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       # taz.de -- Dokumentarfilm „Nervöse Republik“: Inszenierte Nähe
       
       > Wie agiert die politische Klasse in Zeiten von Pegida, Brexit und Trump?
       > Eine ARD-Doku zeigt, wie PolitikerInnen und Medien für Erregung sorgen.
       
   IMG Bild: Die ProtagonistInnen des Films bei einer Podiusmdiskussion mit Anne Will (3.v.l.)
       
       1. Mai 2016, Zwickau: Justizminister Heiko Maas steht auf der Bühne einer
       Gewerkschaftsveranstaltung und wird beschimpft. „Volksverräter“, rufen
       einige. Spiegel Online nennt [1][sie später „mutmaßlich Rechte“]. Maas
       selbst ist kaum zu verstehen. Nach der Rede springt er schnell ins Auto und
       fährt weg. Auf so viel Hass sei er nicht vorbereitet gewesen, sagt er
       schockiert in „Nervöse Republik – Ein Jahr Deutschland“.
       
       Das ist der Ausgangspunkt für die Doku von Stephan Lamby. Ihn habe
       interessiert, wie die politische Klasse – also PolitikerInnen und
       Hauptstadtpresse – in Zeiten von Pegida, Brexit, Trump agiert, sagte er bei
       der Vorstellung des Films. Patricia Schlesinger, die die Produktion betreut
       hat (heute ist sie RBB-Intendantin), diagnostizierte: „Empörung und
       Gegenempörung kreisen immer schneller umeinander.“
       
       Die ARD ist stolz auf diesen Film. Der Regisseur ist für seine
       Politikerporträts bekannt und preisgekrönt. Er hat schon Dokus über Joschka
       Fischer, Fidel Castro und Angela Merkel gedreht. Für „Nervöse Republik“
       konnte er eine ganze Reihe prominenter ProtagonistInnen gewinnen: Frauke
       Petry (AfD), Sahra Wagenknecht (Die Linke), die Generalsekretäre Katharina
       Barley (SPD) und Peter Tauber (CDU) sowie die Bundesminister Thomas de
       Maizière (CDU) und Heiko Maas (SPD). Dazu kommen: Bild.de-Chef Julian
       Reichelt, Spiegel-Chefredakteur Klaus Brinkbäumer, der Blogger Tilo Jung.
       
       Lambys Film beschäftigt sich nicht mit den aufgebrachten oder
       verunsicherten Menschen. Woher der ganze Hass kommt, wird nicht erklärt.
       Deshalb führt der Titel in die Irre. Der Film handelt vielmehr von
       politischer Inszenierung und medialer Verwertung. Von Politik und Medien,
       die gleichermaßen um Aufmerksamkeit und Erregung buhlen.
       
       ## Erregung organisieren statt Nachrichten abbilden
       
       Fast ein Jahr hat Lamby gedreht. Der Film hangelt sich an politischen und
       medialen Ereignissen entlang: die Brexit-Nacht in der
       Spiegel-Online-Redaktion, Barley und Tauber auf dem Weg zum Interview nach
       der Berliner Abgeordnetenhauswahl, Bundesparteitag der AfD.
       
       Der Film zeigt die ProtagonistInnen immer wieder in Transitsituationen: im
       Aufzug, im Auto zwischen zwei Terminen, wartend auf den Gängen. Es ist der
       Versuch, nah dran zu sein. Doch es bleibt bei dem Versuch. Die Nähe wirkt
       fast inszeniert. Überraschend ist der Film hier nicht.
       
       Doch es gibt ein paar interessante Szenen. Am Tag nach dem EM-Aus der
       deutschen Fußballnationalmannschaft twittert die AfD-Politikerin Beatrix
       von Storch, dass eine „deutsche“ Mannschaft nicht ausgeschieden wäre.
       Julian Reichelt steht in der Bild.de-Redaktion mit seinem Smartphone in der
       Hand und regt sich auf. Kurz danach Stehkonferenz: Wie soll diese Nachricht
       auf Bild.de platziert werden? Gibt es andere AfD-Stimmen? Ein Kollege sagt:
       Kein Problem. „Eine Rüge aus der Partei können wir organisieren.“ Will
       heißen: Lasst uns mal in den Bienenstock pieksen, dann haben wir unseren
       Skandal.
       
       „Nervöse Republik“ zeigt einen Medienbetrieb, in dem es nicht nur darum
       geht, Nachrichten abzubilden, sondern Erregung zu organisieren. Genau
       deshalb ist der Film interessant. Welche Rolle er aber selbst einnimmt,
       welches Interesse die SpitzenpolitikerInnen haben, sich hinter den sonst
       verschlossenen Türen filmen zu lassen, reflektiert Lamby nicht. Und bleibt
       damit in seiner Analyse leider vage.
       
       19 Apr 2017
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/heiko-maas-in-zwickau-mutmasslich-rechte-stoeren-auftritt-a-1090254.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Amna Franzke
       
       ## TAGS
       
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