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       # taz.de -- Doku über die RAF: Vor 40 Jahren in der BRD
       
       > Die Doku „Stammheim – Die RAF vor Gericht“ geizt nicht mit Zeitzeugen.
       > Das macht die Sache schwerfällig. Wichtige Details bleiben ungeklärt.
       
   IMG Bild: Andreas Baader bei der Überführung nach Stammheim
       
       „Vergasen sollte man dich, am besten mit Chlor“, schrieb einer, „Bluthund
       Peymann“ nannte ihn ein anderer. Hunderte Postkarten und Briefe bekam der
       Theaterregisseur Claus Peymann 1977 zugeschickt, nachdem er auf der
       Titelseite der Bild gelandet war. Er hatte dazu aufgerufen, Geld für eine
       Zahnbehandlung der RAF-Gefangenen Gudrun Ensslin zu spenden. Einige der
       Beschimpfungen liest Peymann in der Dokumentation „Stammheim – Die RAF vor
       Gericht“ vor, die die ARD am Montag auf dem Sendeplatz „Geschichte im
       Ersten“ zeigt.
       
       Die verbalen Angriffe verdeutlichen die Stimmung in der Republik. Sie
       zeigen darüber hinaus: Auch die Shitstormer der 70er Jahre haben mit ihren
       Mordfantasien nicht hinterm Berg gehalten, im Unterschied zu heute wird der
       Hass aber nicht öffentlich geäußert.
       
       Der Anlass von Thomas Schuhbauers und Sonja von Behrens’ Film ist der 40.
       Jahrestag der Urteilsverkündung im Stammheim-Prozess. Als das Gericht am
       28. April 1977 im eigens für dieses Verfahren auf dem Gelände des
       Gefängnisses in Stuttgart-Stammheim errichteten Gerichtsgebäude das Urteil
       verkündet, ist die Angeklagte Ulrike Meinhof bereits tot. Andreas Baader,
       Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe werden zu lebenslangen Haftstrafen
       verurteilt.
       
       Der Film ist teilweise durchaus informativ, die stärksten Passagen sind
       geprägt von den Tonbandaufnahmen aus dem Prozess, die im Fernsehen erstmals
       2007 in der zweiteiligen ARD-Dokumentation „Die RAF“ Verwendung fanden. Sie
       vermitteln einen Eindruck davon, wie ruppig die Auseinandersetzungen
       zwischen dem Vorsitzenden Richter Theodor Prinzing und vor allem den
       Anwälten verliefen – und wie das Gericht teilweise die Redefreiheit der
       Angeklagten beschnitt. „Das Wort ist Ihnen entzogen wegen ständiger
       Abschweifungen“, sagt Prinzing einmal zu Baader, der zumindest in diesem
       berühmten Prozess nicht als der Schreihals auftrat, als den ihn der ein
       oder andere RAF-Chronist darstellt.
       
       ## Die Tochter des Richters
       
       Die Autoren erzählen in diesem Film erstmals die Geschichte der
       Richterstochter Gabriele Prinzing. Sie war Sympathisantin der RAF, und in
       ihrem Umfeld gab es Menschen, die ihren Vater hassten, denn der verkörperte
       ja die Schweinejustiz. Es war ein „familiäres Drama, das sich hinter den
       Kulissen abspielte“, schreibt die ARD in ihrer Ankündigung. Da die damalige
       Studentin aber stets weit entfernt davon vor, bei der RAF aktiv zu werden,
       wirkt dieser Vater-Tochter-Konflikt nicht so, als müsste eine breitere
       Öffentlichkeit nun unbedingt davon wissen. Man kann ohnehin darüber
       streiten, ob in einer zeitgeschichtlichen Dokumentation „familiäre Dramen“
       Berücksichtigung finden sollten.
       
       Die große Schwäche des Films liegt aber anderswo. Schuhbauer und von
       Behrens bieten ein Dutzend Interviewpartner auf: Vater und Tochter
       Prinzing, die Historikerin Gisela Diewald-Kerkmann, die die
       Tonbandaufnahmen aus dem Prozess ausgewertet hat, einen weiteren
       Historiker, zwei weitere Richter, drei Anwälte, zwei heute prominente
       Zeitzeugen – neben Claus Peymann den Filmregisseur Andres Veiel – sowie
       einen Journalisten. Zwar werten einige der Interviewten die Dokumentation
       auf, was vor allem auf den luziden und scharfsinnigen Baader-Anwalt Kurt
       Groenewold zutrifft. Sich auf weniger Personen zu beschränken wäre dem Film
       aber besser bekommen.
       
       Manchen Aspekt hätten Schuhbauer und von Behrens dann vertiefen können, wie
       beispielsweise den Mord an einem unschuldigen Schotten, der 1972 in
       Stuttgart im Zuge der allgemeinen Terrorhysterie erschossen wurde, oder
       Theodor Prinzings – positive – Rolle als Richter in mehreren NS-Prozessen.
       Vor allem trägt die große Anzahl der Interviewten aber dazu bei, dass der
       Film schwerfällig wirkt.
       
       24 Apr 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR René Martens
       
       ## TAGS
       
   DIR Claus Peymann
   DIR Terrorismus
   DIR Rote Armee Fraktion / RAF
   DIR Drama
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