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       # taz.de -- Emmanuel Macron in Berlin: „Wir müssen die EU reformieren“
       
       > Frankreichs neuer Politstar Emmanuel Macron redet mit Jürgen Habermas
       > über Europa. „Siegfried“ Gabriel, der SPD-Außenminister, ist auch da.
       
   IMG Bild: Treten gemeinsam für die EU ein: Sigmar Gabriel, Emmanuel Macron, Jürgen Habermas
       
       BERLIN taz | Emmanuel Macron ist Europäer. Das konnte man auch
       Donnerstagabend wieder hören, als der französische Präsidentschaftskandidat
       in Berlin mit dem Philosophen Jürgen Habermas diskutierte. Macron ist bei
       der Wahl Ende April der Favorit für den zweiten Platz der Stichwahl – und
       wäre damit die Alternative gegen die autoritäre, nationalistische Marine Le
       Pen, die nach Einschätzung der meisten Experten für diese Stichwahl als
       fast gesetzt gilt.
       
       Macron, 39, ist der Mann des Moments in Frankreich und auch in Europa.
       Dementsprechend voll war die Veranstaltung in der Berliner Friedrichstraße.
       Wer „Kennedy“ raunt, ist im falschen Jahrhundert, ein „Popstar“ ist er auch
       nicht, aber ein jung aussehender, schnell denkender und allgemein als
       sympathisch empfundener Homo novus, in den man jede Menge projizieren kann.
       
       Sein größter Pop-Faktor ist seine 24 Jahre ältere Frau. Dieses
       Partnerschaftsmodell ist selbst in den gesellschaftspolitisch
       progressivsten Milieus nicht existent. Während die beiden Volksparteien
       Sozialisten und Republicains taumeln, hat Macron sich mit dem Motto „ni ni“
       (nicht links, nicht rechts) positioniert. Gesellschaftspolitisch liberal
       und wirtschaftspolitisch auch liberal. Dementsprechend klar pro-europäisch.
       
       Die Frage ist, ob man in Frankreich als glühender Europäer gewinnen kann.
       „Ich bin naiv, ich glaube, man kann Wahlen gewinnen, in dem man Europa
       verteidigt“, sagte Macron, „aber nicht eines, das nicht funktioniert.“ Das
       sagt er mehrfach an diesem Abend: Wir müssen die EU reformieren.
       
       Wie er sich diese Reformen genau und über Investitionen und einen eigenen
       EU-Finanz-Etat hinaus vorstellt, darüber hatte er nach eigenen Angaben am
       Nachmittag mit der deutschen Kanzlerin Merkel gesprochen. Er wollte aber
       nicht ins Detail gehen. First things first, sagt Macron, zunächst müsse
       Frankreich in Vorleistung gehen beziehungsweise nachholen, was es die
       letzten zehn Jahre versäumt habe, eigene Reformen. Das sei die
       Voraussetzung, um dann mit Deutschland die EU neu zusammenzubringen. Das
       ist womöglich der Paradigmenwechsel, den Macron durchsetzen könnte: Dass
       Frankreich sich neu und realistisch sieht und dadurch auch eine Chance auf
       produktive Veränderung hat.
       
       Macron ist neben allem anderen auch noch ein Intellektueller, er hat
       Habermas gelesen, ist sogar Fan und so war es historisch aufgeladen, dass
       Deutschlands Großphilosoph der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in
       Berlin neben ihm saß.
       
       ## Eine tickende Zeitbombe
       
       Richtig diskutiert wurde nicht, aber Jürgen Habermas, 87, ist bekanntlich
       auch ein großer Europäer und wiederholte nochmal sein Ceterum Censeo, den
       Zusammenhang von funktionierendem Sozialstaat und funktionierender
       Demokratie. Das Wirtschaftssystem der EU habe sich „dramatisch asymmetrisch
       ausgewirkt“ und Europa „tief gespalten“. Die ökonomischen Unterschiede
       zwischen dem Norden und dem Süden der Euro-Zone seien eine „tickende
       Zeitbombe“. Solange die Bundesregierung dieses „Zeitbombe“ nicht
       entschärfe, sei keine engere Zusammenarbeit drin. Deutschland müsse die
       Initiative ergreifen, um zusammen mit Frankreich den Karren aus dem Dreck
       zu ziehen. Scheitere das europäische Projekt, werde die Schuld den
       Deutschen gegeben werden.
       
       Habermas sagte, es fehle den verantwortlichen Politikern an Mut.
       
       Macron nickte und sagte: „Wenn Sie ein zaghafter Europäer sind, sind Sie
       bereits ein besiegter Europäer“. Das klingt pathetisch, aber nicht für
       einen französischen Präsidentschaftskandidaten. Da redet man noch ganz
       anders. Dafür wirkt er erstaunlich nüchtern.
       
       Im übrigen saß auch Vizekanzler Sigmar Gabriel auf dem Podium, der noch
       SPD-Vorsitzende, der sich thematisch überwiegend mit den großartigen
       Auswirkungen von SPD-Politik beschäftigte. Habermas nannte ihn in seiner
       Rede süffisant „unseren wie Phoenix aus der Asche emporgestiegenen
       Außenminister.“ Gabriel lachte, was blieb ihm übrig, und rief ins Publikum:
       „Wenn Sie wüssten, was DER mir für Mails schreibt, dagegen war das noch
       höflich.“
       
       Nun, Habermas nannte ihn „Siegfried“, so kann Gabriel hoffen, dass er sich
       vielleicht auch einfach nur in der E-Mail-Adresse geirrt hat.
       
       17 Mar 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Peter Unfried
       
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