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       # taz.de -- Petition der Woche: Ein Richter unter Verdacht
       
       > Der Prozess gegen einen 96-jährigen SS-Sanitäter zieht sich seit zwei
       > Jahren hin. Ist der Richter befangen? Ein offener Brief kritisiert seine
       > Praxis.
       
   IMG Bild: Der Richter von Hubert Zafke scheint befangen
       
       Richter sind unabhängig, und das ist auch gut so. Was wäre das auch für
       eine Justiz, wenn diese von oben gegängelt werden könnte? Tatsächlich kann
       ein Richter ein ihm anvertrautes Verfahren nach seinem Ermessensspielraum
       gestalten, solange er oder sie die Strafprozessordnung und die Gesetze
       achtet.
       
       Es muss deshalb schon so einiges geschehen, bevor international renommierte
       Historiker, der Leiter einer Gedenkstätte und KZ-Überlebende zum Instrument
       eines offenen Briefes greifen, der sich gegen das Verhalten einer
       bestimmten Kammer richtet und der als [1][Onlinepetition innerhalb von
       wenigen Tagen bereits von über 700 Menschen unterzeichnet] worden ist.
       
       Im Fall des Verfahrens gegen den ehemaligen SS-Sanitäter Hubert Zafke,
       angeklagt wegen Beihilfe zum Mord in mehr als 3.000 Fällen im
       Vernichtungslager Auschwitz, ist das leider der Fall.
       
       Die Liste der Seltsamkeiten in diesem Verfahren ist überlang, und so
       manches erinnert dabei an unselige Zeiten der Nichtrechtsprechung gegen
       NS-Straftäter in der Bundesrepublik in den 1950er Jahren. Denn das höchste
       Ziel der zuständigen Kammer des Landgerichts Neubrandenburg scheint darin
       zu bestehen, dieses Verfahren eben nicht zu führen, sondern es so rasch wie
       möglich einzustellen.
       
       ## Die Verweigerungshaltung des Richters
       
       Das begann schon vor mehr als zwei Jahren, als das Gericht die Eröffnung
       des Hauptverfahrens ablehnte, weil der Angeklagte verhandlungsunfähig sei –
       diese Weisheit beruhte auf einem Gutachten der Verteidigung, während andere
       Hinweise unbeachtet blieben. Bald darauf von übergeordneter Instanz zum
       Prozess gezwungen, setzte Richter Kabisch diese Taktik fort. Alle
       bisherigen Verhandlungstage waren dem Gesundheitszustand Zafkes gewidmet.
       Nun lässt sich einwenden, dass das bei einem 96-Jährigen auch geboten
       erscheinen könnte. Doch ein anderer Gutachter, der die Auffassung vertrat,
       dass der Angeklagte sehr wohl, wenn auch eingeschränkt verhandlungsfähig
       sei, durfte vor Gericht nicht einmal sein Gutachten vortragen.
       
       Ein Eintritt in die Beweisaufnahme fehlt bis heute. Stattdessen verwandte
       das Gericht viel Zeit und Energie, um Auschwitz-Überlebenden das Recht auf
       eine Nebenklage zu entziehen. Gleich dreimal beschloss man das in
       Neubrandenburg, dreimal las das Oberlandesgericht ihnen deshalb die Leviten
       und ließ den Nebenkläger wieder zu.
       
       Fast überflüssig scheint es da noch zu erwähnen, dass dieses Landgericht
       einem Anwalt die Kostenübernahme für eine Reise zu seinem in den USA
       lebenden Mandanten, einem Auschwitz-Überlebenden, verweigerte. Sollte man
       noch hinzufügen, das Richter Kabisch dem Angeklagten – höchst ungewöhnlich
       – einen Privatbesuch abstattete? Wundert es noch, das schließlich
       Nebenkläger und die Staatsanwaltschaft voller Verzweiflung gemeinsam einen
       Befangenheitsantrag gegen das Gericht stellten? Ist jemand überrascht, dass
       dieser Antrag nicht nur abgelehnt wurde, sondern dass es die
       Neubrandenburger Justiz verstand, darüber so viel Zeit verstreichen zu
       lassen, [2][dass der Prozess platzte und nun von vorne beginnen muss], was
       – wie könnte es anders sein – auf sich warten lässt, weil seit Monaten eine
       Entscheidung des Gerichts über die Verhandlungsfähigkeit Hubert Zafkes
       aussteht?
       
       „Es ist Ihnen offenbar nicht klar, dass Sie in der internationalen
       Öffentlichkeit den Eindruck erwecken, dass Sie das Verfahren aus
       politischen oder anderen Gründen unbedingt verhindern oder sabotieren
       wollen“, schreiben Roman Guski, der beim Landesjugendring Brandenburg
       arbeitet, und Constanze Jaiser von der Agentur für Bildung in ihrem offenen
       Brief. „Wir rufen dazu auf, dafür zu sorgen, dass endlich und unverzüglich
       verhandelt wird. Die Hoffnung, dass in diesem Verfahren noch ein Urteil
       gesprochen wird und den Opfern und ihren Angehörigen damit ein Stück weit
       Gerechtigkeit zuteil wird, geben wir nicht auf.“
       
       Es steht dahin, ob sich das Landgericht von der Petition beeindrucken
       lässt. Es ist zu befürchten, dass der Richter damit das tut, was er als
       unabhängiger Richter tun darf – sie unbeachtet zu den Akten legen. Doch
       weise wäre das im Sinne des Umgangs der deutschen Justiz mit NS-Verbrechen
       gewiss nicht.
       
       Korrektur: In einer früheren Fassung dieses Textes stand, dass Roman Guski
       „an der Uni Heidelberg“ lehrt. Hier lag eine Verwechslung vor. Wir bitten,
       den Fehler zu entschuldigen.
       
       9 Apr 2017
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.change.org/p/offener-brief-zum-auschwitz-prozess-in-neubrandenburg?source_location=topic_page
   DIR [2] /Auschwitz-Prozess-in-Neubrandenburg/!5359589
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Klaus Hillenbrand
       
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