die Bäckerei Filou am
       Ende der Reichenberger Straße. An diesem Montag bringt sie nicht nur
       Croissants und Kaffee unter die Leute, sondern vor allem die gute
       Nachricht: Ende vergangener Woche haben die Hauseigentümer ihnen wider
       Erwarten angeboten, den Mietvertrag zu verlängern, erzählt sie. „Das haben
       wir nur der vielen Unterstützung zu verdanken“, sagt Wagner jedem, der ihr
       gratuliert.
       
       Es wäre das Ende eines dreimonatigen Kampfes für die Bäckerei: Im Dezember
       hatten Wagner und Spülbeck [1][überraschend die Kündigung erhalten]. Das
       sorgte für große Aufregung in der Gegend. Die Nachbarschaftsinitiativen
       Bizim Kiez und Gloreiche nahmen sich des Themas an. Kundgebungen, „Filou
       bleibt“-Plakate im ganzen Kiez, ein Antrag in der
       Bezirksverordnetenversammlung, eine Gesprächsrunde mit den Eigentümern und
       militante Angriffe – das Repertoire des Antigentrifizierungsprotests wurde
       voll ausgeschöpft.
       
       ## Vorbildhafter Vertrag
       
       Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Die Londoner Eigentümer Charles
       Skinner und David Evans haben den Betreibern im persönlichen Gespräch am
       Freitag einen Dreijahresvertrag in Aussicht gestellt, der sich jeweils um
       weitere fünf Jahre verlängern soll – mit unveränderter Miete. Das
       bestätigte Skinner gegenüber dem englischsprachigen Sender Radio Spätkauf.
       
       Der neue Gewerbemietvertrag solle auch für andere Eigentümer beispielhaft
       sein. Unterschrieben ist noch nichts. Schon am Dienstag ist aber ein
       weiteres Treffen von Mietern und Eigentümern im Büro des
       Grünen-Bundestagsabgeordneten Hans-Christian Ströbele geplant. Der soll an
       der Ausarbeitung des Vertrags beteiligt werden.
       
       Philipp Vergin von der Initiative Bizim Kiez spricht von einem
       „Riesenerfolg“. Noch am vergangenen Donnerstag führte ein Runder Tisch, an
       dem neben der Bäckerfamilie und den Eigentümern auch Ströbele und Vertreter
       der Initiativen teilnahmen, nicht zu einem Durchbruch. „Da prallten noch
       die Welten aufeinander“, erzählt Vergin.
       
       Einen Tag später wollten die Eigentümer dann doch die Vertragsverlängerung.
       „Die Aussicht, die nächsten Jahre in Dauerkonfrontation mit der
       Nachbarschaft leben zu müssen, hat wohl auch zu dem Umdenken geführt“,
       vermutet Vergin. Er sieht es als Vorteil, dass die beiden „keine anonyme
       Immobiliengesellschaft seien“ und selbst auch immer wieder betont hätten,
       kein schnelles Geld machen zu wollen. Die Kündigung der Bäckerei Filou sei
       auf Probleme in der Kommunikation zurückzuführen, habe Skinner mehrmals
       gesagt.
       
       ## Diskussion über Militanz
       
       Wenn das Filou bleiben darf, könnten auch die Angriffe auf das Lokal
       Vertikal im angrenzenden Neubau, der ebenfalls Skinner und Evans gehört,
       aufhören. Das Restaurant gilt einigen Aktivisten als Hipster-Laden, als
       Symbol für die Verdrängung im Kiez. Anfang März schlug eine Gruppe von 15
       Personen bei laufendem Betrieb die Scheiben ein.
       
       Haben die Anschläge mit dazu geführt, den Druck zu erhöhen, bei den
       Eigentümern ein Umdenken zu bewirken? „Scheiben einschlagen, das geht gar
       nicht“, findet ein Bärtiger in Lederjacke, der am Montag vor dem Filou
       einen Kaffee trinkt. Eine elegant gekleidete Frau mittleren Alters glaubt
       schon, dass das nutzen kann. „Ich selbst würde das nicht machen, aber ich
       kann die Leute verstehen.“ Die Gewalt sei Ausdruck einer tiefen Angst. „Die
       fürchten, dass wir in ein paar Jahren alle hier weg sind.“
       
       Bäcker Spülbeck hat den Anschlag auf das Nachbarcafé schon mehrfach
       verurteilt. „Das hat den Druck auf die Eigentümer sicherlich erhöht, es uns
       aber schwerer gemacht“, sagt er am Montag. Der Angriff hätte die Fronten
       eher verhärtet. Auch der Bizim-Kiez-Aktivist Vergin nennt die Angriffe
       „schwierig“ und für das Anliegen nicht förderlich.
       
       ## Vertikale Solidarität
       
       Die Betreiberin des betroffenen Café Vertikal, Claire D’Orsay,
       solidarisierte sich vor und nach dem Anschlag öffentlich mit der Bäckerei
       Filou. Sie setzte sich nach eigenen Angaben auch bei den Eigentümern für
       den Verbleib der Bäckerei ein. „Nicht der Protest oder die zerbrochenen
       Scheiben haben Skinners Meinung verändert, sondern das persönliche
       Gespräch“ so D’Orsay am Montag gegenüber der taz. Wagner und Spülbeck
       bedanken sich nach der Einigung explizit für ihre Unterstützung.
       
       Für den kommenden Samstag hat die Initiative „Filou bleibt“ wieder zu einer
       Kundgebung vor der Bäckerei aufgerufen. „Das nehmen wir jetzt als Anlass zu
       feiern“, sagt Nadja Wagner. Für die Aktivisten gibt es derweil noch weitere
       Kritikpunkte, etwa die ausschließliche Belegung des Neubaus mit
       Ferienwohnungen.
       
       Wenn Skinner und Evans diese jetzt auch noch in Mietwohnungen umwandeln
       würden, „dann hätten sie die Wende geschafft – das wäre der große Wurf“,
       sagt Virgin. Zufrieden kann die Nachbarschaft aber schon jetzt sein. Denn
       auch der bedrohte Haushaltswarenladen Bantelmann in der Wrangelstraße darf
       bleiben. Nach Protesten hat der Eigentümer die Kündigung zurückgenommen.
       
       Für Nadja Wagner und Daniel Spülbeck könnte mit der Bäckerei nun alles so
       weitergehen wie in den letzten 15 Jahren. Und doch hat sich etwas verändert
       seit Dezember, sagt Wagner. „Wir waren total überwältigt von der
       Solidarität aus der Nachbarschaft.“ Wagner überlegt, wie sie die
       Veränderung am besten beschreibt. „Es ist alles enger geworden. Die
       Bäckerei hier zu haben ist jetzt noch schöner.“
       
       20 Mar 2017
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Erik Peter
   DIR Antje Lang-Lendorff
       
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