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       # taz.de -- Debatte Landtagswahl im Saarland: Der Sog in die Mitte
       
       > Die symbolische Versöhnung der politischen Linken ist an der Saar
       > gescheitert. Der CDU-Sieg zeigt: Mit „Anti-Linkspartei“ kann man
       > gewinnen.
       
   IMG Bild: Alte Reflexe: Rot-rote oder rot-rot-grüne Bündnisse taugen der Union noch als Schreckgespenst
       
       Fangen wir mit dem Erfreulichen an. Der beängstigende Siegeszug der AfD ist
       erst mal gestoppt. Bei den letzten Landtagswahlen mobilisierten die
       Rechtspopulisten die Frustrierten für sich. Das ist kein Automatismus mehr.
       Arbeiter und Politikferne, die sonst eher nicht zur Wahl gehen, votierten
       an der Saar zu drei Vierteln für CDU und SPD. Damit hat das Wunschbild der
       Rechten, dass sie den verstummten Wütenden eine Stimme gibt, einen
       gehörigen Riss bekommen. Der Protest formiert sich nicht mehr wie von
       selbst rechts.
       
       Gauland und Co. inszenieren sich als Teil einer historischen Bewegung, als
       Part einer Internationale von Nationalisten, die Europa verändern wird.
       An der Saar kann man sehen, dass die AfD weniger historisches Projekt als
       ziemlich fragil ist. Sie hat die Schwäche jeder Single-issue-Bewegungen.
       Verschwinden Flüchtlinge aus den Schlagzeilen, geht es erst mal bergab.
       
       Die repräsentative Demokratie gilt in letzter Zeit als erstarrter,
       abgeschotteter Betrieb, der in Form der AfD seine eigenen Gespenster
       erzeugt. Die Saarlandwahl zeigt, dass die Parteiendemokratie besser ist
       als ihr lädierter Ruf. Die Verunsicherung durch Brexit, Trump, Flüchtlinge
       nutzt den Rechten nicht. Es gibt vielmehr einen Sog in die Mitte, zu den
       Volksparteien hin, die, wie in der alten Bundesrepublik, mehr als zwei
       Drittel wählten. Das ist nicht selbstverständlich. In Baden-Württemberg,
       Sachsen-Anhalt und Berlin kamen SPD und CDU 2016 zusammen stets nur knapp
       über 40 Prozent.
       
       Der Sieg an der Saar geht auf das Konto von Annegret Kramp-Karrenbauer, die
       perfekt in das Anforderungsprofil der Landesregierungschefin passt.
       Landtagswahlen ähneln ja zusehends Bürgermeisterwahlen: Es gewinnen
       freundliche, zugewandte Charaktere, die die regionale Identität spiegeln.
       Die Bundesländer haben in den letzten Jahrzehnten an Einfluss verloren.
       Viel wird in Brüssel, in Berlin entschieden. Es geht daher in den Ländern
       mehr um Personen, weniger um Programme. Das erklärt die Erfolge von
       erdverbundenen, vertrauenswürdigen Figuren wie Kretschmann, Kraft, Dreyer,
       Ramelow. Und Kramp-Karrenbauer.
       
       ## Gerechtigkeit ist das richtige Thema
       
       Der zweite Grund für die Wiederbelebung des Volksparteienmodells ist, trotz
       allem, Martin Schulz. Das Ergebnis ist ein schmerzhafter Dämpfer für die
       Sozialdemokraten, die sich zu sicher auf dem direkten Weg ins Kanzleramt
       wähnten. Vielleicht wollen die Deutschen, dass es eine Alternative zu
       Merkel gibt – aber wählen wollen sie die nicht unbedingt. Fatal wäre, wenn
       die SPD nun hektisch die Richtung ändern würde. Sie muss weiterhin klar auf
       Distanz zur Union gehen.
       
       Gerechtigkeit ist das richtige Thema, auch wenn in Umfragen fast 80 Prozent
       beteuern, dass es ihnen prima geht. Solche Selbstbeschreibungen sind oft
       wankender, als es scheint. Und Fakt ist, dass die unteren 40 Prozent der
       Beschäftigten weniger verdienen als vor 20 Jahren. Das stammt nicht aus
       einer Presseerklärung der Linkspartei, sondern von Angela Merkel. Genauer:
       aus dem vom Kanzleramt abgesegneten Armuts- und Reichtumsbericht der
       Bundesregierung.
       
