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       # taz.de -- Die Wahrheit: Jesse von Nazareth
       
       > Die Wahrheit-Ostergeschichte: Ein Mann kämpft sich durchs Leben und wird
       > im wilden Osten zum Helden für alle Waffennarren.
       
       Vor einem Jahr erregte die Neufassung eines bekannten Märchens Aufsehen,
       die die US-Waffenlobby National Rifle Association in Auftrag gegeben hatte:
       Ein wehrhaftes Rotkäppchen verjagt darin den Wolf mit seinem Gewehr. Nun
       hat die NRA nachgeladen und pünktlich zu Ostern 2017 eine jugendgerechte
       Fassung der Jesus-Geschichte erstellt, die alle bisherigen pazifistischen
       Verzerrungen korrigiert.
       
       Dies ist die Geschichten von Jesus. Ihr habt vielleicht schon von ihm
       gehört. Leider werden oft ganz falsche Sachen über ihn erzählt. Hier
       erfahrt ihr die Wahrheit.
       
       Jesus war der Sohn der berühmten Wrestlerin „Bloody Mary“. Weil sie nie
       einen einzigen Kampf verloren hat, erhielt sie später den Ehrentitel „The
       Virgin“ – woraus sich noch später ihr Spitzname „Unbloody Mary“ ergab.
       Verheiratet war sie mit einem Loser namens Joseph James, aber der Vater von
       Jesus war wohl der legendäre Wrestler „Godfather“. Es ist nur dem Einsatz
       tapferer Lebensschützer zu verdanken, dass das Kind überhaupt zur Welt kam.
       Und beinahe hätte es Ben Hur geheißen.
       
       ## Geburt im Bunker
       
       Jesus wurde mitten im Krieg in einem Bunker auf dem Truppenübungsplatz
       Nazareth geboren – zu seiner Rechten bewachte ihn ein Schützenpanzer, zu
       seiner Linken ein Raketenwerfer. Über Fox News verkündete die Moderatorin
       mit dem Namen „Fightin’Angel“ den Soldaten im Felde die frohe Botschaft:
       „Euch ist heute ein Kämpfer geboren, der uns irgendwann alle raushauen
       wird.“
       
       Wenige Tage nach seiner Geburt bekam Jesus Besuch von drei Generälen – und
       je einer kam von der Navy, der Air Force und der Army. Sie brachten ihm
       Geschenke: einen goldenen Colt, geweihte Munition und die Visitenkarte
       eines mürrischen Schießlehrers. John, ein Kumpel seiner Eltern, taufte den
       Kleinen später mit Waffenöl auf den Kampfnamen Jesse.
       
       Was war dieser Jesse nun für ein Typ? Er war immer für seine Kameraden da
       und half den Schwächeren in der Schule, wenn er sah, dass sie bedroht
       wurden. Die größte Bedrohung sah er in den „Streitschlichtern“, die die
       Verteidigungs- und Kampfbereitschaft seiner Freunde untergraben wollten.
       Deshalb warf er ihre Infostände immer um und prügelte sie irgendwann ganz
       aus der Schule.
       
       Einmal hatten sie wieder Religion bei Herrn Dr. Berg. Er erklärte ihnen die
       Gebote wie zum Beispiel: „Du sollst nicht töten.“ Irgendwann reichte es
       Jesse: Er schoss den Lehrer über den Haufen, stellte sich auf die Leiche
       und predigte seinen Kameraden die Wahrheit: „Es steht geschrieben: Du
       sollst nicht töten. Ich aber sage euch: Du sollst dich und deine Familie
       verteidigen, deinem Nächsten misstrauen und deine Feinde töten. Wie auch
       alle Verdächtigen, wenn sie schwarz sind, und alle Muslime. Aber du sollst
       fair sein und deine Waffe immer offen tragen.“
       
       Außerdem sprach er: „Wer euch dumm kommt, kriegt nicht nur auf die rechte
       Wange, sondern auch auf die linke.“ Und am Ende führte er sie ans Fenster
       und zeigte stolz auf die Farm seines Vaters: „Sehet die Vöglein auf dem
       Feld liegen. Ich habe sie mit der Schrotflinte vom Himmel geholt. Wer nicht
       sät, soll uns auch nicht die Ernte wegpicken.“
       
