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       # taz.de -- Krankenkassen und Homöopathie: Das Geschäft mit dem „Öko-Trend“
       
       > Viele gesetzliche Krankenkassen zahlen für Homöopathie-Leistungen –
       > aufgrund der großen Kundennachfrage. Das stößt auch auf Kritik.
       
   IMG Bild: Wer heilt, hat Recht
       
       Berlin taz | 2005 war ein wichtiges Jahr für die Homöopathie. Seit damals
       übernehmen gesetzliche Krankenkassen auch die Kosten für homöopathische
       Behandlungen. Über 200 Jahre sind die Methoden des deutschen Arztes Samuel
       Hahnemann alt. Nun können mehr Menschen denn je die ärztliche Betreuung in
       Anspruch nehmen: Nach Aussagen des Deutschen Zentralvereins homöopathischer
       Ärzte lassen sich jährlich 12 Millionen Patienten in Deutschland
       homöopathisch behandeln. Aus einer Allensbach-Studie geht hervor, dass der
       Kreis der Homöopathika-Nutzer in den letzten fünf Jahren signifikant
       gewachsen ist: von 53 Prozent auf 60 Prozent der Bevölkerung. Dabei ist die
       Homöopathie höchst umstritten.
       
       Kritiker werfen ihr Wirkungslosigkeit vor. Bis heute liegen keine
       verlässlichen Beweise für die Wirkung von Globuli vor, die fast nur aus
       Zucker bestehen. Auch die ehemalige Homöopathin Natalie Grams, heute
       Vorsitzende des Informationsnetzwerks Homöopathie, spricht sich gegen
       homöopathische Behandlungen aus: „Das größte Missverständnis von
       Homöopathen und ihren Patienten ist, dass sie die Globuli für Arzneimittel
       halten. Man schreibt den Kügelchen eine Wirksamkeit zu, die sie nicht
       haben. Wenn sie funktionieren, dann nur als Träger einer Suggestion“, sagte
       sie letztes Jahr der taz. „Geistartige Kräfte“ bei der Behandlung könne sie
       nicht feststellen.
       
       Vor einigen Wochen löste der Mediziner Christian Lübbers, der für seine
       häufige Kritik an der Homöopathie in sozialen Netzwerken bekannt ist, einen
       gewaltigen Shitstorm aus. Vorausgegangen war eine Studie der Techniker
       Krankenkasse (TK), die im Fachmagazin PLoS One erschienen war. Darin
       stellten Forscher der Berliner Charité, der Universität Zürich und der
       Maryland School of Medicine fest, dass homöopathische Behandlungen teurer
       sind als klassische.
       
       Die Kosten bei Homöopathie-Patienten würden sich demnach nach 18 Monaten
       auf 7.200 Euro pro Person belaufen, bei den anderen nur auf 5.900 Euro.
       Erklären lässt sich die Differenz durch die teureren Medikamente und
       häufigeren Krankheitstage der Homöopathie-Patienten.
       
       ## Lieber Brillen oder Zahnersatz
       
       Als Lübbers die Ergebnisse über Twitter verbreitete, entbrannte eine
       Diskussion über den Nutzen der Homöopathie. Viele Twitter-Nutzer forderten,
       von dem Geld lieber Brillen oder Zahnersatz zu bezahlen. Lübbers äußert die
       Vermutung, Krankenkassen würden durch die Erstattungen „junge, gesunde, gut
       verdienende“ Versicherte binden. Der Blick in einen Werbeflyer der TK
       bestätigt diesen Eindruck. Dort heißt es: „Die sanfte Medizin liegt im
       Trend. Viele TK-Versicherte schätzen Naturheilverfahren. Die TK bietet
       deshalb bei der Homöopathie eine besondere Leistung.“ Es scheint der Kasse
       also gar nicht um die Wirksamkeit der Behandlung zu gehen – sondern um die
       Nachfrage.
       
