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       # taz.de -- Kolumne Herbstzeitlos: Zärtliche Zischlaute
       
       > Dem Menschenbild kann es nur zuträglich sein, wenn man die Landessprache
       > nicht beherrscht. Zum Beispiel in Slowenien.
       
   IMG Bild: Mein Gott, ist das schön in Slowenien. Vor allem, wenn man nichts versteht
       
       Oft wird derzeit gefragt, wo nur all der Hass herkommt. Und ich weiß, wo
       man suchen könnte. Zum Beispiel in einer beliebigen deutschen Ikea-Filiale
       an einem frühen Samstagnachmittag. Oder an Bord eines Billigfliegers mit 80
       hypervitalen und hungrigen Reisenden. Ineinander verkeilte Kleinfamilien
       und schreiende Menschen in einer Metallröhre. An diesen Orten wird man ihn
       finden, den Hass; hier gedeiht sie prächtig, die Misanthropie.
       
       Die Menschenliebe aber wird finden, wer an Orte reist, an denen er kein
       Wort versteht. Slowenien zum Beispiel ist so ein Ort. Nur zwei Millionen
       Menschen sprechen diese Sprache, so ist es kaum wahrscheinlich, dass man
       selbst auch nur einen Hauch von dem mitbekommt, was hier gesagt wird.
       
       Immer wenn ich dort bin, zusammen mit meinem slowenischen Lebensgefährten,
       bin ich der festen Überzeugung, dass in diesem kleinen Land zwischen Alpen
       und Adria ausschließlich freundliche, gebildete, unterhaltsame Menschen
       leben, die einander ausschließlich unterhaltsame, pointierte Geschichten
       erzählen. Nie würden sie hässliche Stereotype reproduzieren oder sich
       menschenfeindlich äußern.
       
       Ob in der malerischen Altstadt Ljubljanas oder den engen Gassen des
       Hafenstädtchens Koper, überall nur Freude, schöner Götterfunken. Zärtliche
       Zischlaute und Worte des Lobes.
       
       ## Jede Menge Unsinn
       
       Mein Lebensgefährte wird nun nicht müde zu betonen, dass auch in seinem
       Heimatland jede Menge Unsinn dahergeredet wird, insbesondere vonseiten der
       eher ländlich geprägten Bevölkerung, die angeblich ungeheure Mengen an
       Blödsinn raushaut. Für mich ist es jedoch nichts weiter als eine angenehme
       soziale Klangtapete.
       
       Auch mit meinem Schwiegervater verstehe ich mich ausgesprochen gut,
       kommunizieren wir doch hauptsächlich mit Händen und Füßen.
       
       Nur einmal während meines jüngsten Aufenthalts zerriss das hauchdünne
       Gewebe aus freundlicher Zugewandtheit, das mich an diesem Ort umwebt.
       
       War da doch plötzlich dieses vertraute „Ja du hallo hier ist der Markus und
       ich bin hier gerade im Urlaub und sitze am Meer und wollte mich mal bei dir
       melden und fragen wie es dir geht mir geht es nämlich super nur das Zimmer
       ist scheiße aber das Essen ist billig“; ohne Punkt und Komma und ohne
       Rücksicht auf den Gesprächsteilnehmer am angefunkten Endgerät oder die
       Umwelt – aber mit zusätzlicher Powerbank, keine Chance, dass der Akku
       jemals alle werden könnte.
       
       Man sitzt in einem kleinen Kaffee an der Adria. Die Sonne versinkt
       melodramatisch im Meer. Der Wein schmeckt, als entstamme er Gottes privatem
       Weinberg. Und dann der Markus aus Stuttgart.
       
       ## Der Markus bringt mich um
       
       Mag sein, dass sich die stiernackigen Herren einen Tisch weiter über
       Massenmord unterhalten – es stört einfach nicht, wenn man der Landessprache
       nicht mächtig ist. Aber der Markus, der Markus bringt mich wirklich um.
       
       Im Flieger zurück fragt der Steward auf Italienisch nach den
       Getränkewünschen, und als ich auf Englisch bestelle, antwortet er auf
       Deutsch. So viel Verständigung kann man gerade noch ertragen.
       
       30 Mar 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Martin Reichert
       
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