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       # taz.de -- Zukunft des Fahrradverkehrs: Mit dem E-Bike über den Schnellweg
       
       > Ohne das Fahrrad lassen sich die Verkehrsprobleme nicht lösen. Aber:
       > Technische Neuerungen helfen nur, wenn die Infrastruktur stimmt.
       
   IMG Bild: Platz und Sicherheit auf dem Tempelhofer Feld in Berlin
       
       Mannheim taz | Wie genial die Erfindung des Karl Drais war, erfährt
       hierzulande fast jedes Kleinkind: Kaum kann es auf zwei Beinen stehen,
       sitzt es schon auf dem Laufrad und flitzt so schnell durch die Gegend, dass
       den Eltern mitunter mulmig wird.
       
       Ohne Drais, der vor 200 Jahren mit dem von ihm entwickelten Laufrad zu
       seiner ersten Tour vor die Tore Mannheims aufbrach, wäre dies nicht möglich
       – und auch nicht der Siegeszug des millionenfach genutzten Fahrrades. Das
       Geniale des Laufrades war seine Einfachheit: Auf die Idee, dass man auf
       zwei Rädern rollen kann, ohne umzufallen, und dass man so schneller ist als
       ein Wanderer – darauf musste einer wie Drais erst einmal kommen.
       
       Heute stehen die Städte in Deutschland – und weltweit – vor ganz anderen
       Herausforderungen. Weil das muskelbetriebene Zweirad vielfach durch
       Vierräder, von Verbrennungsmotoren beschleunigt, ersetzt wurde, ersticken
       die Städte im Stau; Luftverschmutzung und Klimagasemissionen sind die
       Folge. Das muss anders werden – so lässt sich der Leitkonsens beschreiben,
       der auf dem 5. Nationalen Radverkehrskongress herrschte.
       
       Zu Ehren von Karl Drais fand der zweitägige Kongress, vom
       Bundesverkehrsministerium und dem Land Baden-Württemberg ausgerichtet, in
       Mannheim statt. Am Dienstagnachmittag wurde er beendet mit einer Veloparade
       durch die Innenstadt.
       
       ## Dobrindt fehlt
       
       Mit 800 TeilnehmerInnen – insbesondere aus Stadtverwaltungen, Unternehmen,
       Verbänden und Aktivistengruppen – erzielte der Radförderkongress einen
       neuen Rekord. Einer aber fehlte: Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt
       (CSU). So wichtig scheine dem Minister der Radverkehr ja nicht zu sein,
       kritisierten mehrere Kongressteilnehmer.
       
       Was aber muss verändert werden, um mehr Menschen – und Lasten – auf Räder
       zu bringen? Es braucht bessere und sicherere Fahrräder für jeden Zweck.
       Neue Sicherheitssystemen insbesondere bei den boomenden E-Bikes. Vor allem
       eine gute Infrastruktur und ausreichend Raum für die Radler, flankiert von
       einer neuen Radkultur in den Kommunen. So viel wurde deutlich auf dem
       Kongress durch internationale Beispiele, nicht nur aus den
       Fahrradvorzeigeländern Holland und Dänemark, sondern auch aus England oder
       den USA, wo der Wunsch nach einem Auto ähnlich stark von vielen
       verinnerlicht wird wie in Deutschland.
       
       „Der Wandel ist möglich“, ist sich Katharina Kröger von der Verkehrsbehörde
       London sicher. Die Megastadt mit 8,7 Millionen Einwohnern hat in den
       vergangenen Jahren mehrere Radschnellwege gebaut, die stark frequentiert
       werden, insbesondere in der Innenstadt. Hier verdreifachte sich die
       Radnutzung in 15 Jahren. In Gesamtlondon verdoppelte sich der Anteil der
       Radler am Verkehrsaufkommen: allerdings von bescheidenen 1 Prozent auf 2
       Prozent.
       
       Es sei nie leicht, Parkplätze oder Fahrspuren für Autos verschwinden zu
       lassen, sagte Kröger, aber wenn man die Bürger frühzeitig und
       kontinuierlich einbeziehe, gebe es eine hohe Akzeptanz. Nötig auch:
       politische Unterstützung aus den Rathäusern.
       
