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       # taz.de -- Filmsymposium in Bremen: Zum Umgang mit Eichmann
       
       > Auf dem 22. Internationalen Bremer Symposium zum Film ist David Perlovs
       > „Memories of the Eichmann Trial“ zum ersten Mal in Deutschland zu sehen
       
   IMG Bild: Adolf Eichmann bei seinem Prozess in Jerusalem
       
       BREMEN taz | Wenn geforscht wird, sollte auch etwas entdeckt werden. Und in
       diesem Sinne ist es nur folgerichtig, wenn auf einem Symposium zum Thema
       „Film als Forschungsmethode“ eine kleine Entdeckung präsentiert wird, die
       außerhalb ihres Entstehungslandes Israel kaum gezeigt und in Deutschland
       noch nie aufgeführt wurde: „Memories of the Eichmann Trial“ von David
       Perlov.
       
       Über den Prozess gegen Hitlers Schreibtischtäter Adolf Eichmann in Israel
       gibt es eine ganze Reihe von Filmen. Das Standardwerk ist Eyal Sivans
       Dokumentation „The Specialist“ mit vielen Originalaufnahmen vom Prozess
       selber, der damals in seiner ganzen Länge auf Film aufgezeichnet wurde.
       
       Der israelische Filmemacher Perlov aber drehte seinen Film 1979, also 17
       Jahre nach dem Prozess, indem er einige der damaligen Zeugen der Anklage,
       vor allen aber Kinder von Überlebenden des Holocausts dazu befragte, was
       ihnen von der Gerichtsverhandlung in Erinnerung geblieben ist. Er versuchte
       zu ergründen, wie der Prozess das kollektive Gedächtnis der Israelis
       geprägt hat.
       
       Perlov führte seine Interviews im eigenen Wohnzimmer und nutzte nur wenig
       Archivmaterial vom Prozess selber. Weitgehend ließ er die Zeitzeugen
       erzählen.Und auch wenn sie alle ihre eigenen unterschiedlichen Eindrücke
       vom Prozess wiedergeben, sind sie sich in mehreren Kernaussagen einig: So
       schildern alle Israelis der zweiten Generation nach dem Holocaust, dass
       dieser in ihrer Kindheit ein tabuisiertes Thema war und es sowohl in der
       Öffentlichkeit wie auch in den Familien erst durch den Eichmann-Prozess
       möglich wurde, darüber zu sprechen. Ein Journalist erinnert sich, dass am
       Tag des Prozessbeginns niemand in der Redaktion einen Begriff davon hatte,
       wer Adolf Eichmann war – und dass der erste bemannte Raumflug von Yuri
       Gagarin in Israel für mindestens gleich große Schlagzeilen sorgte.
       
       Vielschichtige Erinnerungen an den Eichmann-Prozess 
       
       Und die damaligen Zeugen im Prozess waren sich darüber einig, wie banal und
       durchschnittlich Eichmann wirkte. Rafi Eitan, der zu der Gruppe gehörte,
       die Eichmann in Argentinien gefangen nahm, nach Israel entführte und dort
       bewachte, schildert, wie zwiespältig es für ihn war, als Offizier den
       Befehl auszuführen, den einstigen Offizier Eichmann festzunehmen, der
       seinerseits ja auch Befehle ausgeführt hatte.
       
       Den polnisch-jüdischen Fotografen Henryk Ross hat Perlov gebeten, ihm zu
       zeigen, wie er es fertigbrachte, verbotene Aufnahmen vom Ghetto in Lodz zu
       machen. Ross' Körpersprache ist bei dieser kleinen Demonstration ebenso
       beredt wie seine Erzählung.
       
       „Memories of the Eichmann Trial“ ist eine kleine, aber wichtige Ergänzung
       zu den bekannten Dokumentationen über den Holocaust, denn er zeigt, wie
       vielschichtig und elementar die Erinnerungen der Israelis an den
       Eichmann-Prozess waren.
       
       Dabei war der Film bis vor Kurzem nicht einmal verschollen, sondern
       schlicht vergessen. Er wurde ein einziges Mal im israelischen Fernsehen
       gezeigt und wanderte dann ins Archiv. Der Regisseur Perlov starb 2003 und
       seine Tochter Yael Perlov kümmerte sich danach um seinen künstlerische
       Nachlass. Bekannt ist Perlov für seine Tagebuchfilme, die er durchgängig
       von 1973 bis 1983 drehte – und die seine Tochter restaurieren ließ. Im Mai
       wird sie diese Filme ihres Vaters auf der Documenta in Kassel vorstellen.
       
       Vor einigen Jahren fand sie dann eine von ihrem Vater handschriftlich
       beschriftete VHS-Kassette mit dem vergessenen Film „Memories of the
       Eichmann Trial“, dessen Schluss allerdings fehlte. Dann erinnerte sie sich
       wieder an die Aufnahmen in der Wohnung der Eltern. Den Film selber hatte
       sie aber nie gesehen. Beim israelischen Fernsehen fand sich das Material,
       allerdings im unüblichen 16mm-Format und ohne den Ton.
       
       Der Film musste zunächst restauriert werden 
       
       Die Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem erkannte die nicht nur historische
       Bedeutung des Films und sorgte für eine Restaurierung, zu der auch ein
       Aufruf in der israelischen Presse gehörte. Denn die Namen von manchen
       Protagonisten waren nicht bekannt. So druckten einige Zeitungen Bilder von
       ihnen aus dem Film, wodurch schließlich alle Beteiligten gefunden wurden.
       
       „Memories of the Eichmann Trial“ wurde 2011 im israelischen Fernsehen
       gesendet und im gleichen Jahr im Centre Pompidou in Paris gezeigt. 2014
       lief er im New Yorker Museum of Modern Art. Am Freitag den 5. Mai wird er
       nun im Bremer City 46 gezeigt. Im Anschluss hält die Filmhistorikerin
       Sylvie Lindeperg den Vortrag „Judicial truth and cinematographic truth. The
       filming of the Eichmann trial“ und bezieht sich darin auf die
       Archivaufnahmen vom Prozess sowie Perlovs Film.
       
       Dadurch, dass das Bremer Symposium zum Film im Kinosaal des City 46
       veranstaltet wird, in dem auch die Vorträge stattfinden, ist es mehr als
       eine rein akademische Veranstaltung. Im Gegensatz zu früheren Symposien
       über Science-Fiction-Filme, das Imaginäre im Film oder Reiseerfahrungen im
       Kino, ist das Thema der diesjährigen Veranstaltung „Film als
       Forschungsmethode“ allerdings eher trocken.
       
       In drei Vorträgen und vier Foren geht es etwa dem Privatdozenten Paolo
       Favero darum, die Welt durch neue Bilder zu „erfahren, erkunden und
       erklären“ oder um die „verschiedenen Dimensionen filmischer
       Produktionsforschung“ (Forum 1).
       
       Zur Tradition des Symposium gehört es, einen Stummfilm mit
       Live-Musikbegleitung vorzuführen. Und so läuft am 5. Mai „Der Mann mit der
       Kamera“ von Dziga Vertov, begleitet von Eunice Martins am Piano.
       
       22. Internationales Symposium zum Film: 3. bis 7. Mai, City 46,
       Birkenstraße 1 Bremen, Infos unter: www.city46.de
       
       26 Apr 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Wilfried Hippen
       
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