URI: 
       # taz.de -- Kolumne Psycho: Lifestyle-Choice Angststörung
       
       > Der Psychoknacks als heißestes Accessoire im Jahr 2017? Viele sehen in
       > seelischen Erkrankungen nichts weiter als einen Trend.
       
   IMG Bild: Was zieh ich an? Och, heute mal eine psychiche Störung!
       
       Kennen Sie schon die wichtigsten Trends des Sommers? Blumenprints,
       Cat-Eye-Sonnenbrillen und psychische Störungen. Letztere kann man zwar
       nicht kaufen, aber so ist das eben mit Stilbewusstsein: Entweder man hat es
       oder nicht.
       
       Hier die Top 3 der Gründe, warum ein psychischer Knacks in dieser Saison so
       begehrenswert ist: 1. Er macht einen wahnsinnig interessant.
       (#WahreSchönheitKommtVonInnen) 2. Er liefert eine tolle Ausrede, wenn man
       keine Lust hat, arbeiten zu gehen oder nervige Bekannte zu treffen. 3. Er
       ist unisex. Die Depression Ihres Freundes ist Ihnen eine Nummer zu groß?
       Perfekt! Einfach mit einem It-Piece kombinieren, fertig ist der
       Boyfriend-Look.
       
       Finden Sie zynisch? Ich auch. Neulich war ich bei einer Party. Es gab Wodka
       und Smalltalk. Einer der Gäste fragte: „Und um was geht es in deinem Buch?“
       
       „Um meine Angststörung.“
       
       „Ah, Angststörung. Haben ja alle gerade.“
       
       Gelächter, Themawechsel, noch ein Wodka, bitte!
       
       Nehmen wir mal an, ich hätte gesagt: „Ich schreibe ein Buch über meine
       Erfahrungen mit sexueller Belästigung.“ Wäre die Antwort dann gewesen: „Ah,
       sexuelle Belästigung. Passiert ja gerade allen“? Nur weil sich mehr Leute
       als früher trauen, darüber zu reden? Und sich glücklicherweise nicht mehr
       dafür schämen?
       
       Mag sein, dass ich empfindlich bin, aber ich glaube nicht, dass der
       Kommentar auf die steigende Zahl psychischer Krankheiten abzielte. (Bei
       denen übrigens unklar ist, ob sie tatsächlich zunehmen oder lediglich
       bessere Diagnosen gestellt werden als früher und die Dunkelziffer abnimmt.)
       Nein – ich glaube, er bezog sich auf die Medienpräsenz von Angststörungen.
       Subtext: Jaja, es ist gerade total angesagt, über seine Psychomacken zu
       schreiben, tausend Mal gelesen, gähn.
       
       Das ist dermaßen oberflächlich, gähn. Weil die Reaktion impliziert, dass es
       einem nicht um die Sache selbst geht, sondern nur um ihre Wirkung. Als
       würde ich so ein persönliches Buch nur schreiben, um bei irgendeinem
       zweifelhaften Trend mitzumachen. Laktoseintoleranz, schwuler bester Freund,
       Angststörung. Check! Schnell auf Instagram posten.
       
       Eine ähnlich arrogante Haltung findet sich in letzter Zeit vermehrt in
       Metatexten über psychische Krankheiten. Die FAS beklagte etwa am
       vergangenen Wochenende, dass psychische Störungen das neue Lieblingsthema
       modebewusster Lifestyle-Portale seien, und mutmaßte, dass sie in diesem
       Kontext oft nicht als Problem, sondern „beinahe als schickes Accessoire“
       erscheinen würden.
       
       Also doch, der Psychoknacks als Must-have? Wohl kaum. Jedenfalls nicht in
       den Texten, die ich auf „Refinery29“ und „bento“ gelesen habe. Da wird
       einfach nur einer jungen Zielgruppe in ihrer Sprache erklärt, was
       psychische Krankheiten sind und wie man mit ihnen umgeht. Und ja, manchmal
       gibt es auch Geschenktipps für den Therapeuten. Na und?
       
       Jeder Text über psychische Störungen ist wichtig. Hauptsache, es kommt in
       Zukunft niemand mehr auf die Idee, einen Betroffenen auszugrenzen oder aus
       Angst vor Stigmatisierung zu schweigen.
       
       1 May 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Franziska Seyboldt
       
       ## TAGS
       
   DIR Angststörungen
   DIR Psycho
   DIR psychische Gesundheit
   DIR Psychische Erkrankungen
   DIR Angststörungen
   DIR Psycho
   DIR Angststörungen
   DIR Psycho
   DIR Autismus
   DIR Psycho
   DIR Depression
   DIR Psycho
   DIR Hosen runter
   DIR Hosen runter
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Kolumne Psycho: Leere Blicke, leere Zimmer
       
       Psychische Probleme finden im Kopf statt, deshalb ist es schwer, sie
       angemessen zu bebildern. Aber versuchen könnte man es ja trotzdem.
       
   DIR Kolumne Psycho: Sehen und gesehen werden
       
       Es ist eine Sache, Menschen mit psychischen Erkrankungen nicht zu
       verurteilen. Eine völlig andere ist es, wirklich zu versuchen, sie zu
       verstehen.
       
   DIR Kolumne Psycho: Kann nicht kommen, weil krank
       
       Wie erklärt man seinem Arbeitgeber und den KollegInnen, dass nicht der
       Körper leidet, sondern der Kopf? Zehn Anläufe des Scheiterns.
       
   DIR Kolumne Psycho: Meditation überm Mailordner
       
       Manche Menschen halten es kaum aus, ungelesene Mails einfach so
       stehenzulassen. Warum nur? Ein Plädoyer gegen den Papierkorbzwang.
       
   DIR Fidget-Spinner-Gate: Trend für den Arsch?
       
       Das Stimming-Spielzeug erobert den Markt und erscheint sogar mit
       LED-Lichtern oder als Analplug. Was das über uns aussagt.
       
   DIR Kolumne Psycho: Stell dich nicht so an!
       
       Heidi Klum könnte ihre Reichweite nutzen, um zum Beispiel über den Umgang
       mit Ängsten aufzuklären. Doch sie versagt total.
       
   DIR Kolumne Psycho: Schlimmer als Weltschmerz
       
       Let’s talk about Depression. Denn wer nicht selbst unter der Krankheit
       leidet, kann nicht verstehen, worum es dabei eigentlich geht.
       
   DIR Kolumne „Psycho“: Dank an die Durchgeknallten
       
       Immer schön den Mund geschlossen halten. Stimmen im Kopf hört jeder. Aber
       als verrückt gelten nur diejenigen, die sie aussprechen.
       
   DIR Kolumne Hosen runter: Keine Diagnose durch die Hose
       
       Psychologen behaupten, Donald Trump sei ein Narzisst – ohne ihn je
       getroffen zu haben. Das ist nicht nur unethisch, sondern auch gefährlich.
       
   DIR Kolumne Hosen runter: Die mit der Angst
       
       Nachdem ich vor einer Woche über meine Angststörung geschrieben habe,
       fragten sich einige: Hätte man mich nicht schützen müssen? Nein.