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       # taz.de -- Clean Eating als Trend: Die Schaufel im Arsch des Todes
       
       > Superfood ist das Versprechen, sich gesundessen zu können. Mit Vitaminen,
       > Mineralien, Proteinen. Unser Autor zweifelt das an.
       
   IMG Bild: Voll super für Haifischzähne: die Acerola-Kirsche
       
       Clean Eating Restaurants und Superfood-Cafés schießen in Berlin schon
       länger wie Gegengiftpilze aus dem Boden. „Ich durfte zunächst einen
       Tropical Green Superfood-Smoothie probieren …, unter anderem mit Ananas,
       Matcha, Spinat und Chia-Samen – Preis: 6,50 Euro“, schreibt eine so reiche
       wie kühne Testerin über das „Superfood & Organic Liquids“ in Mitte.
       
       Hinter dem Begriff Superfood können sich Exoten wie Açai-Beere, Curcuma und
       Quinoa verbergen oder einheimische Gewächse wie Sellerie, Weizengras und
       Heidelbeeren. Der neueste Hype sind Hanfsamen. Praktisch kein Artikel über
       Hanf als Superfood kommt ohne „aber jetzt nicht das zum Rauchen
       …“-nein-wie-frech-omg-lol-Gekicher aus. Noch deprimierender als alte
       Spießer sind wohl nur junge Spießer.
       
       Superfood enthält meist mehrere und hochdosierte Nähr-, Wirk- und/oder
       Vitalstoffe: Vitamine, Proteine, Mineralien, Antioxidantien. Von Superfood
       – so geht die Mär der Verkäufer und die müssen es schließlich wissen –,
       nimmt man ab, wird gesund oder gar nicht erst krank, altert langsamer oder
       gar nicht. Man springt dem Tod nicht nur von der Schippe, sondern rammt ihm
       obendrein den Stiel bis zum Schaufelblatt in den Arsch. Das körperliche und
       geistige Allgemeinbefinden steigt ins Unermessliche. Schönheit, Glück,
       Erfolg und fetter Hammersex runden dieses Paradies auf Erden ab.
       
       Doch niederträchtige Spielverderber wie der Ernährungswissenschaftler
       Harald Seitz unken in der Apotheken-Umschau, man könne positive
       Erkenntnisse aus Versuchen mit Tieren oder Zellkulturen nicht einfach auf
       den Menschen übertragen: „Wenn Sie ein mit Rohrzucker gesüßtes Müsli essen
       und da ein paar Açai-Beeren daraufstreuen, werden Sie davon weder schön
       noch schlank, noch alt.“ Dafür aber wenigstens arm. Oder krank. Die
       Spirulina-Alge ist mit Schwermetall belastet, Moringa-Pulver mit
       Pestizidrückständen und von Chia-Samen furzt sich mancher schier zu Tode.
       
       Die von Superfoodies gern gepriesene Nachhaltigkeit kann ohnehin knicken,
       wer sich das Zeug aus Mexiko liefern lässt. Leinsamen haben die gleiche
       Wirkung und kosten ein Zehntel. Aber sie sind halt aus dem Spreewald und
       klingen auch nicht sexy. Die Sprache Goethes, Goebbels’ und Beckenbauers
       würde wohl keinen der kreativen Geldhipster aus den umliegenden Büros zur
       Mittagspause in das Superfood-Café locken, um sich dort mit „Detox Salad“
       oder „Super Skinny“ gesundzufressen.
       
       Was „Raw Pressed Juice“ ist, erschließt sich gerade noch, sofern man nicht
       die Ostschule besucht hat. „Kale“ ist schon schwieriger, das ist nämlich
       Grünkohl. So wie Französisch die Sprache der Liebe und Grönländisch die
       Sprache des Schnees, ist Englisch die Sprache des Superfoods. Das täuscht –
       ein ähnlicher Effekt wie bei bescheuerten Songtexten – zumindest den
       deutschen Verbraucher über den kaum nachgewiesenen Nutzen der hippen Happen
       hinweg.
       
       Ein Musterbeispiel ist die Acerola-Kirsche. Hundert Gramm enthalten den
       siebzehnfachen Tagesbedarf an Vitamin C: So fallen einem die Zähne nicht
       nur nicht aus, sondern man bekommt wie ein Haifisch noch zwei weitere
       Reihen messerscharfer Beißerchen. Und für diesen Versorgungs-Overkill karrt
       man das Hurra-Obst eigens aus Brasilien an. „Deutschland ist kein
       Vitaminmangelland“, betont Daniela Graf vom Max-Rubner-Institut in der
       Süddeutschen Zeitung. Wir empfehlen, den nachhaltigen Klimakiller durch
       Petersilie zu ersetzen. Das im Volksmund darob „Geilwurz“ genannte
       Aphrodisiakum gedeiht prima auf dem Fensterbrett.
       
       Webseiten, die Superfood nicht nur propagieren, sondern rein zufällig (!)
       auch vertreiben, reiben sich öffentlich an ihren natürlichen Feinden, den
       Verbraucherschutzzentralen, die Hersteller und Quacksalber abmahnen. Die
       Teufel der Sachkunde, so wird impliziert, hielten den Menschen gemeinsam
       mit Lügenpresse und Lebensmittelindustrie in Unmündigkeit gefangen.
       Neidische Systemschergen versperrten uns den Weg zum Licht und zur gesunden
       Ernährung. Außerdem kriegen wir alle Krebs, solange die simple Wahrheit
       „Brokkoli statt Chemotherapie“ von kriminellen Faktenfetischisten
       unterdrückt wird. Da wird zum Gruße schon mal sichtbar das Aluhütchen
       gelüftet.
       
       Doch das Ende des Superspuks ist in Sicht. Açai wird nun auch bei Aldi
       angeboten und bei McDonald’s wartet seit vorigem Herbst der „Veggie
       Clubhouse“ mit Quinoa und Paprika im Bratling auf Schizos mit Stil. Sobald
       deren Distinktionsdünkel gegenüber dem Imbisspöbel nicht mehr befriedigt
       wird, ist der Trend so gut wie beerdigt.
       
       Nein, ich habe nichts dergleichen probiert: keinen „Performance Drink“,
       kein Superfood, keinen Smoothie. Ich habe das Schöneberger „Hope Superfood
       Deli“ betreten und dort die Karte studiert, um mir am Ende doch nur einen
       Kaffee zu bestellen. Man muss auch nicht selbst in den Krieg ziehen, um ihn
       doof zu finden.
       
       30 Apr 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Uli Hannemann
       
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