       ## Pragmatische Planung
       
       Radautobahnen, Fietssnelwegen genannt, sind in den Niederlanden das
       Rückgrat des Fahrradverkehrs. 675 Kilometer wurden in den letzten zehn
       Jahren gebaut, meist vier Meter breit, mit roter Fahrbahn, frei verlaufend
       und nachts beleuchtet. Wer dort radelt, fühlt sich nicht nur wohl und tut
       etwas für seine Gesundheit, sondern hilft auch gestressten Autofahrern.
       „Die Radschnellwege sorgen für weniger Stau“, sagt Unternehmensberater
       Richard ter Avest.
       
       Der Teufel aber, der steckt bei der Umsetzung im Detail – überall. Da
       müssen Routen abgewogen, Landwirte überzeugt, Brücken gebaut und auch mal
       Bäume gefällt werden. Ter Avest rät zu mehr Pragmatismus der Planer, sagt
       aber auch zu Bedenken von Naturschützern: „Der beste Umweltschutz ist, wenn
       die Leute mehr Rad fahren.“
       
       Das tun sie in Portland, der Fahrradhauptstadt der USA. „Je mehr Radwege
       wir bauen, umso mehr Menschen fahren Rad“, stellte Verkehrsdezernentin Leah
       Treat fest. Nötig seien Wege für Radler zwischen 8 und 88 Jahren – und eine
       neue Radkultur. „Wir müssen Menschen inspirieren, Rad zu fahren.“ Dazu
       könnten auch ungewöhnliche Events dienen. Jährlich kommen 10.000 Fans nach
       Portland, um an einer Nacktradlerparade teilzunehmen.
       
       ## Lastenräder und Mikrodepots
       
       Deutlich bodenständiger geht es bei den Logistikern zu. Sie entdecken immer
       mehr das Lastenfahrrad, für die Belieferung auf der letzten Meile, also an
       den Kunden. Das kann als vierrädiges Modell durchaus die Ausmaße eines
       alten Kleinwagens erreichen, darf aber dennoch auch in Fußgängerzonen. So
       werden deutlich mehr Kunden pro Stunde erreicht als mit den klassischen
       Lieferwagen, die in verstopften Straßen kaum vorankommen. Dafür lohnt sich
       dann sogar ein zusätzliches Umladen.
       
       DHL Express bedient schon 100 Routen in Europa mit Lastenrädern, auf die an
       Umladestationen kleine vorbereitete Container gehievt werden. Begrenzt wird
       das Engagement nur durch mangelnden Platz. „Es ist schwierig, Mikrodepots
       in der Innenstadt zu finden“, berichtet Elias Gansel von DHL.
       
       Diese Erfahrung hat auch Raimund Rassillier von Velocarrier gemacht. Ideal
       für Umladestationen seien Parkhäuser. „Wir sind ja um 10 Uhr morgens schon
       wieder raus.“ Während ein herkömmlicher Paketdienst in der Innenstadt drei
       bis fünf Stopps pro Stunde schaffe, komme ein Velolieferant auf zehn bis
       zwölf Stopps. Seine Schlussfolgerung: „Lastenräder gehören bald zum ganz
       normalen Stadtbild.“ Deren Werbeflächen auf den Behältnissen seien Gold
       wert – wegen des guten Images.
       
       Dank E-Motor lassen sich auch Lastenräder mit großen Aufbauten oder
       Anhängern gut bewegen. Dass der Fantasie der Radentwickler keine Grenzen
       gesetzt sind, zeigt das Deutsche Zentrum für Luft und Raumfahrt. Es
       experimentiert bereits mit Brennstoffzellen, die die Batterie eines
       Lastenrades versorgen können. Vorteil: Sie machen auch bei Eiseskälte nicht
       so schnell schlapp. Was würde wohl Karl Drais zu einer solchen Erfindung
       sagen?
       
       4 Apr 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Richard Rother
       
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