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       # taz.de -- Organisator über Ostermärsche: „Krieg bleibt die Ultima irratio“
       
       > An den Feiertagen werden wieder Tausende gegen den Krieg marschieren. Wie
       > immer mit dabei: Linkspartei-Politiker Willi van Ooyen.
       
   IMG Bild: Willi van Ooyen vor dem Gewerkschaftshaus in Frankfurt am Main
       
       taz: Herr van Ooyen, fänden Sie es sehr absurd, Ihnen die Frage zu stellen,
       was Sie am kommenden Montag machen? 
       
       Willi van Ooyen: Ich werde den Ostermontag so verbringen, wie ich ihn seit
       Jahren verbringe: auf dem Ostermarsch in Frankfurt. Was auch sonst?
       
       Sind Sie des Friedensmarschierens nicht irgendwann müde? 
       
       Willi van Ooyen: Nein, das hält mich jung. Ich habe wenige Krankheiten zu
       bewältigen, auch weil ich ständig in Bewegung gehalten werde. Meine Freunde
       behaupten, ich würde niemals ohne Transparent spazieren gehen. Da ist was
       dran.
       
       Sie sind seit mehr als 50 Jahren in der Friedensbewegung aktiv. Was ist
       heute anders als früher? 
       
       Die Anfeindungen sind nicht mehr die gleichen, die ich in den 60er Jahren,
       aber sogar noch bei meinem Einzug in den Hessischen Landtag für die
       Linkspartei 2008 erfahren habe. Ich spüre, dass diese arrogante und
       bösartige Ablehnung nicht mehr da ist. Das geht hin bis zu
       Christdemokraten, die mich umarmen und gegen die Kalten Krieger in den
       eigenen Reihen protestieren. Das ist schon ein anderes Klima als früher,
       als man uns die „Freunde Ulbrichts“ nannte oder uns zurief: „Geht doch nach
       drüben!“ Solche verbalen Attacken gibt es so nicht mehr.
       
       Trotzdem verlassen Sie jetzt den Landtag. An diesem Wochenende legen Sie
       nicht nur den Fraktionsvorsitz der Linkspartei, sondern auch Ihr Mandat
       nieder. Warum? 
       
       Ich bin jetzt 70 Jahre alt. Da finde ich es sinnvoll, Jüngere nachrücken zu
       lassen. Ich habe genug Erfahrung mit dem Parlamentarismus gemacht und will
       mich nun wieder auf meine Schwerpunkte konzentrieren. Ich werde wieder
       stärker in der Friedensbewegung arbeiten und freue mich darauf, am Montag
       erstmals wieder außerparlamentarisch beim Ostermarsch dabei zu sein.
       
       Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ hat Sie als den „netten Kommunisten
       von nebenan“ bezeichnet. Wie finden Sie die Beschreibung? 
       
       Ich habe keine Probleme damit. Kommunist war noch nie ein Schimpfwort für
       mich. Schließlich bin ich quasi ein gelernter Marxist.
       
       Sind Sie nicht gelernter Elektroinstallateur? 
       
       Das auch. Nach der Volksschule bin ich 1962 in die Lehre als
       Elektroinstallateur bei der Bahn gegangen. Seitdem bin ich
       Gewerkschaftsmitglied. Ich mischte dann in der Lehrlingsbewegung mit, die
       damals parallel zur Studentenbewegung entstand, aber leider häufig
       vergessen wird. Die brachte eine starke Politisierung. Wir haben Herbert
       Marcuse und viele andere gelesen. Zugegebenermaßen manchmal, ohne ein Wort
       zu verstehen. Dennoch war das prägend für mich. Erst über diese Bewegung
       bin ich zum Studium gekommen. Nachdem ich 1969 das Abitur nachgemacht und
       bei der AWO in Düsseldorf meinen Zivildienst abgeleistet hatte, wurde ich
       Geschäftsführer der Selbstorganisation der Zivildienstleistenden. So fing
       alles an.
       
       Stimmt es, dass Sie den ersten Zivistreik in der Bundesrepublik organisiert
       haben? 
       
       Das stimmt. Als ich im April 1971 zum Streik aufgerufen habe, brachte mir
       das ein Verfahren wegen Landfriedensbruchs ein – wegen Aufrufs zu einer
       illegalen Handlung. Die Zivildienstleistenden standen ja absurderweise
       unter Soldatenrecht. Auch das war eine sehr politisierende Entwicklung.
       Mein anschließendes Studium beendete ich als Diplompädagoge.
       
       Ab Mitte der 70er Jahre waren Sie Funktionär der Deutschen Friedens-Union,
       von 1984 bis 1990 einer von drei Bundesgeschäftsführern. Warum fällt es
       Ihnen bis heute so schwer, darüber zu sprechen, wer die DFU finanziert hat? 
       
       Mir fällt das nicht schwer. Ich habe ja schon im November 1989 der taz
       gesagt, dass durch die Entwicklung in der DDR „eine entscheidende
       Finanzquelle überraschend versiegt“ war. Auch wie das Ganze funktioniert
       hat, war in der taz zu lesen.
       
       Später waren Sie gegenüber anderen Zeitungen weniger auskunftsfreudig … 
       
       Mein Problem ist, dass ich die Perspektive für falsch halte. Denn hinter
       der Frage nach den Geldzuwendungen steckt allzu häufig die Behauptung, wir
       wären von der DDR gesteuert worden. Doch wir waren keine Befehlsempfänger
       Honeckers. Von daher habe ich die Optik verdreht, damit die Inhalte der
       Friedensbewegung wieder in den Vordergrund rücken. Die Frage der
       Finanzierung war und ist für mich wirklich nebensächlich.
       
