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       # taz.de -- Debatte Rechtspopulismus in Europa: Jeder kann etwas dagegen tun
       
       > Konfrontation im Netz: Wie ein slowakischer Rentner Rechtsextreme im
       > Internet an den Pranger stellt und zur Weißglut treibt.
       
   IMG Bild: Mitglieder der rechtsextremen Partei „Unsere Slowakei“ demonstrieren gegen Roma (Archivbild)
       
       Die Herausforderungen, vor denen die Slowakei steht, scheinen gefährlicher
       zu sein als je zuvor seit der Rückkehr in die Europäische Gemeinschaft. Das
       Ausmaß des Hasses im öffentlichen Raum hat alle Grenzen gesprengt.
       Antisemitismus und Fremdenhass sind schon in den 1990ern aus der Anonymität
       familiärer Kreise wieder ans Licht getreten.
       
       Blätter wie Nový Slovák (Der neue Slowake) oder Zmena (Veränderung) hetzten
       gegen Ungarn, Tschechen, Juden, Schwule. Allerdings hätten sich die
       Herausgeber nicht träumen lassen, welche Reichweite die sozialen Netzwerke
       ganz gratis bieten.
       
       Ein Vierteljahrhundert lang wurden in meiner Heimat die Risiken von
       Rechtsextremismus und Populismus katastrophal unterschätzt. Das Resultat:
       Im Parlament sitzt die Ľudová strana Naše Slovensko, die „Volkspartei
       Unsere Slowakei“, deren Kern aus Neonazis besteht. Bei den Parlamentswahlen
       2016 erhielt sie 8,04 Prozent der Stimmen, momentan liegt die Zustimmung zu
       der Partei bei 10 Prozent, und sie wächst weiter an. Die meisten ihrer
       Wähler sind unter 25 Jahre alt.
       
       Am stärksten sind die radikalen Volksparteien im Internet. Sie betreiben
       sage und schreibe 139 Facebook-Seiten! Die meisten stoßen auf geringes
       Echo, doch 15 von ihnen sind mit mehr als 10.000 Usern verlinkt, die
       stärkste mit fast 100.000. Und über geteilte Inhalte erreichen zahlreiche
       manipulative Videos, Fotos und Beiträge eine Million Menschen – die
       Slowakei hat 5 Millionen Einwohner.
       
       ## Brechreiz auslösende Profile
       
       Viele Profile lassen sich nur lesen, wenn man eine Kotztüte griffbereit
       hat: Holocaust-Leugnung, Hitler-Glorifizierung, Ausfälle gegen Roma, gegen
       „jüdische Weltverschwörung“, Anti-Impf-Bewegung, Chemtrails, Fälschung der
       slowakischen Geschichte und systematisches Putin-Lob. Teils verstießen die
       Inhalte gegen gleich mehrere Gesetze, aber niemand befasste sich damit. Der
       Hass schien sich grenzenlos weiterzuverbreiten.
       
       Bis Ján Levoslav Benčík die Bühne betrat. Er war nie Mitglied einer Partei
       und verbrachte 41 Jahre seines Lebens in einer unfreien Welt. Auch deshalb
       gehörte er im November 1989 zu den führenden Persönlichkeiten der Sanften
       Revolution in Ružomberok (Rosenberg), wo er lebt. Die kleine
       mittelslowakische Stadt war von einem typisch mitteleuropäischen Schicksal
       ereilt worden: Aus dem einst multikulturellen Gemeinwesen mit seinen
       zahlreichen Nationalitäten war eine ethnisch homogene, rein slowakische
       Stadt geworden.
       
       Vor etwa drei Jahren begann der Rentner Benčík Screenshots von öffentlichen
       Facebook-Profilen und Websites extremistischer Personen und Vereinigungen
       anzufertigen. Neonazis, Rassisten, Scharlatane, Verschwörungstheoretiker.
       Das Material veröffentlichte er kommentiert in [1][seinem Blog]. Seine –
       ganz privaten- Aktivitäten fanden schon bald ein außerordentliches Echo.
       Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erregte er auch dadurch, dass sich jene
       laut zu Wort meldeten, deren Gedanken und Ansichten er sichtbar gemacht
       hatte. Die Ertappten sperrten oder löschten ihre Profile. Sie stritten ab,
       die Autoren zu sein, oder behaupteten, jemand habe ihre Konten gehackt.
       
