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       # taz.de -- Flaschen als Rohstoff für Textilien: Kann Plastikmode öko sein?
       
       > Der Markt für nachhaltige Kleidung wächst. Die neue Vielfalt der Anbieter
       > führt auch zu neuen Materialien jenseits von Wolle und Leinen.
       
   IMG Bild: Wir sind bald eine Hose?
       
       Berlin taz | Plastikfasern in Pullovern – längst finden sie sich nicht mehr
       nur in Ware vom Grabbeltisch. Kaum eine Jeans ohne ein paar Prozentanteile
       Elastan; Sport- oder Regenkleidung kommen überhaupt nicht mehr ohne Stoffe
       auf Erdölbasis aus. Weltweit werden deutlich mehr Fasern aus Polyamid oder
       Polyester, wie etwa Polyethylenterephthalat (PET), hergestellt als aus
       Baumwolle.
       
       Die winzige Marktnische der Biokleidung hat sich lange gegen diesen Trend
       gewehrt. Traditionell verwenden Hersteller mit Ökoanspruch Naturfasern,
       Biobaumwolle, Bioleinen oder Wolle aus biologischer Schafhaltung. Doch
       immer mehr Hersteller von ökozertifizierten T-Shirts, Hosen und Sweatshirts
       setzen auf Stoffe, die beispielsweise Polyester enthalten. Allerdings:
       Anders als bei konventioneller Mode sind Recyclingmaterialien wie Garne aus
       PET-Flaschen hier ein Muss, frische Fasern sind verboten.
       
       Diesen Trend zum Kunststoff in der Ökobranche mit Zahlen zu untermauern,
       ist schwierig; Ein staatlich anerkanntes Biosiegel wie im
       Lebensmittelbereich fehlt, ein Verband, der einen wesentlichen Teil der
       Branche hinter sich vereinigen würde, ebenfalls. Es gibt kaum
       aussagekräftige Daten über den Markt ökologischer Kleidung. Trends zu einem
       Wandel der Rohstoffbasis sind aber erkennbar.
       
       „Die Nachfrage steigt kontinuierlich“, sagt Enrico Rima. Er ist
       Geschäftsführer des Ökostoffhändlers Lebenskleidung in Berlin, hier kaufen
       viele Hersteller ihre Stoffe. Hier, relativ am Anfang der Lieferkette,
       spürt man den Wunsch nach Material jenseits reiner Naturfaser: Die
       portugiesische Spinnerei Tearfil, die Garne für bekannte Ökomarken liefert,
       hat ein Garn mit einem 30-prozentigen Anteil an Recycling-PET ins Programm
       genommen.
       
       „Ein Kilo Garn enthält acht Flaschen, die nicht auf der Müllkippe landen“,
       sagt Marla Gonçalves von Tearfil. Der Stoff verkaufe sich gut. Der
       inzwischen weit verbreitete Standard GOTS (Global Organic Textile Standard)
       erlaubt ausdrücklich einen Kunststoffanteil von 30 Prozent in
       zertifizierten Kleidungsstücken, solange es sich um Material aus alten
       Flaschen oder Verpackungen handelt.
       
       ## Formstabil, sehr haltbar und leicht
       
       „Wir erlauben in geringen Mengen bestimmte nachhaltigere Recyclingfasern“,
       sagt Claudia Kersten vom GOTS, „so ist uns eine breitere Produktpalette
       möglich, was dazu beiträgt, den gesamten Markt für nachhaltige Textilien
       weiterzuentwickeln.“ Experten halten Recylingkunststoff in nachhaltiger
       Kleidung für schlüssig. Die auf die Textilbranche spezialisierte
       Beratungsagentur Made by bewertet mechanisch recyceltes Polyester sogar
       besser als Biobaumwolle.
       
       Die Flaschen oder Verpackungen werden geschreddert und die Schnipsel dann
       zu einem Garn eingeschmolzen. Das kostet wenig Energie und kaum Wasser –
       und schlägt die Herstellung konventionell erzeugter Baumwolle, die häufig
       gespritzt, gedüngt und intensiv bewässert wird, in Sachen Ressourcenschutz
       sowieso um Längen.
       
       Den Ökos geht es nicht nur um Ressourcenschutz oder darum, eine sinnvolle
       Verwendung für Abfall zu finden. „Stoffe mit Polyester bieten
       Eigenschaften, die es in reinen Baumwoll- und Leinenstoffen nicht gibt“,
       sagt Rima, „sie sind formstabil, sehr haltbar und leicht.“ Designer seien
       immer auf der Suche nach neuen Materialien, mit denen sich ihre Ideen
       umsetzen ließen – und da gäbe es eben auch für die ökologisch Denkenden
       unter ihnen mehr als Baumwolle, Wolle oder Leinen.
       
       Das Kölner Vorzeigeunternehmen Armed Angels setzt ebenfalls
       Polyestermischungen ein, für die Sommerkollektion 2017 rund 2,5 Tonnen.
       „Ein Hoody für Männer aus reiner Baumwolle kann ganz schön schwer sein“,
       sagt Julia Kirschner, Sustainability Managerin der Firma, „etwas
       Recycling-PET beigemischt macht ihn leichter und erhöht den Tragekomfort.“
       
       Unumstritten ist der Plastikanteil in Biokleidung aber nicht. „Das sind
       schwierige Diskussionen“, sagt Kersten, „wir wägen ständig ab, welche
       Vorgaben nötig und welche Freiheiten möglich sind.“ Natürlich sei der
       Einsatz von Recyclingpolyester „nicht die reine Lehre“, sagt Rima von
       Lebenskleidung, „aber wir müssen auch den Markt zu Kenntnis nehmen.“ Und
       auf dem sei der Anteil von Baumwolle nun mal seit Jahren rückläufig –
       sowohl im konventionellen wie im ökologischen Bereich. „Einen
       Naturfaseranteil von 100 Prozent, den kriegen wir nicht mehr hin“, sagt er.
       Allerdings sei ihm bewusst, dass sich Stoffgemische aus Natur- und
       Kunstfasern nicht mehr recyceln ließen.
       
       ## Plastikperlen im Abwasser
       
       Auch bei Armed Angels sorgt man sich um die Kreislauffähigkeit der
       Produkte. „Abgesehen davon geben kunststoffhaltige Textilien bei jedem
       Waschgang kleine Plastikpartikel ins Wasser ab“, sagt Julia Kirschner, „und
       die landen dann als gefährliches Mikroplastik in Flüssen und Meeren.“
       
       „Da stimmt nicht ganz“, sagt Claus Gerhard Bannick, Leiter des Fachgebietes
       Abwassertechnikforschung im Umweltbundesamt, „die Kläranlagen in
       Deutschland arbeiten effizient.“ Die aktuellen Diskussionen in der
       Ökotextilbranche hält er für übertrieben. „Valide Daten, wie viele Fasern
       in die Meere über den Abwasserpfad eingetragen werden, liegen uns aktuell
       gar nicht vor“, sagt er. Um zu erfahren, wie groß die Mengen an
       Mikroplastik sind und wo diese landen, verteile das
       Bundesforschungsministerium übrigens gerade etliche Millionen Euro an
       Forschungsförderung.
       
       27 Mar 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Heike Holdinghausen
       
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