URI: 
       # taz.de -- Porträt des Erdoğan-Clans: Eine schrecklich erfolgreiche Familie
       
       > Jede Heirat der Angehörigen Erdoğans ist eine politische, möglichst
       > profitable Entscheidung. Ein durchgeplantes Bild – wären da nicht die
       > Söhne.
       
   IMG Bild: Die Hochzeit der türkischen Präsidententochter Sümeyye Erdoğan
       
       Es war die Party des letzten Jahres: Rund 6.000 Gäste lauschten der
       Rezitation aus dem Koran, als Sümeyye Erdoğan und Selçuk Bayraktar sich im
       Mai 2016 in einer Lagune im Istanbuler Vorort Küçükçekmece die ewige Liebe
       schworen. Die Braut lächelte in einem perfekt hochgeschlossenen Kleid mit
       weißem Kopftuch. Der Bräutigam hielt – ebenfalls lächelnd, in einem
       schwarzen Anzug, dazu eine schmale schwarze Krawatte – die Hand seiner
       Angetrauten in seiner.
       
       Auch der sonst eher finster schauende Schwiegervater, der türkische
       Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan, sah zur Abwechslung mal entspannt aus
       – und das, obwohl in den Tagen zuvor Dutzende Menschen bei Terroranschlägen
       im Land ums Leben kamen. An diesem sonnigen Tag war es wichtiger, dass
       seine jüngste Tochter einen wohlhabenden Mann heiratete. Seine Angehörigen
       sollen von seiner Karriere profitieren – und Bayraktars Familienunternehmen
       liefert Technologien wie Drohnen an die türkischen Streitkräfte –
       Brandherde, in denen die heimische Armee Kriegsmaschinerien einsetzen muss,
       gibt es momentan einige.
       
       Die Erdoğans, das ist eine schrecklich erfolgreiche Familie, die
       Politisches und Privates vermischt. Die Eheschließung zwischen dem jüngsten
       Erdoğan-Spross und dem Sohn des Rüstungsunternehmer ist symptomatisch für
       die Präsidentenfamilie. Jede Beziehung soll nur dazu dienen, die Macht des
       Clans zu festigen. Oberhauptist Recep Tayyip Erdoğan, [1][ein
       hochgewachsener Präsident], der seit Jahrzehnten die gleiche Frisur und
       einen Schnauzbart trägt. Ob IS-Terror, Syrienkrieg oder Flüchtlingskrise –
       an dem vierfachen Vater geht derzeit kein Weg vorbei. Die First Lady an
       seiner Seite, Emine, steht seit nunmehr 40 Jahren diskret hinter ihm, seine
       Töchter Esra (35) und Sümeyye (31) sind mit glühenden AKP-Anhängern
       verheiratet. Sohn Bilal (36) wird in der Türkei für seine Tölpelhaftigkeit
       verspottet, während der älteste Sohn, Ahmet (37), selbst auf Familienfeiern
       fehlt.
       
       ## Der machtvolle Vater
       
       Anführer Erdoğan ist der charismatischste türkische Volkstribun seit
       Republikgründer Mustafa Kemal Atatürk. Er wandelte sich vom Hoffnungsträger
       zum Despoten – und trotz politischer Niederlagen machte er mit der
       Unbeirrbarkeit eines Marathonläufers immer weiter. [2][Dabei verlässt er
       sich auf seine Familie.]
       
       Der studierte Betriebswirt lernte seine Jugendliebe und jetzige Ehefrau
       Emine Gülbaran auf einer Parteiveranstaltung in der Bosporusmetropole
       kennen. „Es war Liebe auf den ersten Blick“, schilderte Emine das
       Kennenlernen, eine Frau ohne Schulabschluss und Ausbildung. Erdoğan musste
       allerdings zuvor seine Mutter Tenzile überzeugen. Denn die wollte eine
       Schwiegertochter, die einen Tschador trägt – und nicht wie Emine nur ein
       streng umgebundenes Kopftuch.
       
