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       # taz.de -- Nach dem Referendum in der Türkei: Keine Zukunft in der EU?
       
       > Nach dem vorläufigen „Ja“ im Verfassungsreferendum in der Türkei wird
       > über Konsequenzen diskutiert. Erdoğan hat derweil die Einführung der
       > Todesstrafe angekündigt.
       
   IMG Bild: So einträchtig wehen bloß noch die Fahnen von EU und Türkei
       
       Berlin dpa/rtr/afp | Nach dem Ja der Türken zur Verfassungsreform von
       Präsident Recep Tayyip Erdoğan fordern Spitzenpolitiker von Union, Linke
       und FDP einen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara. „Die
       Vollmitgliedschaft kann kein Ziel mehr sein“, sagte der stellvertretende
       CSU-Vorsitzende Manfred Weber im ZDF. Ähnlich äußerte sich CDU-Vize Julia
       Klöckner.
       
       Die Bundesregierung hielt sich angesichts des knappen und umstrittenen
       Ergebnisses zunächst mit Kommentaren zurück. Außenminister Sigmar Gabriel
       rief zur Besonnenheit auf. „Wir sind gut beraten, jetzt kühlen Kopf zu
       bewahren und besonnen vorzugehen“, erklärte der SPD-Politiker am Sonntag.
       
       Die Türken stimmten [1][nach Angaben der Wahlkommission] mit gut 51 Prozent
       für die Verfassungsreform, die dem Präsidenten deutlich mehr Macht gibt.
       Die Opposition, die eine Ein-Mann-Herrschaft befürchtet, will das Ergebnis
       aber nicht akzeptieren. Der Leiter der türkischen Wahlkommission hat indes
       Vorwürfe von zwei Oppositionsparteien über möglichen Betrug beim
       Verfassungsreferendum vom Sonntag zurückgewiesen.
       
       Die Oppositionsparteien hatten eine Reihe von Unregelmäßigkeiten beklagt,
       darunter die Entscheidung der Wahlkommission, auch Stimmzettel ohne
       Amtssiegel gelten zu lassen. Dazu sagte Kommissionsleiter Sadi Güven am
       Montag, die Entscheidung sei getroffen worden um sicherzustellen, dass
       Wähler, denen versehentlich Stimmzettel ohne Siegel ausgehändigt wurden,
       nicht „bestraft“ würden.
       
       ## EU reagiert zurückhaltend
       
       Die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sind seit langem umstritten.
       Die Europäische Union hatte sie 2005 aufgenommen, zuletzt aber keine neuen
       Kapitel mehr in Angriff genommen. Die Verhandlungen lagen also quasi auf
       Eis. Abbrechen wollte die EU sie bisher aber nicht, um der Türkei die Tür
       nicht endgültig zuzuschlagen. Die Wiedereinführung der Todesstrafe gilt
       allerdings als rote Linie, die nicht überschritten werden darf.
       
       [2][Die EU-Kommission hat zurückhaltend auf den Ausgang des türkischen
       Referendums reagiert]. Man warte noch auf die Bewertung der internationalen
       Wahlbeobachter, „auch mit Blick auf angebliche Unregelmäßigkeiten“, teilten
       die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini, der EU-Kommissar für
       Nachbarschaftspolitik Johannes Hahn und EU-Kommissionschef Jean-Claude
       Juncker am späten Sonntagabend in Brüssel mit.
       
       Die Verfassungsänderungen „und insbesondere ihre praktische Umsetzung“
       sollten im Lichte der Verpflichtungen der Türkei als EU-Beitrittskandidat
       und als Mitglied des Europarats begutachtet werden, kündigten die
       EU-Vertreter an. Auch der Europarat appellierte an die türkische
       Staatsführung, die Unabhängigkeit der Justiz und die Rechtsstaatlichkeit zu
       wahren.
       
       Die Türkei hatte im Zuge des Beitrittsprozesses zwischen 2007 und 2013 4,8
       Milliarden Euro von der EU erhalten. Für den Zeitraum 2014 bis 2020 sind
       weitere 4,45 Milliarden Euro eingeplant.
       
       ## Erdoğan: Todesstrafe ist „erste Aufgabe“
       
       Der CDU-Europapolitiker Elmar Brok plädierte in einem Welt-Interview dafür,
       die Beitrittsverhandlungen nur bei einer Wiedereinführung der Todesstrafe
       abzubrechen. Erdoğan hatte nach seinem Sieg beim Referendum gesagt, er sehe
       es als seine „erste Aufgabe“ an, dieses Thema auf die Tagesordnung zu
       setzen. Er werde umgehend mit dem Ministerpräsidenten und den Führern der
       nationalistischen Opposition über das Thema beraten.
       
       Linke und Grüne forderten nach dem Referendum auch Konsequenzen für die
       militärische Zusammenarbeit mit der Türkei: Die rund 260 auf dem türkischen
       Luftwaffenstützpunkt Incirlik stationierten Bundeswehrsoldaten müssten
       abgezogen und alle Waffenlieferungen an den Nato-Partner gestoppt werden,
       forderten die Spitzenkandidaten der beiden Parteien, Sahra Wagenknecht und
       Cem Özdemir.
       
       Statt eines „Merkel-Erdoğan-Pakts“ müsse es nun ein Bündnis Deutschlands
       mit den Demokraten in der Türkei geben, sagte Wagenknecht der Deutschen
       Presse-Agentur. „Die Bundesregierung ist gefordert klarzumachen, auf wessen
       Seite sie steht: Auf der Seite der Demokratie oder auf der Seite der
       Diktatur Erdogans.“
       
       Die Türkische Gemeinde in Deutschland hat nach dem knappen Sieg des
       Ja-Lagers beim Verfassungsreferendum das Engagement des Nein-Lagers
       gewürdigt. „Die hohe Zahl der Nein-Stimmen ist nicht zu unterschätzen, wenn
       man bedenkt, unter welchen Umständen der Wahlkampf geführt wurde“, sagte
       Gökay Sofuoglu der Heilbronner Stimme und dem Mannheimer Morgen (Dienstag).
       In Deutschland stimmten [3][rund 63 Prozent der Wahlberechtigten für die
       Verfassungsreform].
       
       17 Apr 2017
       
       ## LINKS
       
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