       Haben Sie sich im Nachhinein von der SED und der DKP, deren bundesdeutschen
       Ableger, instrumentalisiert gefühlt? 
       
       Das ist nicht mein Blick auf diese Zeit. Ob es um den Krefelder Appell
       [Aufruf gegen das atomare Wettrüsten von 1980, den bis 1983 über vier
       Millionen Menschen unterschrieben; Anm. d. Red.] geht, die
       Großdemonstrationen im Bonner Hofgarten Anfang der 80er Jahre oder die
       Ostermärsche: Das haben wir alles gemacht, weil wir es selbst wollten und
       richtig fanden. Ich habe immer noch ein großes Solidaritätsgefühl mit
       denen, die damals mit mir auf die Straße gegangen sind, auch wenn sich ihre
       Vorstellung von Sozialismus von meiner unterscheidet.
       
       Sind Sie eigentlich nach dem Ende der DFU in ein politisches Loch gefallen? 
       
       Nein, ich habe das, was ich immer gemacht habe, weitergemacht. Auch 1990
       habe ich wieder einen Ostermarsch organisiert und 1991 den nächsten.
       
       Und Sie haben nicht der DDR nachgetrauert? 
       
       Natürlich haben die Umbrüche in Osteuropa mich zu einem Nachdenken auch
       über eigene Irrtümer gebracht. Da war es schon angesagt, sich
       selbstkritisch zu hinterfragen. Die DDR beinhaltete eben keine
       sozialistische Perspektive. Aber das hat an meiner prinzipiellen
       pazifistischen Orientierung nichts geändert. Die habe ich bis heute
       beibehalten.
       
       Die Welt ist nicht friedlicher, aber die Friedensbewegung kleiner geworden.
       Wie erklären Sie sich das? 
       
       Es gibt immer Konjunkturen. In den 50er Jahren gab es die Kampagne Kampf
       dem Atomtod, in den 60ern und dann wieder ab 1979 die Ostermärsche. Bodo
       Ramelow, der ja aus der Region hier stammt, erinnerte vor Kurzem noch
       daran, wie wir 1984 über Marburg, Gießen, Butzbach nach Frankfurt gezogen
       sind. Da sind wir mit einigen Tausend Menschen vier Tage marschiert. In den
       80ern gab es ein Massenbewusstsein: Wir können durch unsere Aktivität etwas
       erreichen gegen die Nachrüstung. Aber auch 2003 gab es noch die große
       Demonstration gegen den Irakkrieg mit 500.000 Teilnehmerinnen und
       Teilnehmern in Berlin. Die Mobilisierungsfähigkeit hängt davon ab, ob die
       Menschen glauben, dass ihr Protest etwas bewirken kann.
       
       Erfolge halten sich allerdings in Grenzen. Ist der Pazifismus aus der Mode
       gekommen? 
       
       Die Friedensbewegung hat immerhin erreicht, dass wir in der deutschen
       Gesellschaft ein eher pazifistisches Bewusstsein haben. Diese Ablehnung von
       Kriegen haben wir nirgendwo sonst in Europa. In Frankreich zum Beispiel
       werden Militäreinsätze weit weniger kritisch gesehen. Umfragen zeigen, dass
       wir in Deutschland auch weiterhin eine Mehrheit gegen Kriegseinsätze haben.
       Aber das artikuliert sich leider bei Wahlen nicht spürbar.
       
       Gleichwohl ist die Friedensbewegung kleiner geworden. Könnte das nicht
       daran liegen, dass die Weltlage schlicht komplizierter geworden ist, alte
       Freund- und Feindbilder nicht mehr so gut funktionieren? 
       
       Die Weltlage war immer schon kompliziert. Aber was gleichgeblieben ist:
       Konflikte wie in Syrien lassen sich nicht militärisch, sondern nur
       politisch lösen. Willy Brandts Diktum, dass Krieg nicht die Ultima ratio,
       sondern die Ultima irratio ist, gilt immer noch. Was die Friedensbewegung
       betrifft, da hat es unzweifelhaft Rückschritte gegeben. Denken Sie nur an
       die Gewerkschaftsbewegung, die in den 70er und 80er Jahren noch über
       Rüstungskonversion diskutiert hat. Wir sind dabei, langsam wieder in der IG
       Metall ein Bewusstsein für diese Debatte zu schaffen. Dass sich viele Grüne
       und Sozialdemokraten mit dem Jugoslawienkrieg verabschiedet haben, ist auch
       nicht zu bestreiten. Jetzt sind eher der pazifistische Kern und die
       Linkspartei aktiv. Aber dass auf unserer Kundgebung am Montag auf dem
       Römerberg mit Andrea Ypsilanti auch eine Sozialdemokratin sprechen will,
       freut mich sehr.
       
       Hoffen Sie darauf, dass sich mit dem Kanzlerkandidaten Martin Schulz die
       friedenspolitischen Positionen der SPD ändern? 
       
       Ich kann nicht erkennen, dass sich mit Schulz überhaupt inhaltliche
       Positionen der SPD wirklich ändern. Es ist eher die Performance, die sich
       verändert hat. Als ich gehört habe, dass er Kanzlerkandidat wird, musste
       ich an Hape Kerkelings „Isch kann Kanzler“ denken. Würselen und
       Grevenbroich liegen ja nicht weit auseinander …
       
       Und Weeze, wo Sie geboren sind, ist auch nicht weit … 
       
       Ja, Weeze ist um die Ecke, ein bisschen nördlicher direkt an der
       holländischen Grenze. Ich kenne mich in der Gegend gut aus. Mein Bruder ist
       übrigens der stellvertretende Bürgermeister von Weeze. Leider nicht für die
       Linkspartei, sondern für die SPD.
       
       13 Apr 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anja Krüger
   DIR Pascal Beucker
       
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