       Die einzige Bedingung vor der Ehe sei es gewesen, dass sie ihn nicht in an
       seiner Karriere hindere: „Ich sagte ihr, dass sie mich 24 Stunden lang
       nicht suchen darf. Wenn ich nicht komme, dann bedeutet das, dass ich bei
       der Organisation bin. Deswegen gab es Gott sei Dank nie die Frage, warum
       ich nicht gekommen bin oder warum ich mich verspätet habe.“ Er ist der
       aufstrebende Mann, sie die folgsame Partnerin mit den maskenhaften
       Gesichtszügen, die sich um die vier Kinder kümmert. Bei Tayyips Balkonreden
       nach all seinen Wahlsiegen stehen ihm sein Frau und drei seiner Kinder
       durchchoreografiert zur Seite. Gern Hand in Hand. Ein selbstbewusster Clan.
       [3][Vieles scheint gut im Hause Erdoğan] – wären da nicht die Söhne.
       
       ## Die Skandalsöhne
       
       Beide verweigerten den obligatorischen Militärdienst. Sie sind vermögend –
       aktiv in Branchen wie Süßwaren und Kosmetik –, doch sie besitzen überhaupt
       kein politisches Talent und sorgen regelmäßig für Skandale: Zwar kündigte
       Bilal 2005, damals noch bei der Weltbank in Washington tätig, an, in die
       politischen Fußstapfen seines Vaters treten zu wollen, doch die sind dann
       doch zu groß. Stattdessen machte er immer wieder mit Gerüchten über
       kriminelle Geschäfte von sich reden.
       
       So tauchten Anfang 2014 im Internet Telefonmitschnitte auf, auf denen
       angeblichen Erdoğan seinen jüngsten Sohn aufforderte, große Mengen Bargeld
       in Sicherheit zu bringen. Erdoğan Senior sprach von einer Fälschung und
       ließ die im Rahmen einer Korruptionsaffäre ermittelnden Staatsanwälte
       suspendieren. Unmittelbar danach wurde dann bekannt, dass eine Stiftung aus
       dem familiären Umfeld Erdoğans knapp 72,5 Millionen Euro Auslandsspenden
       erhalten habe. Woher aber diese stammten, verrieten die Verantwortlichen
       nicht. Allerdings saßen im Vorstand der Stiftung Bilal und Esra. Während
       Erdoğan seine Gegner mal wieder als „Blutegel“ beschimpfte, beschuldigte
       die Opposition den Clan der Geldwäsche.
       
       Als Bilal 2015 mit seiner Familie ins italienische Bologna zog, um dort
       angeblich seine Doktorarbeit zu beenden, wurde erneut spekuliert, er würde
       sich um die finanziellen Geschäfte seiner Eltern kümmern. Denn schon wenige
       Monate später kehrte er in die Türkei zurück, weil gegen ihn wegen
       möglicher Geldwäsche ermittelt wurde. Natürlich beschwerte sich Erdoğan
       deswegen, und der italienische Regierungschef Matteo Renzi entgegnete: „In
       unserem Land antworten die Richter auf Gesetze und die italienische
       Verfassung und nicht auf den türkischen Präsidenten. Das nennt sich
       Rechtsstaat.“
       
       Auch der älteste Sohn sorgt immer wieder für Negativschlagzeilen: Im
       Schifffahrtsgeschäft soll er zum mehrfachen Millionär geworden sein. Er
       hält sich im Hintergrund auf – oder wird im Hintergrund gehalten, je nach
       Erzählperspektive. Es werden ihm die Neigungen zu außerehelichen Affären
       und Alkohol nachgesagt. Nachdem Ahmet 1998 in Istanbul mit dem Auto eine
       Sängerin tödlich verletzte, beging er Fahrerflucht: Es wurde bekannt, dass
       er keinen Führerschein besaß, doch er wurde nie zu einer Strafe verurteilt.
       Sein Vater war zu dieser Zeit Bürgermeister von Istanbul – der Gutachter,
       der der Künstlerin die Schuld an dem Unfall zuschrieb, wurde zum Vize der
       staatlichen Schifffahrtsgesellschaft befördert.
       