       76 Krankenkassen in ganz Deutschland übernehmen nach Informationen der
       [1][Krankenkassennetz.de GmbH] die Kosten für homöopathische Behandlungen.
       Darunter die Barmer. Auf deren Webseite wird nicht versucht, die
       Wirksamkeit homöopathischer Behandlungen zu beweisen: „Die Homöopathie ist
       eine wissenschaftlich nicht anerkannte, aber beliebte und verbreitete
       alternativmedizinische Behandlungsmethode“, steht dort.
       
       Natalie Grams, die ehemalige Homöopathin, bestätigt: „Als ich mit
       Vertretern der AOK und der TK gesprochen habe, wurde ganz offen zugegeben,
       dass Homöopathie eben ein wirtschaftlicher Pluspunkt ist.“ Vor allem eine
       junge, gesundheitsbewusste Klientel würde die Leistungen nutzen. „Mit dem
       Öko-Trend ist die Nachfrage gestiegen“, sagt Grams. Für viele ihrer
       ehemaligen Patienten sei die Homöopathie ein „Add-on“ zur klassischen
       Behandlung gewesen. Das erkläre die Mehrkosten. „Die TK hat bis jetzt keine
       Konsequenzen aus ihrer Studie gezogen“, resümiert sie.
       
       ## Komplementärmedizinische Angebote
       
       Das bejaht Michael Ihly von der Techniker Krankenkasse: „Aus
       Kundenbefragungen wissen wir, dass Versicherte sich sogenannte
       komplementärmedizinische Angebote in Ergänzung zur Schulmedizin wünschen.
       Wir nehmen diese Wünsche ernst.“ Er verweist auf § 2 des
       Sozialgesetzbuches, das besagt, dass „besondere Therapierichtungen“ nicht
       ausgeschlossen sind
       
       Außerdem würde die TK nur mit Vertragsärzten zusammenarbeiten. „Die von
       Ihnen erwähnte Studie kommt in der Tat zu dem Ergebnis, dass zusätzliche
       homöopathische Behandlungen keine Kosten sparen“, sagt Ihly. „Was die
       Kosten angeht, so sprechen wir allerdings von deutlich weniger als einem
       Promille unserer Ausgaben.“ Mit dem Angebot würde man Mitglieder im
       Solidarsystem halten.
       
       Ähnliche Angaben macht der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie.
       Lediglich 0,04 Prozent der Gesamtausgaben der gesetzlichen
       Krankenversicherungen für Arzneimittel werden aktuellen Marktzahlen nach
       für Homöopathika ausgegeben.
       
       ## Was ist fachlich gebotene Qualität
       
       Das macht 14 Millionen Euro für Homöopathie, denen 36,4 Milliarden Euro
       Gesamtumsatz zu Lasten der Kassen gegenüber stehen. Lübbers entgegnet: „Es
       ist unverantwortlich, wie schnell Kosten im Gesundheitswesen bagatellisiert
       werden, sobald sie von den Krankenkassen als Marketing verbucht werden,
       während an anderen Ecken gespart und gestrichen wird. Wer Zuckerkügelchen
       als ‚Peanuts‘ abtut, missbraucht das Solidarsystem der gesetzlichen
       Krankenversicherungen.“
       
       Um ihre berufliche Zukunft müssen sich deutsche Homöopathen indes kaum
       Sorgen machen. Vom 14. bis 17. Juni findet in Leipzig der bislang größte
       homöopathische Weltärztekongress statt. Bis zu 1.500 Teilnehmer werden
       erwartet. Die Schirmherrin des Kongresses, Annette Widmann-Mauz (CDU),
       warnt, dass es stets erforderlich sei, „Leistungen in der fachlich
       gebotenen Qualität“ zu erbringen, damit Krankenkassen die Kosten für
       Homöopathie übernehmen. Wie genau diese „fachlich gebotene Qualität“ jedoch
       aussieht, sagt sie nicht.
       
       15 May 2017
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.krankenkassennetz.de/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Klara Weidemann
       
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