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       # taz.de -- Xavier Naidoo und der „Söhne“-Song: Alles nur ein Missverständnis
       
       > Der Sänger hat den oberbürgermeisterlichen Demokratietest bestanden. Er
       > darf weiter antisemitische Verschwörungstheorien trällern.
       
   IMG Bild: Zugespitzte Demokratiefeindlichkeit: Xavier Naidoo
       
       Nach dem Treffen zwischen dem Oberbürgermeister und den Söhnen Mannheims
       habe der Sänger Xavier Naidoo das Gefühl, „das Wort für die Kunst ergreifen
       zu müssen“, schrieb er am Dienstag auf seiner Facebook-Seite. Die
       Diskussion um den neuen Söhne-Song „Marionetten“ sei lediglich auf
       Missverständnisse zurückzuführen – bei dem Text handele es sich „um eine
       zugespitzte Zustandsbeschreibung gesellschaftlicher Strömungen, bewusst
       überzeichnet“.
       
       Alles also nur Zuspitzung, Überzeichnung, Missverständnis. Eine klassisch
       relativierende Nicht-Entschuldigung. Die nichts wert ist, da Naidoo seit
       Jahren vollkommen bewusst mit genau den Ressentiments spielt, von denen er
       sich jetzt scheinheilig distanziert. Die übliche Ausrede nach Rassismus-
       und Antisemitismusvorwürfen ist auch dabei: Naidoo schätze sich glücklich,
       „viele Freunde jeglicher Nationalität und jeglichen Glaubens“ zu haben.
       Damit beweist er erneut, dass er kein Verständnis dafür hat, wie
       Antisemitismus funktioniert.
       
       Denn Juden werden nicht „wegen ihres Glaubens“ angegriffen, gehasst und
       ermordet. Das geschieht völlig unabhängig davon, ob die bedrohten Juden
       streng oder wenig religiös, religionskritisch oder atheistisch sind. Das
       reale Verhalten von Juden spielt für den Antisemitismus keine Rolle, es
       geht vielmehr um eine bestimmte Wahrnehmung von Juden. „Existierte der Jude
       nicht, der Antisemit würde ihn erfinden“, wusste schon Jean-Paul Sartre.
       
       In dieser Verschwörungsideologie, die die Befreiung in der Vernichtung der
       Juden sieht, wird Juden nicht nur alles Übel, ihnen wird auch eine
       unheimliche Macht zugeschrieben: Sie ziehen im Hintergrund die Strippen,
       kontrollieren Medien und Regierungen und sind für wirtschaftliche und
       politische Umbrüche verantwortlich. Und genau dieser Ideologie bedient sich
       auch Naidoo: „Für eure Puppenspieler seid ihr nur Sachverwalter“, heißt es
       im neuen Propagandawerk „Marionetten“. Dass Deutschland „immer noch ein
       besetztes Land ist“, verkündete er im Reichsbürger-Jargon bereits 2011.
       
       ## Neu aufgelegte Ritualmordlegende
       
       Und nicht nur dieser „Strippenzieher im Hintergrund“ ist ein klassisches
       antisemitisches Stereotyp, das auf komplexe Probleme einfache Antworten
       gibt. Schon 2009 sang er in „Raus aus dem Reichstag“: „Baron Totschild gibt
       den Ton an, und er scheißt auf euch Gockel. Der Schmock ist’n Fuchs und ihr
       seid nur Trottel.“ Der mächtige jüdische Bänker ist nur an seinen eigenen
       Zielen interessiert, dabei intelligent die Bevölkerung ausnutzend – das
       nicht mal mehr bemüht, die eigenen antisemitischen Ressentiments mittels
       Umwegkommunikation zu verdecken.
       
       2012 legte Naidoo gemeinsam mit dem Rapper Kool Savas die jahrhundertealte
       Ritualmordlegende neu auf und schwadronierte von „satanischen
       Verschwörern“, die „okkulte Rituale“ betreiben und dabei kleine Kinder
       töten. „Teil einer Loge getarnt unter Anzug und Robe. Sie schreiben ihre
       eigenen Gebote“, heißt es dort und auch Gewaltfantasien dürfen nicht
       fehlen: „Ich schneide euch jetzt mal die Arme und die Beine ab, so wie ihr
       es mit den Kleinen macht.“
       
       Ähnliche Gewaltandrohungen finden sich auch in „Marionetten“. In Richtung
       Politik heißt es: „Alles wird vergeben, wenn ihr einsichtig seid. Sonst
       sorgt der wütende Bauer mit der Forke dafür, dass ihr einsichtig sei.“ Der
       Songtext ist nichts anderes als eine Hetzschrift, die die aktuellsten
       Schlagworte der rechten Bewegung aufgreift oder umschreibt: Volksverräter,
       Lügenpresse, Kinderschänder. Naidoo hat dennoch gerade den Echo moderiert,
       hat seine eigene Liveshow auf Sky und wird mit dem neuen „Söhne“-Album
       wieder viel Geld verdienen.
       
       Weil es in Deutschland offenbar viele nicht stört, wenn Gewaltfantasien und
       antisemitische Verschwörungstheorien verbreitet werden, solange man danach
       lange Statements „gegen jede Art von Gewalt und Diskriminierung“ lesen
       darf.
       
       Die Stadt Mannheim und ihr OB Peter Kurz waren jedenfalls zufrieden mit dem
       Treffen mit der Musikergruppe. Die Atmosphäre sei „offen und intensiv“
       gewesen, die Gruppe würde „der Inanspruchnahme durch demokratiefeindliche
       Rechtspopulisten widersprechen“.
       
       9 May 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Frederik Schindler
       
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