       Benčík erhielt Drohungen, und es wurde auf jede erdenkliche Weise versucht,
       seinen Ruf zu ruinieren. Auf allen 139 Parteiprofilen und vielen anderen
       geistesverwandten Internetseiten wurde eine Kampagne losgetreten: Benčík
       habe sich durch sein Tun als Stasispitzel entlarvt, als jüdischer
       Geheimdienstagent, als Helfershelfer der verhassten NGOs, et cetera. Ein
       Rentner, der mit seinem Rechner in seiner Plattenbauwohnung in der
       slowakischen Provinz sitzt, hat die slowakischen Rechtsextremen zur
       Weißglut gebracht.
       
       ## Nützliche Idioten
       
       Das Angstmachen verfing nicht, er hörte nicht auf. Also legten seine
       Widersacher nach. Heute bekommt er nicht mehr nur „normale“ Morddrohungen –
       sie haben auch seine Adresse herausgefunden, beobachten ihn, schicken ihm
       Drohbriefe und Patronenhülsen. Menschen, die vor dem rüstigen alten Herrn
       Angst haben, gibt es zuhauf, viele von ihnen sind verurteilte Verbrecher
       und Terroristen aus kriminellen Banden im Ausland, vor allem im
       ukrainischen Donezbecken, wo selbst ernannte slowakische Söldner ihr
       Unwesen treiben.
       
       Benčík sagt: „Wir leben in der postfaktischen Epoche, wo Emotionen, und
       seien sie durch offensichtliche Lügen hervorgerufen, mehr Gewicht haben als
       wahrheitsgetreue Informationen. In einer Epoche, in der der Zugang zum
       Internet gleichzeitig Fluch und Segen ist. In der eine durch seriöse,
       langjährige Arbeit von Spitzenfachleuten verifizierte Theorie oder
       Information für viele weniger zählt als das Geschwafel eines geschickten
       Manipulators oder halbgebildeten Scharlatans. In einer Epoche der
       Oberflächlichkeit, wo es an Bereitschaft mangelt, seine Informationsquellen
       zu überprüfen und die Beweggründe derjenigen aufzudecken, die
       Falschmeldungen verbreiten. In einer Epoche von bezahlten Trollen und
       nützlichen Idioten.“
       
       ## Bodenlose Frechheit
       
       Ján Levoslav Benčík ist einer Unmenge von Leuten ein Dorn im Auge. Was sie
       wohl noch gegen ihn aus dem Hut zaubern mögen? „Denunziant“ und
       „Stasischwein“ verfangen nicht mehr so recht, deshalb machen sie aus ihm
       neuerdings einen Neonazi. Diese bodenlose Frechheit, angeblich bestätigt
       von einer nichtexistenten Quelle und von einem verrückten Fanatiker
       gebetsmühlenartig wiederholt, haben inzwischen Tausende verbreitet,
       darunter auch Abgeordnete des Nationalrats und ein Mitglied des
       Sicherheitsausschusses. Es wäre zum Lachen, wenn es nicht so gespenstisch
       wäre.
       
       Extremisten müssen andauernd andere als Extremisten bezeichnen, weil sie
       sonst zu sehr aus der Masse herausstechen. Sie bemühen sich, den Anschein
       zu erwecken, dass Kritik an ihrem Handeln und ihren Ansichten ein
       Verbrechen ist. Unablässig bezeichnen sie ihre Opponenten als Verbrecher
       und attackieren sie, nur damit die Öffentlichkeit nicht aus Versehen ihre
       eigenen Delikte analysiert.
       
       Ján Levoslav Benčík kämpft in einer von Lügen verseuchten Welt für die
       Wahrheit. Er erinnert uns an die Bedeutung der Demokratie und daran, dass
       sie keine Selbstverständlichkeit ist. Seine Geschichte zeigt, dass jeder
       von uns etwas verändern kann. Die, auf die wir warten, sind wir selbst.
       
       Übersetzung aus dem Slowakischen: Mirko Kraetsch
       
       27 Apr 2017
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://dennikn.sk/blog/pozoruhodny-myslienkovy-svet-kotlebovho-okresneho-predsedu/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Michal Hvorecky
       
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