# taz.de -- 95 Thesen für eine radikale Bankenreform: Die Rückkehr der Pflugscharen
> In Wittenberg wollen Politiker, Künstler und Theologen den Umbau des
> Finanzmarkts anstoßen. Gewollt beziehen sie sich dabei auf Martin Luther.
IMG Bild: Hier sind es noch „Schwerter zu Pflugscharen“: Friedensmahnmal in Wittenberg
Berlin taz | Was verbindet Martin Luther mit der Linkspartei? Nichts,
möchte man meinen, abgesehen davon, dass Luther Jesus Christus anbetete und
die Linke Karl Marx. Sehr viele Parallelen sieht hingegen
Linkspartei-Vordenker André Brie. Während Luther gegen den Ablasshandel
predigte, zieht der Atheist Brie aktuell gegen die Finanzindustrie ins Feld
– und bedient sich dabei der Luther’schen Methode: 95 Thesen hat Brie
zusammen mit seiner Frau und seinem Bruder, mit Parteifreund Gregor Gysi,
Wissenschaftlern und Theologen verfasst und [1][im Internet auf
perestroika.de veröffentlicht].
„War es vor 500 Jahren die Käuflichkeit des Seelenheils der Gläubigen durch
den Ablasshandel, die Ausdruck einer großen Krise war, ist es heute die
Käuflichkeit der Politik und ihre Unterordnung unter die Vorgaben der
Finanzmärkte“, schreiben die Autoren. Sie zitieren nicht Luther, sondern
Papst Franziskus: „Diese Wirtschaft tötet.“
Also fordern sie eine Abkehr vom Finanzmarktkapitalismus. „Luther forderte
vor fast 500 Jahren: ‚Man müsste dem Fugger und dergleichen Gesellschaft
einen Zaum ins Maul legen.‘ “ Das gelte auch für die Ackermanns von heute.
Brie und Co. schlagen vor, große Banken zu zerschlagen und eine
öffentlich-rechtliche Einrichtung für den Zahlungsverkehr zu schaffen.
Die Idee zu den Thesen sei ihm schon vor einem Jahr gekommen, erläutert
Brie. Er habe sich Sorgen gemacht wegen des Aufstiegs der AfD und sich
gedacht: „Man muss den Menschen wieder Hoffnung geben und zeigen, dass es
Alternativen gibt.“
Das Motto der Thesen ist ausgerechnet von der kirchlichen
Oppositionsbewegung in der DDR entlehnt. Proklamierte diese einst
„Schwerter zu Pflugscharen“ heißt es nun: „Banken zu Pflugscharen“. Etwas
schräg – auch unter dem Gesichtspunkt, dass Brie bis 1989 als SED-Mitglied
und Inoffizieller Mitarbeiter auf der anderen Seite stand.
## Mitte-links geht doch, wenn man nur will?
„Kein Problem“, meint hingegen Hans Misselwitz, der zusammen mit seiner
Frau, der Berliner Pfarrerin Ruth Misselwitz, in den 80er Jahren den
Friedenskreis mitgründete und von der Staatssicherheit ausgiebig bespitzelt
wurde. „Auf die biblische Losung Schwerter zu Pflugscharen gibt es kein
Copyright, und das ist auch gut so.“ Misselwitz und seine Frau kennen Brie
seit Langem und gehören ebenfalls zu den Erstunterzeichnern. „Es muss einen
Konsens außerhalb der tagespolitischen Lager geben, wenn es darum geht,
eine bestimmte Form des Kapitalismus zu begrenzen“, begründet Misselwitz
seine Unterschrift. „Der kann vom Papst bis André Brie reichen.“
In Wittenberg werden die Thesen natürlich auch vorgestellt: An diesem
Sonntag, fast 500 Jahre nachdem Luther die Kirchentür mit dem Hammer
traktiert haben soll, will Gregor Gysi sich zusammen mit Grünen-Urgestein
Frieder Otto Wolf und Willy Brandts Sohn Peter an der Tür einer Bank zu
schaffen machen. Welcher, das will Gysi nicht verraten. Aber dass es heute
keine Kirche mehr sein kann, sei folgerichtig: „Genauso wie Luther eine
Reform der zu mächtigen katholischen Kirche forderte, brauchen wir eine
Reform des sehr mächtigen Finanzsektors.“
Eine Art rot-rot-grüne APO wird sich in Wittenberg versammeln, und so liest
sich auch die Liste der fast 95 Erstunterzeichner, die Brie
zusammengetrommelt hat: neben aktiven Politikern wie Bodo Ramelow stehen
auch Attac-Gründer Peter Wahl, Künstler wie Barbara Thalheim und viele
Theologen darauf.
Ein Wink für die Bundestagswahl: Mitte-links geht doch, wenn man nur will?
Durchaus, meint Brie. Ein solches Signal nebenbei auszusenden, sei ihnen
wichtig gewesen. Und in These 95 heißt es dann auch: „Nur durch den Druck
aus der Gesellschaft und bürgerschaftliches Engagement wird es möglich
sein, die Reformblockade im politischen und gesellschaftlichen System zu
überwinden.“
Einige Namen, die man auf der Liste vermuten könnte, fehlen allerdings: die
Linke-Spitzenkandidatin und Wirtschaftsexpertin Sahra Wagenknecht kommt
genauso wenig vor wie ihr Mann Oskar Lafontaine. Beide wurden gar nicht
erst angeschrieben. Es sei ihm darum gegangen, ein möglichst breites
Bündnis zu schmieden und einer parteipolitische Verengung vorzubeugen, sagt
Brie.
Auch der einstige Pfarrer der Schlosskirche Wittenberg, Friedrich
Schorlemmer, der 1983 die legendäre Aktion angeregt hatte, bei der ein
Schwert zu einer Pflugschar umgeschmiedet wurde, hat sich nicht zur
Unterschrift bewegen lassen. Ihm seien die geschichtliche Reformation und
Luther zu nah gewesen.
21 Apr 2017
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DIR [1] http://www.perestroika.de/
## AUTOREN
DIR Anna Lehmann
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