       ## Die Vorzeigetöchter
       
       Deswegen sind vor allem die Töchter und deren Ehemänner die politischen
       Hoffnungsträger des mächtigen Vaters. Des Präsidenten Lieblingstochter
       Sümeyye nennt sich „ehrenamtliche Beraterin“ ihres Vaters. Sie studierte
       wegen ihres Kopftuch wie alle Erdoğan-Kinder im Ausland und begleitet ihren
       Vater gelegentlich bei Auslandsreisen, wo sie dann auch für ihn übersetzt –
       denn Erdoğan spricht keine Fremdsprache. Immer wieder wurde gemutmaßt, sie
       selbst könne sich als AKP-Mitglied im Parlament aufstellen lassen. Doch
       mittlerweile stellte sie die Arbeit für den Papa offiziell ein.
       
       Sie engagiert sich als stellvertretende Vorsitzende einer proislamischen
       Frauengruppe, im Mai letzten Jahres dann heiratete sie den
       Rüstungsunternehmer Selçuk Bayraktar. Auch Esra ist mit einem Mann
       verheiratet, der von ihrem mächtigen Papa profitiert.
       
       ## Die einflussreichen Schwiegersöhne
       
       Seit 2015 ist ihr Gatte Berat Albayrak Energieminister, sein Vater Sadik
       gilt als enger Vertrauter des Präsidenten. Seine Hingabe hat der
       Angeheiratete jedenfalls schon hinreichend bewiesen. Der Unternehmer, Sohn
       eines Journalisten, kümmert sich gern persönlich um eine parteifreundliche
       Berichterstattung, indem er bei kritischen Medien direkt interveniert.
       
       Bis 2013 war er Vorstandsvorsitzender eines Mischkonzerns, der vor allem im
       Bausektor von staatlichen Aufträgen profitierte und natürlich auch Medien
       aufkaufte, die innerhalb kürzester Zeit zu Verlautbarungsorganen der
       AKP-Regierung wurden. Dass Albayrak in der dramatischen Putschnacht des
       15. Juli mit Erdoğan im Badeort Marmaris war, verdeutlichte ihre Nähe. Als
       sich der Präsident am frühen Morgen am Flughafen in Istanbul an die Presse
       wandte, war auch Albayrak wieder an seiner Seite. Für die Opposition hat
       der als „Damat“ (Schwiegersohn) bekannte Politiker als „Schatten“ von
       Ministerpräsident Binali Yıldırım längst zu viel Einfluss.
       
       [4][Zwar wurde Albayrak kürzlich Hauptfigur eines peinlichen Skandals],
       doch seiner politischen Karriere hat dies bisher nicht geschadet. Im
       Dezember veröffentlichte die Enthüllungsplattform Wikileaks rund 58.000
       E-Mails, aus denen hervorgeht, dass Albayrak bei Ölgeschäften mit der Firma
       Powertrans kooperiere und damit auch indirekt mit den Dschihadisten des
       „Islamischen Staates“ (IS) verhandele.
       
       ## Alles in Familienhand
       
       Denn Powertrans wird von regierungskritischen türkischen Medien immer
       wieder verdächtigt, unter Umgehung der irakischen Zentralregierung,
       Ölgeschäfte mit der autonomen Region Kurdistan im Nordirak zu machen.
       Nachdem der IS Gebiete im Nordirak für sich gewonnen hatte, habe sich
       Powertrans einfach den Gegebenheiten angepasst und sich mit den neuen
       Ansprechpartnern arrangiert, berichtete etwa die Tageszeitung Cumhuriyet.
       Aus einer Mail geht hervor, dass Albayrak seinen Schwiegervater gar als
       Kriegsverbrecher vor Gericht sehen mag: Der 38-Jährige soll offenbar eine
       entsprechende Petition gegen ihn unterzeichnet haben.
       
