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       # taz.de -- Geflüchtete stranden in Mali: Der Weg ist versperrt
       
       > Der Bundeswehrstandort Gao in Mali gilt als Drehkreuz für afrikanische
       > Migranten und Flüchtlinge. Für viele wird er zur Sackgasse.
       
   IMG Bild: Es gibt nicht viel zu tun im Haus der Migranten in Gao – Alpha Mahamadou Diallo schaut fern
       
       Gao taz | Alpha Mahamadou Diallo starrt stumm auf den Fernseher. Er trägt
       ein schwarzes, zerschlissenes T-Shirt, eine gelbe Sporthose, am rechten
       Handgelenk eine Uhr. Zwei Passbilder hält er in der linken Hand und spielt
       mit ihnen. Das rechte Auge ist angeschwollen, als ob er sich geprügelt und
       verloren hätte. Diallo ist ein schmächtiger Jugendlicher.
       
       Die beiden Passbilder sind die einzigen Dokumente, die ihm noch geblieben
       sind. „Den Rest haben sie mir abgenommen“, sagt der 16-Jährige kurz und
       abgehackt. Sie – das sind die Schlepper oder deren Komplizen, die ihn
       Richtung Norden bringen sollten. Jetzt ist er in Gao gestrandet.
       
       Solche Schicksale hört Eric Alain Kamdem oft. Er arbeitet im Haus der
       Migranten mitten in Gao. Seit mehr als zehn Jahren ist die Stadt im
       Nordosten Malis Treffpunkt für Menschen, die aus Westafrika nach Nordafrika
       und Europa aufbrechen wollen oder von dort zurückkehren. Die Einrichtung
       ist spartanisch, vor dem Fernseher steht eine Holzbank. Wer hier
       übernachtet, bekommt eine Matratze und etwas zu essen. Auch Arztbesuche
       werden organisiert. Betreiber ist die katholische Kirche.
       
       Gao in Mali ist als Drehkreuz für Migration nicht so bekannt wie Agadez in
       Niger. Laut Eric Alain Kamdem ist es aber ebenso wichtig, weil von hier aus
       die algerische Grenze erreicht werden kann, wenn auch unter großer Gefahr.
       Das hat auch Alpha Mahamadou Diallo erlebt. Seine Heimat Senegal wollte er
       verlassen, um Arbeit zu finden. „Mein Bruder ist in Algerien und hat
       gesagt, dass es dort viele Möglichkeiten gibt. Er hat alles organisiert und
       bezahlt. Zum Beispiel meinen Pass.“ Der 16-Jährige starrt jetzt nicht mehr
       auf den Fernseher, sondern auf den blank gescheuerten Boden. Sein Bruder
       hat viel Geld in ihn investiert und er hat es verloren.
       
       Als Diallo in Gao ankam, brachte ihn ein Schlepper in einem besonders
       heruntergekommenen Viertel unter. Er sollte warten. Dann passierte nichts.
       Schließlich wurde er ausgeraubt. Nun hat er weder Papiere noch Handy oder
       Geld. „Alles ist weg.“ Schlimmer noch: Einheimische nannten ihn einen Dieb.
       Er wurde auf der Straße verfolgt. Diallo rannte, versteckte sich, wurde
       gefunden und doch laufengelassen. „Ich habe beteuert, dass ich kein Dieb
       bin.“ Der 16-Jährige kam ins Haus der Migranten.
       
       ## Wüste und Kriegsgebiet
       
       Kamdem beobachtet ihn von seinem Schreibtisch aus. „Für viele ist es schon
       ein Kampf, überhaupt nach Gao zu kommen“, erklärt er. Verzweiflung würde
       die Migranten antreiben und das bei extrem steigenden Preisen. Vor einigen
       Jahren hätte die Strecke von Bamako zur algerischen Grenze umgerechnet etwa
       70 Euro gekostet. Heute habe sich der Preis mehr als verdreifacht.
       
       Als besonders gefährlich gilt die Strecke von Gao bis zur algerischen
       Grenze. Es ist Wüste – und Kriegsgebiet. Kamdem berichtet: Die Schlepper
       würden versprechen, die Reisewilligen bis nach Algerien zu bringen, sie
       dann aber vorher irgendwo in der Wüste aussetzen. Dann seien sie
       bewaffneten Banden oder islamistischen Gruppen ausgeliefert, die sie
       entführten. Die Migranten würden unter Folter gezwungen, bei ihren Familien
       anzurufen. Ihre Angst- und Schmerzensschreie sorgten dafür, dass ohne zu
       zögern Lösegeld gezahlt wird, per Handyüberweisung. Mittlerweile lässt sich
       in die entlegensten Regionen problemlos Geld schicken. Die Summen von
       umgerechnet rund 100 Euro sind klein genug, dass Familien sie schnell
       aufbringen können.
       
       In den vergangenen Wochen hat Eric Alain Kamdem mit Sorge beobachtet, dass
       sich die Angriffe auf Migranten bis nach Gao ausbreiten. Diallo hatte da
       noch Glück. „Wir waren mal eine Region für Touristen. Doch durch die Krise
       kommt niemand mehr.“ Stattdessen stehen Tausende ausländische Soldaten in
       Gao – UN-Blauhelme, Franzosen, auch Bundeswehrsoldaten in der UN-Mission
       Minusma. Es kommt manchmal mehrmals pro Woche zu Anschlägen. Niemand
       investiert mehr.
       
       „Heute sind 99 Prozent der jungen Menschen arbeitslos“, schätzt Eric Alain
       Kamdem. Um zu überleben, schließen sich viele bewaffneten Gruppen an. Die
       Migranten sind leichte Opfer, niemand fühlt sich für ihren Schutz
       zuständig.
       
       Diallo starrt wieder auf den Fernseher. Er weiß, er muss wieder losziehen.
       Aber in welche Richtung? Irgendwann sagt er leise: „Vielleicht gehe ich
       doch zurück in den Senegal.“
       
       19 Apr 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Katrin Gänsler
       
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