       Nun die schlechten Nachrichten. Merkels Erfolgsrezept war bisher: Die Union
       covert ein paar SPD-Ideen und legt damit die Opposition lahm. Asymmetrische
       Demobilisierung hieß das. Im Saarland ist das Gegenteil passiert:
       symmetrische Mobilisierung. Die Wahlbeteiligung war hoch, auch dank einer
       gespenstischen Regression. Die Union kann 2017 mit Kommunistensprüchen
       punkten. Das riecht nach alter Bundesrepublik – muffig und
       wirklichkeitsfremd. Denn wo die Linkspartei bisher in Ländern regierte, tat
       sie das selten kreativ, meist unauffällig, manchmal schmerzhaft ideenlos.
       Mit dem Zerrbild, das die Union malt, hat das nichts zu tun. Offenbar
       kehren am Ende der postideologischen Merkel-Ära verstaubte ideologische
       Schablonen wieder.
       
       Rot-Rot an der Saar wäre nicht nur die Chance gewesen, zu zeigen, dass
       Mitte-links solide regieren kann, wie in Erfurt, Potsdam und Berlin. Es
       wäre eine Etappe in der überfälligen symbolischen Aussöhnung der
       politischen Linken gewesen. Martin Schulz hat mit der Agenda-Korrektur die
       innere Erstarrung der SPD gelockert. Rot-Rot in Saarbrücken hätte die
       mentale Abrüstung zwischen Linkspartei und SPD befördert, die gegenseitige
       Verachtung abgekühlt. Vorbei.
       
       Diese Wahl ist keine Blaupause für den Herbst. Aber die Klemme, in der die
       SPD im Saarland steckte, kann sich wiederholen. Die SPD braucht zwingend
       eine eigene Machtoption. Denn die Aussicht, wieder bloß Merkel zur
       Kanzlerschaft zu verhelfen, ist deprimierend. Schulz als Kanzler, das ist,
       jedenfalls im Moment, nur mit der Linkspartei möglich. Doch genau diese
       Aussicht hat die SPD-Sympathisanten an der Saar zerrissen: Eine Hälfte war
       für eine Koalition mit der Linkspartei, die andere dagegen. So rückt ein
       unschönes Szenario näher: Rot-Rot-Grün spaltet die Anhänger von SPD und
       Grünen – und wirkt auf die Union wie eine Vitaminspritze. Die hat zwar
       keine Idee, warum sie regieren will, dafür ein funktionstüchtiges
       Feindbild.
       
       ## Absage an den Nato-Austritt
       
       Die Linkspartei wäre klug, wenn sie auch mal klarmachen würde, dass bei ihr
       nicht nur Sahra Wagenknecht das Sagen hat. Die Reformer begnügen sich
       bislang damit, nach den Alleingängen der linken Frontfrau die Scherben
       zusammenzufegen. Wenn die Linkspartei-Realos es mit dem Regieren ernst
       meinen, sollten sie dies der Öffentlichkeit auch mitteilen. Und darlegen,
       dass Nato-Austritt und außenpolitische Abenteuer nicht zur Wahl stehen. Das
       kann helfen, die Angstkampagne der Union ins Leere laufen zu lassen.
       
       Die Saarland-Wahl verdeutlicht eine paradoxe Lage. Die Parteiendemokratie
       ist vital, sie ist kein elitärer Apparat, wie die Rechtspopulisten glauben
       machen wollen. Doch der Sog in die Mitte und das Revival der Volksparteien
       hat etwas Zwiespältiges. Wenn die Mitte der magnetische Ort ist, Union und
       SPD stark sind, die Milieuparteien FDP, Grüne und Linkspartei schwach,
       wächst die Wahrscheinlichkeit, dass am Ende doch nur die Große Koalition
       möglich ist. Kein Jamaika, kein Rot-Rot-Grün.
       
       Das ist für die Demokratie fatal. Die atmet nur, wenn es echte Alternativen
       gibt. Und es um mehr geht als die Frage, wer an Merkels Seite regieren
       darf.
       
       28 Mar 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Reinecke
       
       ## TAGS
       
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