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       # taz.de -- Pro und Contra Große Koalition: Ist die SPD scheinheilig?
       
       > Ein halbes Jahr vor der Wahl will die SPD die Homo-Ehe durchsetzen. Dabei
       > ist klar: Mit der Union wird das nichts.
       
   IMG Bild: Ende der Harmonie: Die SPD äußert plötzlich Forderungen
       
       ## Ja, die SPD ist scheinheilig
       
       Die SPD mag eine Reihe von Problemen haben, aber eines gehört nicht dazu:
       populäre Themen zu Wahlkampfzwecken aus dem Hut zu zaubern.
       
       Erinnern Sie sich an den Bundestagswahlkampf 2005? Damals zogen die
       Sozialdemokraten mit der Idee einer Bürgerversicherung ins Feld, obwohl sie
       zuvor in der Regierung sieben Jahre Zeit dafür gehabt hätten. Statt der
       Bürgerversicherung kam nach den Wahlen eine Mehrwertsteuererhöhung, die die
       SPD ausgeschlossen hatte.
       
       Nur einmal hat es die SPD anders gemacht – 2013. Sigmar Gabriel versprach
       Mindestlohn und Rente mit 63 – und setzte beides in den
       Koalitionsverhandlungen rigoros durch. Damit war aber auch klar: Andere
       Themen, etwa die Mietpreisbremse, hatten für die SPD weniger Wichtigkeit.
       Intern sagen SPDler, das Mieten-Thema hätten auch viele Sozialdemokraten
       unterschätzt: Sozis etwa aus schrumpfenden Ruhrgebietsstädten hätten andere
       Sorgen gehabt. Die Konsequenz: eine von der Union vermurkste
       Mietpreisbremse, bei der die SPD jetzt Nachbesserungen verlangt – und damit
       Wahlkampf macht.
       
       So war es auch bei den Managergehältern: Im Koalitionsvertrag steht es
       eindeutig: „Um Transparenz bei der Feststellung von Managergehältern
       herzustellen, wird über die Vorstandsvergütung künftig die Hauptversammlung
       auf Vorschlag des Aufsichtsrats entscheiden.“ Weitergehende SPD-Vorschläge
       scheiterten. Seitdem hat sich bei den Managergehältern nicht viel getan,
       außer: Die ehemalige SPD-Ministerin Christine Hohmann-Dennhardt erhielt 12
       Millionen Euro als VW-Managerin.
       
       Bei dem heutigen Vorstoß im Koalitionsausschuss geht es der SPD also darum,
       Hohmann-Dennhardt vergessen zu machen und stattdessen die Union
       vorzuführen. Die wird mit Recht darauf verweisen, dass im Koalitionsvertrag
       etwas anderes festgehalten ist.
       
       Dabei wäre es relativ einfach, wenn die SPD schnell eine andere Regelung
       bei Managergehältern (oder Mieten) will: Im Bundestag hat sie zusammen mit
       Grünen und Linken eine Mehrheit. Diese ausnutzen will die SPD nicht, weil
       sie sich an die Vereinbarungen mit der Union gebunden fühlt. Aber im
       Koalitionsvertrag steht eben auch, dass es keine weitergehenden Regelungen
       bei Managergehältern oder der „Ehe für alle“ geben wird. Die Themen in den
       Koalitionsausschuss einzubringen widerspricht ebenso dem Geist des
       Koalitionsvertrages.
       
       Die SPD braucht wie alle Parteien Erfolge. Aber fast noch mehr braucht sie
       Projekte, die nie realisiert werden, aber immer wieder vorgeschlagen werden
       können. Wähler, die die lange Vorgeschichte nicht kennen, freuen sich dann
       über die großartigen neuen Ideen der SPD. (Martin Reeh)
       
       ## Nein, die SPD ist nicht scheinheilig
       
       Ehe für alle! Mehr Arbeitslosengeld für viele! Und viel weniger Gehalt für
       Manager! Täglich grüßt die SPD mit einem neuen Wahlkampfschlager.
       
       Und das ist schön so.
       
       Hatten wir uns nicht jahrelang beklagt, wie brav und bräsig die
       Sozialdemokraten vor sich hin regierten? Ohne eigenen Ehrgeiz und ohne
       eigene Ambitionen, geschweige denn Visionen. Was wollte die SPD eigentlich
       – außer weiterwurschteln? Die meisten Wähler konnten jahrelang kaum noch
       Unterschiede zur Union erkennen.
       
       Nun ist die traditionsreichste Schnarchpartei Deutschlands endlich
       aufgewacht und macht halbwegs deutlich, was sie anders machen würde, wenn
       sie denn allein oder jedenfalls ohne die Union regieren könnte. Das ändert
       nicht sofort die Welt, regt aber wenigstens die politische Fantasie an. Und
       weckt bei vielen Wählern Interesse.
       
       Gott – oder auf Neusozialdemokratisch ausgedrückt – Martin Schulz sei Dank!
       
       Ob die reanimierten SPD-Führungskräfte ihre Lebenszeichen auf Parteitagen,
       Talkshows oder in Koalitionsausschüssen von sich geben, ist zweitrangig.
       Was spricht dagegen, wenn die SPD die letzten Monate ihrer Beteiligung an
       der Großen Koalition auch dafür nutzt, um bei viel beachteten
       Koalitionsrunden überfällige Reformvorschläge wie die komplette Öffnung der
       Ehe für Homo-Paare einzubringen und dadurch kenntlich zu machen, was auch
       mit der scheinbar ach so liberalen Merkel-CDU nicht geht?
       
       Natürlich darf die SPD jetzt bei aller Euphorie nicht das Blaue vom Himmel
       versprechen. Aber wenn sie erst über eigene Pläne reden darf, wenn deren
       Umsetzung hundertprozentig sicher ist, kann sie sich den Wahlkampf gleich
       sparen. Die Bürger wollen wissen, was die SPD selbst will. Dass es in
       Koalitionen Kompromisse geben muss, ist klar – erst recht, wenn sich die
       SPD schlauerweise mehrere Optionen offenhält.
       
       Seit die SPD lauter sagt, was sie verändern möchte, interessieren sich
       jedenfalls ganz offenkundig wieder mehr WahlbürgerInnen für die Politik der
       verlässlich demokratischen Parteien – und weniger für die Sprüche von
       rechtsaußen. Das zeigt sich in bundesweiten Umfragen, aber auch in der
       deutlich gestiegenen Wahlbeteiligung im Saarland. Allein das ist schon ein
       Erfolg. Auch wenn der Sonntag im Saarland gezeigt hat, dass der Schulz-Zug
       keineswegs direkt zu SPD-Wahlsiegen und schon gar nicht automatisch ins
       Kanzleramt fährt.
       
       Die personellen und inhaltlichen Vorstöße der SPD sind kein Selbstläufer.
       Sie scheinen im Gegenteil zu polarisieren. Sie sind deshalb nicht unbedingt
       heilbringend für die Partei, aber gut für die Demokratie. (Lukas Wallraff)
       
       28 Mar 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Martin Reeh
   DIR Lukas Wallraff
       
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