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       # taz.de -- Die Wahrheit: Der grüne Zimtplauderer
       
       > Im ICE. In der ersten Klasse. Ein vormals weltbekannter Spitzenpolitiker
       > vertreibt sich die Fahrtzeit und redet und redet und redet …
       
       Im ICE von Berlin nach Frankfurt am Main. Ausnahmsweise 1. Klasse. Am Tisch
       vor mir ein Paar. Er vermutlich in Verantwortung ergraut, Typ
       Staatssekretär, sie seine jüngere Frau. In Spandau ein großes „Hallo, wen
       haben wir denn da!“, weil ein Bekannter zusteigt, ein sehr Bekannter,
       vormals weltbekannter Spitzenpolitiker mit Pfiff, auf dem Weg nach
       Frankfurt.
       
       Der ehemalige grüne Außenminister hebt an wie ein Conférencier vor sich
       hinzuplaudern und wird die kommenden vier Stunden nicht mehr damit
       aufhören. Dabei kommt er von Hölzchen auf Stöckchen, schwadroniert in
       höflicherweise leicht gedämpftem Ton, sich der Halböffentlichkeit des
       Großraumabteils wohl bewusst, über Gott und die Welt und
       Zimtapfelschnecken.
       
       „Erdoğan steht das Wasser bis Oberkante Unterlippe“, stellt er eingangs
       fest und fügt hinzu: „Die Auslandsdeutschen haben damals auch gerne den
       Führer gewählt. Tschechoslowakei, Österreich . . . alles gleich.“ Beim
       Studium des Fahrplans: „O, wir fahren über Hildesheim. Hildesheim hat
       baugeschichtlich eine große Bedeutung.“ Als der Zug die Elbe quert: „So,
       jetzt kommen wir in die Zivilisation!“
       
       Jenseits der Elbe wird’s innenpolitisch: „Unser Freund Martin sieht Mutti
       schon in der Niederlage, ein bisschen zu früh.“ Und was ist mit der AfD?
       „Die AfD diskutiert zu viel. Da fehlt ein Chef. Der Höcke ist Gold wert.“
       Und da steigt der asiatische Bretzelverkäufer zu: „Chinese.“
       
       Wir erreichen Kassel, immer ein Grund zur Versonnenheit: „Hier wurde ich
       zum ersten Mal zum Bundestagskandidaten gewählt, gegen den erbitterten
       Widerstand von . . .“
       
       Anschließend zitiert er die Texte von „Im Frühtau zu Berge“ und „Hoch auf
       dem gelben Wagen“ und stellt einen kurzen Vergleich mit „Kampfliedern aus
       der DDR“ an, bevor ihm das Wetter auffällt: „Aus dem trüben Osten in den
       Westen. Die Sonne scheint, wir sind in Hessen!“
       
       „Da ist die Rhön und dahinter der Vogelsberg! Flugzeuge siehste immer, das
       ist die Warteschleife. Ja, die Lebenshaltungskosten hier draußen sind sehr
       niedrig“, und da kommt auch der Äbbelwoi her: „Mit einem Schuss
       Spudelwasser, sehr lecker, wenn’s heiß ist . . . ah, jetzt einen schönen
       Silvaner!“, und apropos lecker, da gebe es „eine neue Bäckerei, Ecke
       Konstanzer Straße, die machen das beste Brot von Berlin, so eine
       Ökobiokette ist das, und die machen eine Zimtapfelschnecke, o!“
       
       Nach dem Mittagessen gibt es am Platz Apfelstreusel. Mit oder ohne Besteck?
       Mit: „Da bin ich wie Kaczyński. Grundsatzfrage. Im alten IC wurden noch
       Bratkartoffeln gemacht, Kotelett. Im Flugzeug kannst du das nicht machen,
       aber hier . . . Stattdessen machen sie Miese mit ihrem Bordrestaurant, das
       haben sie nicht richtig hingekriegt.“
       
       Bald geht der Verdauungsblick aus dem Fenster: „Störche! Im postfaktischen
       Zeitalter gilt ja wieder: Der Storch bringt die Kinder . . . Ah, wir nähern
       uns Frankfurt . . . Hier wird die Grüne Soße angebaut, Grie Soß, sehr
       lecker und sehr gesund, mit oder ohne Mayonnaise . . . Hauptbahnhof . . .
       was brecht ihr denn in so eine Hektik aus?“
       
       21 Apr 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Arno Frank
       
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