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       # taz.de -- Kolumne Geht's noch: Der Schulzzug fährt
       
       > Die Euphorie für Martin Schulz scheint grenzenlos. Und plötzlich sprechen
       > alle vom „Schulzzug“. Doch was soll das eigentlich bedeuten?
       
   IMG Bild: Schulzzug, ts, ts, ts
       
       Wie ein richtiger Medienstar hatte er auch schon einen kleinen Skandal: Der
       Schulzzug fuhr in einem Online-Spiel Frauke Petry und Wladimir Putin um und
       das sorgte vor ein bisschen mehr als einer Woche für [1][Trubel]. Forsch
       darf der Schulzzug sein, aber bitte nicht gewalttätig.
       
       Schon längst fährt der Schulzzug (bzw. Schulz-Zug) durch die Meldungen und
       Kommentare in Zeitungen, im Radio, im Fernsehen. Zum Beispiel nach der
       Saarland-Wahl: „Haltesignal für den Schulz-Zug“ ([2][FAZ]) oder „Schulz-Zug
       ist doch kein ICE“ ([3][„heute-journal“]).
       
       Manchmal, wenn in Medien Dinge laut gefeiert oder ausgebuht werden, ist die
       Aufregung ein bisschen künstlich. Als ob alle Journalist*innen zusammen in
       einem kleinen Zimmer stehen und versuchen, sich zu übertönen. Draußen tote
       Hose, drinnen Mordsgeschrei.
       
       Doch in diesem Fall scheint es tatsächlich etwas zu geben, das es zu
       benennen gilt. Der Schulzzug steht für 10.000 neue Parteieintritte, für
       lächelnde SPD-Gesichter, für 100 Prozent der gültigen Stimmen. Die Kür von
       Martin Schulz hat etwas losgetreten, das irgendwie mit Euphorie beschrieben
       werden kann. Oder eben mit einem Schnellzug, der an einem vorbei rauscht.
       
       Es ist fast absurd, wie schnell sich die Zug-Metapher etabliert hat. Dabei
       funktioniert sie als Sinnbild nicht so richtig. Was soll das denn bedeuten?
       Ist Martin Schulz der Zug? Ist er der Schaffner? Wo fährt er hin? Wo macht
       er Halt? Wen nimmt er mit? Alles Fragen, die noch von keinem Leitartikel
       beantwortet wurden.
       
       Nicht so schlimm – wir wissen, was gemeint ist. Deshalb gibt es doch
       Sprache. Es muss nicht immer alles Sinn machen. Beziehungsweise ergeben.
       Hauptsache wir verstehen uns.
       
       ## Ein Metaphern-Coup
       
       „Schulzzug“, das klingt wie aus der Texterstube einer PR-Agentur als Teil
       der großen Martin-Schulz-Show. Sein ganzes Auftreten ist sehr klug
       inszeniert. Dass Schulz zum Beispiel oft in einer Art Arena spricht, wie
       auf dem Sonderparteitag, wo er Kanzlerkandiat wurde. Der Effekt ist, dass
       auf den Fotos – egal aus welcher Richtung geschossen – Menschen im
       Hintergrund zu sehen sind. „Volksnah“ lautet die Subbotschaft. Genial.
       
       So gesehen ist auch der Schulzzug perfekt. Lauter positive Assoziationen
       gibt es dazu: Bodenständigkeit, Kraft, Durchsetzungsstärke, Arbeiterklasse.
       Alles oldschool sozialdemokratisch. Außerdem zischt es zwischen den beiden
       Silben so schön.
       
       Im besten Fall macht eine Metapher alle klüger, weil ihre Bildhaftigkeit
       eine neue Bedeutung schafft. Benennt der Zug also das, worum es geht? Das
       Interessante am Phänomen Schulz ist ja nicht unbedingt der Mann, sondern
       seine Wirkung.
       
       Im Theater würde man sagen: Die anderen spielen immer den König. Nicht wie
       der König geht, steht, spricht ist entscheidend, sondern wie alle anderen
       auf ihn reagieren. Insofern klingt der Schulzzug zwar nett und man muss
       sich beim Schreiben nicht allzu viele Gedanken mehr machen, was man das
       beschreibt. Aber vielleicht sollten wir trotzdem den Schulzzug anhalten
       (oder sagt man „aussteigen“? Keine Ahnung) und uns eine neue
       Lieblingsmetapher suchen.
       
       31 Mar 2017
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.spiegel.de/netzwelt/games/martin-schulz-spielentwickler-entfernen-frauke-petry-aus-schulzzug-game-a-1139763.html
   DIR [2] http://www.faz.net/aktuell/politik/wahl-im-saarland/wahl-im-saarland-schulz-effekt-erfaehrt-einen-daempfer-14944276.html
   DIR [3] https://www.zdf.de/nachrichten/heute-journal/Saarland_Wahl_Kommentar_Peter_Frey-100.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Amna Franzke
       
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