URI: 
       # taz.de -- Die Wahrheit: Vom Vergrätzen der Vögel
       
       > Nestbau auf dem Balkon: Tauben! Die ihre Familienplanung in Angriff
       > nehmen! Da hilft nur eins: härteste Gegenmaßnahmen.
       
       Ich habe einen Vogel, einen Raben. Ich habe ihn mir gestern für 3,99 Euro
       gekauft, ein Modell mit ausgebreiteten Schwingen, aus Vollplastik. Es ist
       sozusagen die 3-D-Version der Silhouetten, die auf große Fensterflächen
       geklebt werden und andere Vögel abschrecken sollen. Bei mir muss der Rabe
       die Tauben vertreiben. Seit Tagen versucht ein Paar, auf unserem Balkon
       sein Nest zu bauen. Oberhalb der Markise, unterhalb der Traufe. Ein
       offenbar sicheres und trockenes Plätzchen, so aus Taubenperspektive.
       
       Wir hatten den gleichen Ärger bereits im vorletzten Jahr, als wir im Urlaub
       weilten und nach unserer Heimkehr ein vollständiges Nest mit zwei
       niedlichen Taubeneiern zu entsorgen war – während die Eltern auf dem Dach
       gegenüber so finster guckten, wie Tauben nur gucken können, also nicht
       besonders finster, man interpretiert da allerhand hinein.
       
       Das Nest sah aus wie etwas, das Ai Weiwei im Halbschlaf aus Zweigen
       flechten könnte. Allerdings sah auch der Balkon aus, als hätte dort für
       zwei Wochen ein übergewichtiger Chinese mit exsudativer Diarrhö gehaust
       (Bonus-Tipp: Nicht vor dem Frühstück googeln, was „exsudative Diarrhö“ ist
       und wie sie aussieht). Vergangenes Jahr war Ruhe, weil da bereits ein Rabe
       hing, den allerdings der Herbstwind mitnahm.
       
       Und jetzt ging es eben wieder los. Zuerst lagen nur ein paar vereinzelte
       Flaumfedern und Ästchen auf dem Balkon. Dann beobachtete ich die Tauben,
       wie sie im Flug das Material beischafften. Ich bin selbst Vater und kann
       nachvollziehen, dass man dem Nachwuchs in den ersten Monaten ein möglichst
       sicheres und trockenes Plätzchen bereiten möchte. Und wenn mir jemand das
       Eigenheim unterm Hintern wegziehen und meinen Nachwuchs als Spiegelei in
       die Pfanne hauen würde, ich würde auch auf dem gegenüberliegenden Dach
       hocken und finster gucken, also: wirklich finster. Das würde man dann schon
       merken, dass ich da so meine Vorbehalte habe.
       
       Tauben mit ihren Taubenhirnen aber beschreiten bei der Familienplanung nur
       die ausgetretensten Pfade: „Schatz, ich bin schwanger!“ – „Wunderbar, dann
       lass uns mal über unsere eigenen vierhundertvierundvierzig Zweige
       nachdenken! Zufällig erinnere ich mich vage an ein ganz entzückendes
       Grundstück, vierter Stock, sicher und trocken …“. Was zur Folge hat, dass
       ich seit Tagen alle zehn Minuten klatschend auf den Balkon trete, um den
       gefiederten Bauherren ihre Beharrlichkeit auszutreiben. Ohne Erfolg.
       Deshalb musste wieder ein Rabe her. In einer nicht wenig lebensgefährlichen
       Kletterpartie habe ich ihn erneut an genau der Stelle angebracht, wo sich
       die Einflugschneise der Tauben befindet.
       
       An dieser Stelle könnte die Geschichte zu Ende sein, wenn nicht seit ein
       paar Stunden auf dem Balkon wieder gegurrt würde. Eben war ich draußen. Die
       Tauben bauen gerade ihr Nest. Auf dem Rücken des Raben. Mit Vergrätzen ist
       es also nicht mehr getan, ich werde andere Saiten aufziehen müssen. Echte
       Falken gibt es, wie man hört, schon ab 30.000 Euro.
       
       28 Apr 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Arno Frank
       
       ## TAGS
       
   DIR Vögel
   DIR Tauben
   DIR Pro und Contra
   DIR Verkehr
   DIR Flughafen
   DIR Veganismus
   DIR Bahnreisende
   DIR Martin Luther
   DIR Klassik
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Die Wahrheit: Lob der Fläche, Fluch dem Fell
       
       Die große Wahrheit Sommer-Debatte. Folge 1: Die Haut. Pro und Contra zu dem
       labbrigen Ding, das uns alle umhüllt.
       
   DIR Die Wahrheit: Bruder Leichtfuß, Schwester Bleifuß
       
       Besonders vor Schulen ist ein erhöhtes Aufkommen monströser
       Geländepanzerwagen zu beobachten, die gern von besorgten Müttern gefahren
       werden.
       
   DIR Die Wahrheit: Ich Flugzeugentführer
       
       Beim Sicherheitscheck am Flughafen fiel mir plötzlich das Messer in meiner
       Tasche ein. Und da waren auch noch die Mitbringsel aus dem Urlaub …
       
   DIR Religion und Vögel: Wandern, beten, Störche
       
       Unterwegs mit der katholischen Hochschulgruppe auf einem
       biblisch-ornithologischen Spaziergang. Theologische Zoologie ist in.
       
   DIR Die Wahrheit: Der grüne Zimtplauderer
       
       Im ICE. In der ersten Klasse. Ein vormals weltbekannter Spitzenpolitiker
       vertreibt sich die Fahrtzeit und redet und redet und redet …
       
   DIR Die Wahrheit: Verschluckbare Kleinteile
       
       Hätte man einen Glauben, müsste man wegen der Luther-Devotionalien zum
       Reformationsjubiläum sofort von ihm abfallen.
       
   DIR Die Wahrheit: Funky Beethoven
       
       Alles im musikalischen Bereich kann mit Gewinn gehört werden. Nur in der
       Klassik gibt es stets die immergleichen vorgestrigen Altmeister.