       Doch für Erdoğan zählen solche Vorfälle nicht – denn er will die
       unbegrenzte Macht. Deswegen wundert es auch nicht, dass Albayrak als
       nächster Vizepräsident gehandelt wird. [5][Denn sollte Erdoğan bei dem
       Referendum am 16. April gewinnen], dann würde in seinem neuen System der
       Präsident nicht mehr wie bisher vom Parlamentspräsidenten, sondern vom Vize
       vertreten – dann würde die gesamte Macht innerhalb der Familie bleiben.
       
       15 Apr 2017
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://gazete.taz.de/article/?article=!5384240
   DIR [2] /Chefanklaeger-nach-Deutschland-geflohen/!5220264
   DIR [3] /Praesidialsystem-in-der-Tuerkei/!5370224
   DIR [4] /Fake-News-per-Gesetz/!5387171
   DIR [5] /Wahlkampagnen-zum-Referendum/!5396909
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Cigdem Akyol
       
       ## TAGS
       
   DIR Türkei
   DIR Familie
   DIR Schwerpunkt Türkei unter Erdoğan 
   DIR Recep Tayyip Erdoğan
   DIR Türkei
   DIR Türkei
   DIR Türkei
   DIR Türkei
   DIR Binali Yıldırım
   DIR Schwerpunkt Türkei unter Erdoğan 
   DIR Pressefreiheit in der Türkei
   DIR taz.gazete
   DIR Schwerpunkt Türkei unter Erdoğan 
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Analyse zum Türkei-Referendum: Der selbsterklärte Sieg
       
       Nicht das türkische Volk hat für die Präsidialdiktatur gestimmt. Die
       Abschaffung der Demokratie ist das Werk der Provinz gegen die Städte.
       
   DIR Referendum in der Türkei: Für Erdoğan wird es eng
       
       Das „Nein“-Lager liegt in Istanbul und Ankara knapp vorn. Es deutet sich
       ein sehr enges Rennen an. Ein erster Überblick über das
       Abstimmungsverhalten.
       
   DIR Türkisches Referendum: „Ja“-Stimmen liegen angeblich vorne
       
       Die Wahllokale sind geschlossen. Die Auszählung geht überraschend schnell
       voran. Die Medien melden, die „Ja“-Stimmen würden bei 57,5 Prozent liegen.
       
   DIR Türkisches Referendum: Erste Wahllokale schließen
       
       Im Osten der Türkei ist die Stimmabgabe für das Referendum bereits schon
       wieder beendet. Vor einem Abstimmungslokal soll es Tote gegeben haben.
       
   DIR Türkisches Referendum: Opposition berichtet von Schikanen
       
       Nach der Stimmabgabe zeigt sich Erdoğan siegessicher. Oppositionelle
       Wahlbeobachter werden nach eigenen Angaben durch die Polizei in ihrer
       Arbeit behindert.
       
   DIR Verfassungsreferendum in der Türkei: Kurdische HDP ausgebremst
       
       Im Wahlkampf der Türkei ist die Oppositionspartei HDP kaum wahrnehmbar. Sie
       beklagt einen Medienboykott, Schlägertrupps und Polizeischikanen.
       
   DIR Wahlkampagnen in der Türkei: „Die Unentschlossenen sind wichtig“
       
       Das Verfassungsreferendum rückt näher. Wie steht es um die Ja- und
       Nein-Kampagnen? Wir sprachen mit einem politischen Berater.
       
   DIR Kolumne Minority Report: Das schönste Wort der Welt
       
       Kurz vor dem Verfassungsreferendum in der Türkei schreit die halbe Welt
       „hayır“ (nein). Wie lautete die Frage nochmal?
       
   DIR Happy Valentine: Ein Mann wie ein Mann
       
       Frauen lieben Recep Tayyip Erdoğan. Wenn er auftritt, fächern sie sich Luft
       zu. Als politische Popfigur steht er ganz in der Tradition des Landes.
       
   DIR Verfassungsänderung in der Türkei: Das Sultanat Erdoğan ist nahe
       
       Die Verfassungsreform wurde vom Parlament beschlossen. Damit nimmt Erdoğans
       Diktatur Gestalt an. Das Parlament wird überflüssig.