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       # taz.de -- Buen Vivir und der Hunger: La Pachamama muss bluten
       
       > Bolivien hat das „gute Leben“ zum Staatsziel erhoben, ist aber der
       > viertgrößte Waldvernichter der Erde. Wie geht das zusammen?
       
   IMG Bild: „Der Wald gilt als nutzlos“: Ein Baumriese im bolivianischen Regenwald wird gefällt
       
       Hamburg taz | Der Schutz von Pachamama, der Mutter Erde, kommt häufig in
       den Reden von Boliviens Präsident Evo Morales vor.
       
       Aber gleichzeitig ist das südamerikanische Land der viertgrößte
       Waldvernichter der Erde und rodete im letzten Jahr etwa 350.000 Hektar
       Regenwald. Der offizielle Grund: Die Ernährung der Bevölkerung soll
       gesichert werden.
       
       „Die Ausweitung der Frontera Agricola ist landesweit ein gravierendes
       Problem, egal ob in Santa Cruz oder Alto Beni“, erklärt Patricia Molina,
       Direktorin des Forums Umwelt und Entwicklung aus La Paz. Als Frontera
       Agricola wird in Bolivien die Grenze zwischen ausgewiesenen Flächen für die
       Landwirtschaft und dem Regenwald bezeichnet, und in den letzten Jahren
       wurde im großen Stil Regenwald für den Landbau freigegeben.
       
       ## Das Totschlagargument
       
       Der Wald muss vor allem für den Anbau von Soja weichen, weiß die
       Agrarexpertin. „Die Sojaproduktion wird von Morales immer wieder als
       Element auf dem Weg zur Nahrungsmittelsouveränität bezeichnet wird. Aber
       das ist ein unsägliches Spiel, denn 70 Prozent der Sojaproduktion geht
       unbesehen in den Export.“ Das Gros davon kauft der US-Agrarkonzern Cargill
       auf. Deshalb wirft die US-Umweltorganisation Mighty Earth dem Unternehmen
       vor, dem Raubbau am Regenwald in Bolivien und Brasilien Vorschub zu
       leisten.
       
       Dabei stützt sich die US-Organisation auf eine Studie des in La Paz
       ansässigen Zentrums für Information und Dokumentation, die nachweist, dass
       derzeit rund 350.000 Hektar Wald im Jahresdurchschnitt zerstört werden.
       Diese Zahl ist seit den 1990er über die 2000er Jahre stetig gestiegen,
       obwohl Evo Morales 2006 die Macht in Bolivien übernahm und für „Pachamama“
       und „Buen Vivir“ warb.
       
       In der Realität sei davon aber wenig zu sehen, moniert Molina. Sie begrüßt
       es, dass Mighty Earth in den USA eine Kampagne angeschoben hat, die die
       Ankaufspraxis von US-Agrarunternehmen wie Cargill und Bunge in Brasilien
       und Bolivien an den Pranger stellt. Die Umweltorganisation hat anhand von
       Satellitenaufnahmen, Produktionsergebnissen von Gemeinden,
       Zollinformationen sowie Angaben des Stockholmer Umweltinstituts SEI
       nachgewiesen, weshalb Bolivien zu den vier Ländern mit dem höchsten
       Holzeinschlag weltweit gehört. „Wir gehen mit der Ressource Wald liederlich
       um, und gerade erst hat der Präsident per Dekret die Anbauflächen für Koka
       erhöht – erst im Chapara, nach Protesten in den Yungas dann auch dort. Das
       sind die falschen Signale“, kritisiert Molina.
       
       ## Der Wald als Wald gilt als nutzlos
       
       Wie viele ihrer Kollegen von der Nichtregierungsorganisation Tierra, die
       sich für die Förderung von kleinbäuerlichen Strukturen engagiert, ist sie
       von der Regierung schon mehrfach für ihre kritische Haltung an den Pranger
       gestellt worden. Die will bis 2025 weitere fünf Millionen Hektar Regenwald
       in Parzellen umwandeln, heißt es. Wald werde, so Nataly Ascarrunz vom
       bolivianischen Institut für Forstforschung, als nutzlos angesehen, den man
       in nutzbare Anbaufläche umwandeln müsse.
       
       International werden die harten Fakten über die Entwaldung durchaus
       registriert. So muss sich Cargill bereits für seine aggressive
       Ankaufpolitik rechtfertigen – im Rahmen der New York Declaration of
       Forests, einem zwischen multinationalen Konzernen vereinbarten Abkommen,
       das vorsieht, die Entwaldung durch die Produktion von Agrargütern wie
       Palmöl und Soja bis zum Jahr 2020 zu beenden.
       
       Doch auch in Bolivien regt sich Widerstand. Ende November 2016 mahnte der
       Präsident der bolivianischen Forstkammer in einem Brief an den
       Vizepräsident Álvaro García Linera einen nachhaltigeren Umgang mit der
       Ressource Wald an. Abholzung sei auch auf den für die Landwirtschaft
       ungeeigneten Böden immer öfter Usus, so Jorge E. Avila. Und das Forum
       Umwelt und Entwicklung von Patricia Molina ist gerade dabei zu untersuchen,
       ob der zu beobachtende Raubbau an der Ressource Wald nicht im Widerspruch
       zu den Verpflichtungen Boliviens im Rahmen der Pariser Klimaschutzverträge
       steht.
       
       21 Apr 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Knut Henkel
       
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