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       # taz.de -- Repression gegen Muslime in Indien: Klassenkampf um die heilige Kuh
       
       > Nach dem Sieg in einer wichtigen Regionalwahl lässt die
       > hindunationalistische BJP Schlachthäuser schließen. Nun streiken
       > muslimische Fleischhändler.
       
   IMG Bild: Viele seiner Kollegen streiken derweil
       
       Neu Delhi dpa | Kaum ein Mensch läuft durch die Straße mit den Fleischläden
       in der Stadt Noida. Gut 30 Kilometer sind es bis zum Zentrum der indischen
       Hauptstadt Neu Delhi. Grüne Stoffplanen hängen vor den Geschäften. Gut eine
       Woche lang haben die Händler sich hinter dem Stoff versteckt, wie der
       Fernsehreporter des Senders NDTV erzählt. Seit einigen Tagen sind die Läden
       ganz geschlossen.
       
       Im größten indischen Bundesstaat Uttar Pradesh (UP) spitzt sich zurzeit ein
       Konflikt zu, der seit der Wahl der indischen Regierung im Jahre 2014 gärt.
       Damals löste die hindu-nationalistische Partei BJP unter Premierminister
       Narendra Modi die Vorgängerregierung ab, die das Land mehr als zehn Jahre
       lang regiert hatte.
       
       Modi war mit dem Versprechen angetreten, den Reformstau des Landes
       aufzulösen. Kritiker warnten, dass das Leben unter ihm insbesondere für die
       religiöse Minderheit der Muslime deutlich schwerer werden dürfte – gilt die
       BJP doch als deutlich stärker hinduistisch geprägt als die
       Vorgängerregierung unter der Kongresspartei.
       
       In UP erhalten diese Befürchtungen zurzeit neue Nahrung. Seit knapp zwei
       Wochen regiert die BJP auch dort. In einem Erdrutschsieg gewann die Partei
       312 von 403 Mandaten – und installierte anschließend den
       [1][polarisierenden Hindu-Priester Yogi Adityanath als Regierungschef].
       
       Als eine seiner ersten Amtshandlungen ließ Adityanath ein knappes Dutzend
       der 41 großen Schlachthäuser und unzählige kleine Fleischgeschäfte in Uttar
       Pradesh schließen. „Unsere Razzien richten sich gegen illegale
       Schlachthäuser“, sagte er in einer Ansprache. „Wir können diese illegalen
       Geschäfte nicht erlauben.“ Als Reaktion begannen die Fleischhändler am
       Montag einen unbefristeten Streik.
       
       ## Durch die Hindus gegängelt
       
       Die BJP setzt ein Wahlversprechen um. Einerseits wolle man das Leben von im
       Hinduismus heiligen Kühen schützen. Immer wieder hatten BJP-Politiker
       gesagt, dass in den Schlachthäusern illegal Rindfleisch verarbeitet werde.
       Andererseits seien die Schlachthäuser eine Gefahr für die Umwelt. Faulende
       Tierkadaver und –blut würden die Bevölkerung krank machen, sagt etwa der
       BJP-Sprecher GVL Narishma Rao.
       
       Inoffiziell verläuft die Konfliktlinie jedoch nicht zwischen Kuhschützern
       und –schlachtern, sondern zwischen Hindu-Hardlinern und der muslimischen
       Minderheit. Seit Jahrhunderten ist ein großer Teil der Schlachter in Indien
       muslimisch – und nun fühlt er sich von der Hindu-Mehrheit gegängelt. „Hier
       wird unter dem Deckmantel des Tierschutzes eine politische und religiöse
       Agenda durchgesetzt“, sagt Sanober Ali Qureshi von der
       Fleischhändler-Vereinigung AIJQAC. „Das aktuelle Vorgehen der Regierung in
       UP betrifft fast eine Million Menschen. Wir haben Angst, fühlen uns
       verstoßen und diskriminiert.“
       
       Die Stimmung ist nicht nur in UP aufgeheizt. Seit Dienstag zwingt die
       radikal-hinduistische Gruppe Shiv Sena in Gurgaon, einem anderen Vorort Neu
       Delhis, ihre Mitbürger zum Fleischverzicht. Man erwarte Rücksicht auf das
       neuntägige Hindu-Fest Navratri, während dessen strenggläubige Hindus sich
       ausschließlich vegetarisch ernähren, sagte ein Sprecher. Deshalb habe man
       nicht-vegetarische Restaurants und Geschäfte gebeten, so lange zu
       schließen. In vier weiteren Bundesstaaten habe es ähnliche Aktionen
       gegeben, berichtete der Fernsehsender „India Today“. In allen von ihnen
       regiert die BJP.
       
       „Das heißt nicht, dass die BJP hinter den Schließungen der Fleischgeschäfte
       steckt“, sagt die politische Autorin Saba Naqvi. „Die Partei tut aber auch
       nichts um zu zeigen, dass sie gegen diese Belästigungen ist.“ Das
       politische Klima begünstige zurzeit auch radikalere hinduistische Gruppen,
       die Einfluss gewinnen wollten.
       
       BJP-Sprecher Rao widerspricht: „Niemand darf das Gesetz in die eigene Hand
       nehmen. Wir befinden uns nur in einer Übergangszeit von einem Uttar Pradesh
       ohne Gesetze zu einem, in dem die Gesetze gelten.“ Für den AIJQAC-Mann
       Qureshi ist dies für die muslimische Minderheit aber höchstens teilweise
       wahr: „Die Maßnahmen gegen die Fleischhändler verletzen ihr Recht auf eine
       berufliche Existenz.“
       
       1 Apr 2017
       
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