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       # taz.de -- Staatskrise in Venezuela: Parlament kriegt Macht zurück
       
       > Präsident Maduro macht Druck auf den Gerichtshof, der seine Entscheidung
       > überprüft und einkassiert. Das von der Opposition dominierte Parlament
       > hat seine Rechte wieder.
       
   IMG Bild: Druck von der Straße: Anhänger der Opposition demonstrieren gegen die Entscheidung des Gerichtshofs
       
       Caracas dpa | Der Oberste Gerichtshof in Venezuela hat am Samstag die
       umstrittenen Urteile zur Entmachtung des Parlaments und zur Aufhebung der
       Immunität der Abgeordneten zurückgenommen. Zuvor hatte der Nationale
       Sicherheitsrat unter Vorsitz von Präsident Nicolás Maduro eine Überprüfung
       der international scharf kritisierten Urteile gefordert.
       
       Damit bekommt das von der Opposition dominierte Parlament seine Kompetenzen
       zurück. Allerdings hatte Maduro zuletzt ohnehin mit Dekreten regiert – und
       das Gericht viele Parlamentsentscheidungen annulliert.
       
       Der ungewöhnliche Vorgang eines Zurückruderns zeugt auch von großer
       Uneinigkeit im Machtapparat der seit 1999 regierenden Sozialisten. Die
       Opposition hatte von einem „Staatsstreich“ gesprochen, die Urteile Nr. 155
       und Nr. 156 würden den Weg in Richtung Diktatur ebnen. Für Samstag waren
       trotz der neuen Wende Massendemonstrationen gegen die jüngste Eskalation
       geplant.
       
       Das Land mit den größten Ölreserven der Welt ist unter Maduro in eine
       dramatische Versorgungskrise gerutscht. Die Inflation ist die höchste der
       Welt. Maduro macht für den Mangel an Lebensmitteln, Brot und Medikamenten
       einen „Wirtschaftskrieg“ des Auslands verantwortlich und bat zuletzt sogar
       die Vereinten Nationen um die Lieferung von Medizin. Wegen der
       Geldentwertung des Bolívar können in Dollar und Euro abgerechnete Importe
       kaum noch bezahlt werden.
       
       ## Zweidrittel-Mehrheit der Opposition
       
       Die Opposition hatte die Parlamentswahl im Dezember 2015 mit
       Zweidrittel-Mehrheit gewonnen. Mit Hilfe des von den Sozialisten
       kontrollierten Gerichtshofs wurden Parlamentsentscheidungen aber häufig
       annulliert und Maduro regierte vermehrt mit Notstandsdekreten.
       
       Der Sicherheitsrat betonte nach der Sitzung am Samstagmorgen, Ziel sei es,
       die „institutionelle Stabilität und das Gleichgewicht der staatlichen
       Gewalten“ aufrechtzuerhalten. Dies war auch eine Reaktion auf die massive
       Kritik der Generalstaatsanwältin Luisa Ortega Díaz, die das Urteil
       öffentlich als „Verfassungsbruch“ angeprangert hatte.
       
       „Als oberste Repräsentantin des Ministerio Público, im Namen von 10.000
       Mitarbeitern und fast 3.000 Staatsanwälten, die in unabhängiger Weise ihre
       Aufgaben erfüllen, rufe ich zum Nachdenken auf, damit der demokratische Weg
       gewählt wird, dass die Verfassung respektiert wird“, hatte Ortega Díaz
       betont.
       
       Der Gerichtshof hatte am Mittwoch mit Urteil 156 der Nationalversammlung
       ihre Kompetenzen entzogen und auf sich selbst übertragen. Außerdem hob das
       Gericht einen Tag zuvor bereits die Immunität der Abgeordneten auf. Nun
       wurden diese beiden scharf kritisierten Urteile wieder kassiert.
       
       ## Streit zwischen Gerichtshof und Parlament
       
       Der Gerichtshof wird von einem vorbestraften Sozialisten geführt. Das
       Gericht warf dem Parlament Respektlosigkeit und unzureichende
       Zusammenarbeit mit den anderen Staatsgewalten vor. Das Parlament nannte das
       einen „Staatsstreich“ und sieht Maduro als Treiber dabei.
       Parlamentspräsident Julio Borges warnte vor einer Diktatur Maduros.
       
       Als Folge des Urteils hätte der auch in eigenen Reihen umstrittene
       Nachfolger des 2013 verstorbenen Hugo Chávez eine enorme Machtfülle
       bekommen. Es ist aber unklar, ob zum Beispiel das Militär noch komplett
       hinter ihm steht. Das Land verfügt über die größten Ölreserven der Welt und
       ist eine wichtige Regionalmacht in Südamerika. Zunächst hatte der
       54-Jährige das Urteil verteidigt: „Die Revolution wird sich konsolidieren.“
       Er bezeichnete die Opposition als „rechte Putschisten“, die hätten schon
       Champagner kaltgestellt.
       
       Für die deutsche Bundesregierung hatte Regierungssprecher Steffen Seibert
       scharfe Kritik geäußert: „Es ist unerträglich, wie Präsident Maduro die
       Bevölkerung seines Landes zur Geisel seiner eigenen Machtambitionen macht.“
       Peru berief seinen Botschafter ab, Kolumbien und Chile beorderten ihre
       Vertreter zu Beratungen in die Heimat.
       
       Unterdessen kam es in Caracas zu Repressalien und Festnahmen bei Protesten.
       Eine Rundfunkjournalistin wurde von bewaffneten Polizisten angegriffen, zu
       Boden geworfen und weggeschleppt. Sie wollte vor dem Gerichtshof über die
       Lage berichten. Die Venezolanerin arbeitet für den kolumbianischen Sender
       Caracol. Die Regierung in Bogotá verurteilte den Angriff scharf. In der
       Rangliste der Pressefreiheit lag Venezuela 2016 auf Platz 139 von 180 – im
       Februar wurde wegen missliebiger Berichte der US-Sender CNN abgeschaltet.
       
       1 Apr 2017
       
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