# taz.de -- Die EU und Seenotrettung im Mittelmeer: Rettung, wo sonst niemand rettet
> Nichtregierungsorganisationen retten Schiffbrüchige im Mittelmeer. Damit
> wollen sie Druck auf die EU aufbauen. Die aber zeigt sich unbeeindruckt.
IMG Bild: Über Bord gefallene Flüchtlinge kämpfen vor der libyschen Küste ums Überleben, 14. April 2017
Sie rüsten auf: Jetzt, da die [1][Hochsaison der Flüchtlings-Überfahrten
auf dem Mittelmeer beginnt], geht eine „zivile Luftaufklärungsmission“ vor
Libyen an den Start. Ein Suchflugzeug, Typ Cirrus SR22, bezahlt vor allem
von der Evangelischen Kirche in Deutschland. Stationiert auf Malta und
benannt nach dem Zugvogel Moonbird.
Was das Flugzeug leisten kann, zeigte sich beim Testlauf am
Osterwochenende: Mit seiner Hilfe konnte ein vom Radar verschwundenes
Schlauchboot mit 150 Menschen wieder lokalisiert werden. „Moonbird“ ist das
neueste Projekt der privaten deutschen Seerettungs-NGO Sea Watch. Die hatte
erst kürzlich eine App präsentiert, mit der die Flüchtlinge Notrufe
absetzen können sollen.
Vor allem aber ist es die jüngste Etappe des moralischen Stellungskriegs an
der EU-Außengrenze. Seit Jahren gehen die Todeszahlen dort immer weiter
nach oben, die EU unterlässt es bis heute, mit der gebotenen Effektivität
dagegen vorzugehen. Ihre vor Ort kreuzenden Schiffe der Militärmission
EUNAVFOR MED haben einen anderen Auftrag.
Die Untätigkeit der EU hat eine ganze Branche neuer NGOs hervorgebracht,
die meisten stammen aus Deutschland. Private Gesellschaften zur Rettung
Schiffbrüchiger, die vor Ort sind, wo sonst niemand rettet. Keiner weiß,
wie viele weitere Menschen in den letzten Jahren ertrunken wären, gäbe es
sie nicht.
Ihre Arbeit soll praktische Hilfe sein, und gleichzeitig eine Anklage: Wir
sind hier, weil Europa seine Werte verrät, wissentlich und immer wieder.
Ihre Hoffnung dabei war, irgendwann, möglichst bald, überflüssig zu werden,
weil die Arbeit wieder von denen erledigt wird, die dafür zuständig sind:
Marine und Küstenwache.
## Kritik von Frontex
Doch so scheint es nicht zu kommen. Stattdessen übt sich die EU in
Umkehrung von Ursache und Wirkung. Die Arbeit der NGOs führe dazu, „dass
die Schleuser noch mehr Migranten als in den Jahren zuvor auf die
seeuntüchtigen Boote zwingen“, sagte Frontex-Direktor Fabricio Leggeri
kürzlich.
Aber die Menschen brechen nicht in Eritrea auf, weil ein Sea Watch-Schiff
vor Misrata liegt. Und dass die Schlepper ihre Praxis den neuen
Gegebenheiten anpassen ist nicht die Schuld der NGOs. „Wir sollten deshalb
das aktuelle Konzept der Rettungsmaßnahmen vor Libyen auf den Prüfstand
stellen“, fordert Leggeri dennoch.
Wer eine Vorstellung davon bekommen will, was er damit meinen könnte, der
sei daran erinnert, dass Frontex vor zwei Jahren Italien ganz unverblümt
aufgefordert hatte, nicht mehr nahe der libyschen Küste zu retten.
Druck gibt es auch von anderer Seite: Die italienische Justiz, so wird
gemunkelt, habe Ermittlungen wegen Schlepperei aufgenommen. Neu wäre das
nicht: So wollte sie schon 2003 die Cap Anamur und helfende tunesische
Fischer kleinkriegen. Die Zeiten, dachten viele, seien jetzt vorbei.
## Unesco-Friedenspreis für NGO
Österreichs zackiger, junger Außenminister Sebastian Kurz schließlich
spricht von einem „NGO-Wahnsinn“ und behauptet, dass Frontex wiederum
behaupte, dass manche der NGOs „mit Schleppern kooperieren“ – was Leggeri
so nicht gesagt hat. Für ihn sei die private Seenotrettung der „absolut
falsche Weg“, sagte Kurz. Sein Kollege aus dem Innenressort, Wolfgang
Sobotka, forderte am Donnerstag die „sofortige Sperre der Mittelmeerroute“
– wie auch immer man sich dies praktisch vorstellen soll.
Die Vorschläge laufen darauf hinaus, die bisherige Strategie der EU zu
radikalisieren: Immer weiter sterben lassen und hoffen, dass irgendwann
keiner mehr nachkommt.
Insofern scheitern die NGOs bislang mit ihrem Plan, moralischen Druck
aufzubauen, um eine andere Politik zu erzwingen. [2][Für die praktische
Seite ihrer Arbeit bleibt der Bedarf so unverändert]. Der Rücken wird ihnen
dafür jetzt von der Unesco gestärkt: Sie vergab am Mittwoch an die NGO SOS
Méditerranée, gemeinsam mit Lampedusas Bürgermeisterin Giuseppina Nicolini,
ihren diesjährigen Friedenspreis.
21 Apr 2017
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## AUTOREN
DIR Christian Jakob
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