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       # taz.de -- Menstruations-Tabu in Uganda: Blutiger Kampf um Emanzipation
       
       > Die ugandische Feministin Stella Nyanzi forderte vom Staat die
       > versprochenen kostenlosen Binden für Schulmädchen ein. Jetzt sitzt sie im
       > Knast.
       
   IMG Bild: Weil ihnen vor lauter Verklemmtheit niemand hilft, nähen sich Mädchen in Uganda ihre Binden selbst
       
       Kampala taz | Mit Zickzackstichen näht Catherine Nantume die pinken Stoffe
       zusammen. Die Nähmaschine quietscht sobald sie das Pedal bedient. Als sie
       fertig ist, lächelt die 15-jährige Schülerin stolz: „Das ist jetzt eine
       wiederverwendbare Damenbinde“, sagt sie und präsentiert die ovale Einlage
       aus Frottee. Sie zeigt auf die Druckknöpfe, die sie auf den beiden Flügeln
       befestigt hat: „Damit kann man sie um die Unterhose wickeln und befestigen,
       damit sie nicht verrutscht“, erklärt sie und lächelt verschmitzt.
       
       Das Mädchen im weißen Kleid sitzt mit ihren Mitschülerinnen in einem
       heruntergekommenen Klassenzimmer aus Holzlatten in einem Armenviertel der
       Hauptstadt Kampala. Vier Nähmaschinen sind auf den Tischen aufgebockt. Rosa
       und pinke Stofffetzen liegen daneben, Baumwolle flattert umher. Rund ein
       Dutzend Mädchen hantiert mit Scheren und Schnittvorlagen.
       
       Die Bastelstunden am Nachmittag sind für die meisten Mädchen der
       CARE-Grundschule das Highlight des Tages. Denn die meisten Schülerinnen
       trauen sich nicht zum Unterricht, wenn sie ihre Tage haben. Auch Catherine
       saß eine Woche im Monat zu Hause, erzählt sie. Sie wirkt überhaupt nicht
       schüchtern, wenn sie darüber redet. „Meine Eltern können sich keine Binden
       leisten“, berichtet sie. „Doch ich traute mich dann nie zur Schule, weil
       ich Angst hatte, dass meine Uniform blutig wird.“ Seit sie ihre Binden
       selber bastelt, wagt sie sich auch an kritischen Tagen zum Unterricht.
       
       Menstruation – in Ugandas konservativer Kultur ist das ein absolutes
       Tabuthema. Sobald Mädchen in die Pubertät kommen, werden sie von der Tante
       zur Seite genommen und bekommen Stofffetzen in die Hand gedrückt, die sie
       sich in die Unterwäsche stopfen sollen. Der Ratschlag: Versteck dich bis es
       vorbei ist. In vielen Dörfern dürfen Frauen während ihrer Tage kein Essen
       kochen. Sie gelten als unrein.
       
       ## Die Binden sind zum Politikum geworden
       
       Jetzt sorgt ausgerechnet die Monatsblutung in der öffentlichen Debatte für
       Furore. Ugandas führende Feministin und Doktorin für Gender-Studien an der
       staatlichen Makerere Universität, Stella Nyanzi, wurde vergangene Woche
       verhaftet. Unter dem Schlagwort #Pads4GirlsUG hatte sie über die sozialen
       Netzwerke und per mobilem Geldtransfer Spenden gesammelt, um Binden an
       Schulen zu verteilen. Dabei hat sie sich mit dem Regime angelegt.
       
       Wegen „Cyber-Belästigung“ und Unruhestiftung wurde sie am Montag angeklagt.
       Sie habe gegen das Gesetz des Computermissbrauches verstoßen, so die
       Vorwürfe des Staatsanwalts. Die Anhörung wurde auf Ende April angesetzt,
       bis dahin muss sie in Haft bleiben. Die Binden sind zum Politikum geworden.
       
       Die Vorgeschichte: Ugandas Präsident Yoweri Museveni hatte in seiner
       Wahlkampagne vergangenes Jahr versprochen, kostenlose Binden an den Schulen
       zu verteilen. Schon als der mittlerweile 72-Jährige als junger
       Freiheitskämpfer mit der Waffe in der Hand das Land eroberte, hatte er die
       Gleichberechtigung von Frauen auf die Fahnen geschrieben. Mit seinem
       Wahlversprechen hat er 2016 viele Stimmen gesammelt, vor allem bei Müttern.
       
