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       # taz.de -- Kolumne Kapitalozän: Tod, wo ist dein Klo?
       
       > Die Wissenschaft will das Altern besiegen und Opa Ray hofft auf ein Leben
       > im Cyberspace. Warum einem da das Grausen kommt und Scheiße hilft.
       
   IMG Bild: Kolumnenhund Roy (Name geändert) will aus Datenschutzgründen nur unscharf abgebildet werden.
       
       Nur sehr Weniges gibt uns heute, in diesen schweren Zeiten des generellen
       Verfalls, noch Trost. Ostern dachte ich wieder darüber nach, als ich mit
       dem Hund ging. Mürrisch war er, weigerte sich, ob des Regenwetters Gassi zu
       gehen, alles Ziehen und Zerren an der Leine half nichts, man kann das Tier
       ja nicht zu seinem Glück schleifen.
       
       Es kackte nur kurz an Ort und Stelle, auf dem Gehsteig vorm Haus. Und nicht
       einmal dieser Anblick spendete mir noch Freude; wie der Hundeschwanz sich
       krümmte vom Pressen. Ich musste dabei wie immer an Neil Armstrong und
       Wendelin Wiedeking denken.
       
       Wissen Sie, man leidet als empathisches Wesen ja oft wie ein Hund, weil der
       Mensch so absurd ist. Der eine geht hungrig und voller Furcht zu Bett, der
       andere badet in Champagner und frisst für hunderttausend Dollar ein Filet,
       geschnitten aus dem Rücken des vorletzten nördlichen Breitmaulnashorns. Da
       schreit die Seel’ nach überirdischer Gerechtigkeit. Leider hab ich den
       Glauben vor einigen Jahren im Cowboyclub Bassy am Rosenthaler Platz
       volltrunken am Tresen vergessen, seitdem muss mir Anderes als das Göttliche
       Trost spenden. Ich fand Ersatz durch die Entdeckung zweier wundervoller
       Prinzipien: die Scheiße und der Tod. Das ist es, was mir Erlösung gibt.
       
       Doch jetzt ist alles in Gefahr. Ich las es im Spiegel und der Zeit. Die
       beiden führenden deutschen Welterklärungspublikationen veröffentlichten,
       rein zufällig kurz hintereinander, zwei erkenntnistheoretisch gleichförmige
       Artikel zum Thema ewiges Leben. Zu lesen war, dass Wissenschaftler kurz
       davor stünden, die Lebensspanne des Menschen ungehörig zu verlängern, gar
       das Altern zu besiegen. Die Zeit hielt die Versuche für erfolgversprechend.
       Der Spiegel schrieb, bei gleichem Recherchestand, dass sei wohl Hamburg.
       Ich meine: Humbug.
       
       Erwähnung fand auch Googles Tech-Messias Ray Kurzweil. Der hofft im Jahr
       2045, er feiert dann seinen 97. Geburtstag, sein Gehirn auf eine Festplatte
       hochzuladen und so im Cyberspace Unsterblichkeit zu erlangen.
       
       Was sagt der Hund dazu? Alles Leben muss ausscheiden, sagt der Hund. Das
       Bewusstsein darüber schafft Verbundenheit und Gleichheit zwischen Mensch
       und Mensch, Mensch und Tier. Ich kenne diese Gefühl der allumfassenden,
       exkrementären Verbundenheit auch vom Anblick beiläufig kotender Tauben,
       konzentriert kackender Katzen, in steifem Strahle strullender Pferde;
       einmal pieselte ich neben Ex-Porsche-Chef Wendelin Wiedeking. Mein Nachbar
       arbeitete bei einer altehrwürdigen Wissenschaftseinrichtung in London. Dort
       ging er aufs Klo und traf Neil Armstrong und Buzz Aldrin am Urinal.
       
       Ja, nur beim Pinkeln, Scheißen und im Tod sind wird wahrlich klassenlos,
       egal ob arm oder reich, Hund oder Herrchen, Taube oder Tourist. Hier endet
       die Macht des Geldes. Hier fault der König neben dem Bettler zu Humus. Wer
       braucht da noch Himmel und Hölle, wer braucht da noch „Börse vor acht“ mit
       Markus Gürne oder Anja Kohl live von der Frankfurter Börse?
       
       Ich fordere Artenschutz für den Tod und stelle Bedingungen an Ray Kurzweil:
       Im Cyberspace wird gekackt, und nach drei Leben ist Game over.
       
       22 Apr 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ingo Arzt
       
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