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       # taz.de -- Agenda zum maritimen Gipfel: Maritimer Schweinezyklus
       
       > Politiker schimpfen gern öffentlich über die Reeder. Im Bundestag haben
       > sie derweil eine neue „Maritime Agenda“ vorbereitet – pünktlich zum
       > maritimen Gipfel in Hamburg
       
   IMG Bild: Wechselhafte Stimmung: Bis heute hat sich die maritime Wirtschaft von der Finanzkrise 2007 noch nicht erholt Foto:
       
       Zur „10. Nationalen Maritimen Konferenz“ werden sie alle in Hamburg
       auflaufen: die neue Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD),
       Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) und auch Bundeskanzlerin Angela
       Merkel (CDU). Bei dem maritimen Gipfeltreffen soll es am 3. und 4.4. um die
       Digitalisierung der Branche gehen, um „grüne“ Seehäfen, aber auch um die
       Rolle der Politik.
       
       Noch beim traditionellen Jahresessen der deutschen Reeder Ende Dezember in
       der Hamburger Handelskammer wetterte Schleswig-Holsteins
       SPD-Ministerpräsident Torsten Albig: Die Reeder müssten wieder dem Ideal
       des ehrbaren Kaufmanns folgen, wenn sie weiter Hilfe vom Staat wollten.
       „Dafür erwarte ich im Gegenzug nur eines von Ihnen: Anständigkeit“, sagte
       Albig. Andere Parlamentarier im Norden schimpften gar über „vaterlandslose
       Gesellen“. Bröckelt die lange gepflegte Partnerschaft zwischen Politik und
       Schiffseignern?
       
       Jahrzehntelang wuchs der Welthandel weit schneller als die Weltwirtschaft.
       Ohne moderne Schifffahrt keine Globalisierung: Erst der spottbillige
       Transport von T-Shirts, Smartphones und Soja erlaubte es den Konzernen, das
       dramatische Lohngefälle zwischen Asien und USA, Südamerika und Westeuropa
       auszunutzen. Der Transport eines 500 Euro teuren Handys über abertausende
       Seemeilen schlägt nur mit wenigen Cent zu Buche.
       
       Lange boomte daher das Geschäft der Reeder. Besonders in Deutschland
       profitierten davon auch Kreditgeber wie die Commerzbank, die mittlerweile
       zum Verkauf stehende staatliche HSH Nordbank oder Fondsgesellschaften, die
       Schiffsbeteiligungen als Altersvorsorge an Hunderttausende Kleinanleger
       verscherbelten. Die Flotte der deutschen Eigentümer stieg zur größten der
       Welt auf.
       
       Der „Maritime Komplex“ wurde als strategisch wichtige Industrie von der
       rot-grünen Regierung Gerhard Schröders (SPD) und seiner Nachfolgerin Angela
       Merkel (CDU) mehr als üppig subventioniert. Vor allem durch die
       „Tonnagesteuer“: Für ihre Millionengewinne zahlen Reeder und Investoren nur
       ein paar Euro Steuern. Die „Küstengangs“ der Landespolitiker taten das
       Ihrige dazu.
       
       Im Gegenzug verpflichtete sich die Branche, Hunderte Schiffe wieder unter
       Schwarz-Rot-Gold zu bringen und Tausende Seeleute auszubilden. Sie werden
       gebraucht als Lotsen, Marinesoldaten oder Hafenkapitäne. Doch dann kam der
       Crash.
       
       Von der 2007 ausgebrochenen Finanzkrise und dem folgenden Einbruch des
       Welthandels hat sich die Branche bis heute nicht erholt. Und seit dem
       neuerlichen Einbruch der Transportpreise 2015 hat sich die Lage weiter
       zugespitzt: Zeitweilig fielen die Frachtraten für einen Standardcontainer
       (TEU), die in Hochzeiten deutlich über 1.000 Dollar lagen, auf unter 100
       Dollar.
       
       Zwar entlasten die gesunkenen Treibstoffpreise. Aber die globale Nachfrage
       bleibt schwach. Und die fortwährende Auslieferung großvolumiger Schiffe
       lässt die Überkapazitäten weiter anschwellen. In den letzten sechs Jahren
       haben zwölf der 20 größten Reedereien, vor allem aus Asien, rund zwölf
       Milliarden Euro versenkt – „vor Abschreibungen und Steuern“, rechnet
       Hapag-Lloyd-Boss Rolf Habben Jansen vor.
       
       Dabei kennt die Branche ihren „Schweinezyklus“ eigentlich seit
       Jahrhunderten: In Hochzeiten werden massenhaft neue Schiffe geordert, weil
       jeder Reeder sich das dickste Stück vom Kuchen abschneiden will. So
       produziert die traditionell kapitalstarke Branche immer wieder neue
       Überproduktionskrisen: zu viel Schiffsraum für zu wenig Ladung. Dann kracht
       es, und die nächste Runde beginnt.
       
       Der Krach hat Folgen, zum Beispiel Notverkäufe wie der von Hamburg-Süd.
       Pizza-Produzent Oetker verkaufte nach mehr als 80 Jahren seine
       Tochtergesellschaft an den Weltmarktführer Maersk. Für mehrere Hundert
       Schiffe von Schiffsfonds wurde bislang in Deutschland Insolvenz angemeldet.
       Die Bremische Landesbank hält sich nur durch den Verkauf an die NordLB über
       Wasser. Werften taumeln.
       
       Eine Antwort der Reeder sind neue Allianzen. Und Fusionen. Die
       teilstaatliche Hapag-Lloyd schließt sich mit dem arabischen Konkurrenten
       USAC zusammen, der Israel nicht beliefert. Ob solche Maßnahmen ausreichen,
       muss die Zukunft weisen.
       
       Angesichts eines erwarteten ansehnlichen Wachstums der Weltwirtschaft von
       3,5 Prozent in diesem Jahr geht die Bundesregierung in ihrem Anfang März
       veröffentlichten Bericht über die maritime Wirtschaft von einer Erholung
       der Schifffahrtsmärkte aus. Bei ihrem Optimismus will es die
       Bundesregierung aber nicht belassen.
       
       Pünktlich zum maritimen Gipfeltreffen stimmte der Bundestag mit den Stimmen
       von CDU/CSU und SPD – auch denen aus Schleswig-Holstein – Kanzlerin Merkels
       „Maritimen Agenda 2025“ zu. Mit einer millionenschweren Forschungs- und
       Innovationsförderung soll die Branche gestärkt werden. „Die Agenda ist
       gut“, sagte Reederpräsident Ralf Nagel. Sie müsse aber zu einer
       Gesamtstrategie weiterentwickelt werden.
       
       3 Apr 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Hermannus Pfeiffer
       
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