       Nach der wiedergewonnenen Wahl ernannte Museveni seine Frau Janet zur
       Bildungsministerin. Da war die Hoffnung groß. „Mama Janet“ wird sie landauf
       landab genannt. Sie hat angekündigt, den Bildungssektor reformieren zu
       wollen, um mit dem enormen Bevölkerungswachstum Schritt zu halten. Doch sie
       musste schnell feststellen: Es mangelt an Geld im Staatshaushalt. Dies hat
       Stella Nyanzi auf die Barrikaden gebracht.
       
       ## Den Konservativen die Brust bieten
       
       Die Doktorin hat über Sexualität von Frauen in Afrika und
       geschlechterspezifische Machtpolitik promoviert und steht der Opposition
       nahe. Sie provoziert gerne. Im vergangenen Jahr machte sie Schlagzeilen,
       als sie bei einem Unistreik ihre nackten Brüste in die TV-Kameras streckte.
       In diesem erzkonservativen Land, in dem laut Gesetz der Rock bis übers Knie
       reichen muss, ist das fast ein Verbrechen.
       
       Nyanzi sitzt an einem Nachmittag im März in einem Gartenrestaurant in
       Kampalas Innenstadt. Neben ihr: ihre Schwester und Anwältin sowie drei
       Mitstreiterinnen ihrer Kampagne. Sie fürchtete bereits damals, verhaftet zu
       werden. Die Polizei hatte sie schon verhört – wegen öffentlicher
       Beleidigung des Präsidenten. Am Flughafen sei ihr die Ausreise verweigert
       worden, als sie nach Europa fliegen wollte. Ihre Schwester sei von
       bewaffneten Männern in Uniform verfolgt worden. Diese seien in ihr Haus
       eingebrochen, hätten die Kinder terrorisiert. Kurz darauf, nach einem
       Vortrag, verschwand Nyanzi spurlos. Erst drei Tage später bestätigte die
       Polizei ihre Verhaftung. Das Regime zeigt seine Zähne.
       
       „Die Emanzipation der Frauen in Uganda ist eine totale Fassade“, wetterte
       Nyanzi an jenem Nachmittag im Gartenrestaurant. Sie bezog sich dabei auf
       die in der Verfassung festgelegte Frauenquote von 30 Prozent der
       Abgeordneten: „Wir haben jetzt jede Menge Vaginas im Parlament sitzen, aber
       sie müssen auch beweisen, dass sie ein Gehirn dazu haben“, schimpfte sie.
       
       Die jüngste Evaluation der landesweiten Schulexamen hätte klar ergeben,
       dass die armen Mädchen auf dem Land schlechter abschneiden als die Jungen,
       weil sie monatlich den Unterricht versäumen. „Biologie ist Politik –
       Machtpolitik“, so Nyanzi. Janet Museveni sei nur Bildungsministerin
       geworden, „weil sie mit dem Präsidenten ins Bett geht.“ Dies sei ein klarer
       Beweis für den Nepotismus, der in Ugandas Politik vorherrsche. Sie habe die
       Schnauze voll, dass das Museveni-Regime stetig Versprechen mache, die dann
       nicht eingehalten würden, sagte sie. Den Präsidenten und dessen Frau
       bezeichnete sie auf Facebook als „ein Paar Arschbacken“. Dieser Kommentar
       wurde ihr in der Anklage vor Gericht zum Verhängnis.
       
       ## Keine Lust auf falsche Vergebung
       
       Stetig klingelt während des Interviews im März eines ihrer drei Handys,
       Geldbeträge gehen ein. Manche schicken nur rund einen Euro. Doch immerhin:
       mehr als 3.000 Euro umgerechnet hatte sie bereits zusammen, über eine
       Million Binden hatte sie an Schulen verteilt. Jedes Mal, wenn Nyanzi in
       ihren knallbunten Kleidern einen Pausenhof betrat, jubelten die Mädchen.
       Stets mit TV-Teams und Journalisten im Schlepptau, sie machte Schlagzeilen.
       