       Von nun an war Jesse berühmt. Jeder wollte mit ihm in den Schießstand gehen
       und danach ein Bier mit ihm trinken. Und viele erhofften sich wahre Wunder
       von ihm. Und diese Wunder geschahen tatsächlich: Verklemmte Bolzen lösten
       sich wieder; angeschossene Kameraden konnten wieder gehen; eine von Jesse
       gesegnete Flak holte drei feindliche Flugzeuge gleichzeitig vom Himmel; und
       das Brot aus der Feldküche schmeckte plötzlich wie das von Mom. Bekannt
       wurde Jesse auch durch die Heilung eines Taubstummen: Er feuerte sein
       Gewehr direkt neben dessen Ohr ab. Seit da konnte der arme Mann immerhin
       wieder das Singen der Engel hören. Jesus erzählte den Menschen auch viele
       Geschichten. Manche waren ein bisschen verwirrend, aber am Ende schossen
       einfach immer alle Salven in die Luft und waren froh. Zum Beispiel brachte
       er das berühmte Senf-Gleichnis: Wenn jeder nur den Gegenwert eines Glases
       Senf zusätzlich an Steuern bezahlt, kann die Army zehn neue Panzer kaufen.
       (Wegen dieser Geschichte bekam er aber Ärger mit den Pharisäern, die
       sagten, dass niemand Steuern zahlen müsse und der Staat auch so genügend
       Geld habe. Und überhaupt solle er gefälligst mal zum Friseur.) Auch die
       Geschichte des barmherzigen Armariters rührte die Menschen zu Tränen.
       Einmal fand einer von ihnen auf der Straße einen Mann, der ausgeraubt
       worden war. Sofort eilte er los und erschoss mehrere Verdächtige. Andere
       hingegen waren achtlos vorübergegangen.
       
       ## Scharen zu Schwertern
       
       Wegen seiner klaren Ansagen und seiner vielen Kämpfe bekam Jesse mehr und
       mehr Ärger mit den Sozialarbeitern, die die Polizei unterwandert hatten. An
       einem Sonntag fuhr er mit seinem Hummer in die Stadt Jerusalemtown und
       besuchte dort eine Waffenfabrik, in der nutzlose Pflugscharen zu
       Friedensschwertern umgebaut wurden. Das konnten die Pazifisten nicht
       ertragen. Sie beschlossen, seine Verhaftung in die Wege zu leiten – und
       bekamen dabei Hilfe von einem Verräter. Jesses Freund Judas ließ sich mit
       Geld bestechen und nahm vor dem großen Barbecue heimlich das Magazin aus
       Jesses Colt.
       
       Als die feigen Sozialarbeiter mit ein paar Polizisten am Lagerfeuer
       erschienen, forderte Jesse seine zwölf Kumpels auf, sich zu wehren und ihm
       zu helfen. Aber ausgerechnet sein treuer Kumpel Pete behauptete dreimal
       nacheinander, er habe Ladehemmung. Zum Glück hatte Jesse seine Pumpgun
       griffbereit und entging nach einem heftigen Schusswechsel der
       Gefangennahme. Seine Flucht in Kampfsandalen ist mehrfach verfilmt worden.
       
       In seinem gerechten Zorn befreite er am nächsten Tag im
       „Karfreitagsmassaker“ – wie einst vom Propheten Amok vorhergesagt – alle
       Patrioten und Evangelikalen und erschoss viele Muslime und Politiker. Dann
       zog er sein Fahrtenmesser und schnitzte in das hölzerne Kreuz, das zur
       Verhöhnung der Steuerzahler vor dem Finanzamt stand, die stolzen Buchstaben
       NRA. Das bedeutete „Nazareth Rules by Arms“.
       
       Leider wurde er danach wegen einer List seiner Feinde doch
       gefangengenommen: Sie nahmen die Leiter weg, mit der er auf das Kreuz
       geklettert war. Viele Menschen weinten, als sie von der Verhaftung hörten.
       Sie wussten: Zum ersten Mal im Leben ohne eine Schusswaffe zu sein, würde
       ihn töten.
       
       Zwei Tage später entschlossen sich seine wahren Freunde dennoch zum
       Handeln: Die Young People’s Army stürmte das Gefängnis der Feinde und
       befreite ihren totgeglaubten Kameraden Jesse. Dabei tötete sie mindestens
       22 feindliche Kämpfer.
       
       ## Kult im Himmel
       
       Danach war Jesse endgültig Kult. Vierzig Tage lang wandelte er über die
       Erde und verteilte Waffen und Munition an die Armen. Und an die Armeen.
       Schließlich sah er, dass es für ihn hier nichts mehr zu tun gab, und er
       bestieg eine Rakete mit interstellarer Artillerie, um den Aliens so richtig
       einzuheizen. Und tatsächlich: In einer zehntägigen Armageddon-Schlacht
       erledigte er alle Feinde da draußen. An Pfingsten ergoss sich das grüne
       Blut der Aliens über die Erde. Jesse hatte dank seiner Waffen für immer
       Frieden geschaffen.
       
       15 Apr 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Oliver Domzalski
       
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