       Auch Bildungsministerin Museveni trat jüngst vor die Kameras, präsentierte
       sich von ihrer religiösen Seite: „Ich vergebe dieser Frau ehrlich, denn ich
       verstehe nicht, wie eine Akademikerin eine solche Sprache verwenden kann“.
       Sie wisse nicht, was sie falsch gemacht habe, dass sie so beschimpft werde,
       beteuerte sie.
       
       Nyanzis Antwort kam prompt via Facebook. Sie lehnte die Vergebung ab:
       „Bevor ich ihr die Füße küsse, würde ich eher ihre Klitoris küssen“,
       schrieb sie – eine klare Kampfansage an die mächtigste Frau im Land. Einen
       Tag später flog Nyanzi von der Uni. Der Kampf um die Damenbinden zeigte,
       wie sehr die Meinungsfreiheit in Uganda eingeschränkt wird.
       
       Unterdessen gibt es neue Crowdfundingkampagnen für Binden – wie an der
       CARE-Grundschule im Armenviertel. Inmitten des geschäftigen Treibens im
       Bastelunterricht steht Sadat Nduhira und gibt Anweisungen. Der 27-jährige
       Künstler ist selbst in dem Slum aufgewachsen, seine Schwestern versäumten
       monatlich ein paar Tage die Schule, wenn ihre Periode einsetzte. Als
       Künstler hat er viel mit Stoffen hantiert: Frottee, Baumwolle. Da kam ihm
       die Idee mit den Binden aus saugfähigem aber waschbarem Material. Er
       gründete eine NGO, sammelte Spenden und wandte sich an die Grundschule in
       seiner Nachbarschaft.
       
       Künstler Nduhira hält die Binde hoch, die Catherine Nantume eben mit der
       Nähmaschine fertiggestellt hat: „Wisst ihr denn, wie ihr sie hygienisch
       sauber kriegt?“, fragt er in die Runde. Catherine nickt. Sie ist die
       Älteste in der Gruppe, hat schon seit einigen Jahren ihre Periode. „Nach
       dem Waschen und Trocknen muss man sie heiß bügeln, damit die Bakterien
       sterben“, erklärt sie und klemmt erneut Stofffetzen in die Nähmaschine.
       
       Schulleiterin Sarah Nakabira steckt den Kopf ins Klassenzimmer und lächelt
       zufrieden. Die Muslimin mit dem bunten Kopftuch war einst Lehrerin an einer
       staatlichen Schule. Vor wenigen Jahren eröffnete sie in diesem Armenviertel
       eine eigene Grundschule. Auch Waisenkinder, die gar nichts zahlen können,
       hat sie aufgenommen. Chancengleichheit sei wichtig, betont Nakabira.
       Deswegen habe sie Nduhiras Idee mit den Bastelstunden sofort umgesetzt.
       „Dieses Projekt hat uns sehr geholfen“, sagt sie und betritt ihr kleines
       Büro neben den Klassenzimmern.
       
       Bis unter die Decke reichen die Regale, auf denen sich die in Afrika
       typisch bunten Papierordner stapeln: rosa für die Mädchen, blau für die
       Jungs. Die rosa Ordner sind in der Überzahl. Von den 315 Grundschülern
       seien rund 250 Mädchen, sagt sie. „Bei vielen setzt die Menstruation
       bereits mit acht oder neun Jahren ein, dann kommen sie ein paar Tage pro
       Monat nicht zum Unterricht.“ Seitdem sie die Binden selbst herstellen, habe
       dies deutlich nachgelassen, sagt Nakabira.
       
       Über Nyanzi und deren Streit mit der Regierung will sie lieber nicht
       sprechen. Wenn es um die „First Family“ geht, traut sich kaum jemand mehr,
       Kritik zu erheben. „Ich finde, es ist eigentlich Aufgabe der Eltern, die
       Mädchen auszustatten, doch die Armut lässt das nicht zu“, sagt sie. Als
       dann die Bildungsministerin das Versprechen ihres Mannes brach, „habe ich
       entschieden, wir müssen uns als Schule diesem Problem annehmen“.
       
       11 Apr 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Simone Schlindwein
       
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