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       # taz.de -- Korpsgeist bei der Polizei Bremen: Polizist, loyal, sucht Anwalt
       
       > Am zweiten Tag des Berufungsverfahrens um den prügelnden Polizisten
       > Marcel B. werden weitere Zeugen gehört – und manche vor sich selbst
       > beschützt
       
   IMG Bild: Tatort Walle: Hier verfolgte und verprügelte Marcel B. 2013 sein Opfer
       
       Bremen taz | Eigentlich ist die Polizei dazu da, die BürgerInnen zu
       schützen. Manchmal jedoch sind es die BürgerInnen, die vor der Polizei
       beschützt werden müssen – und gelegentlich passiert es auch, dass die
       Polizei vor sich selbst beschützt werden muss.
       
       Genau das geschah gestern in der Berufungsverhandlung vor dem Landgericht
       um den Polizeibeamten Marcel B., der im Mai 2013 den unbescholtenen
       Brasilianer V. de O. nachts verfolgt und dann verprügelt hatte. Im ersten
       Prozess vor dem Bremer Amtsgericht hatten damals zwei KollegInnen von B.
       ausgesagt – und zwar eine konstruiert wirkende Geschichte, die den
       angeblichen „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ durch das Opfer V. de
       O. belegen sollte. Demnach habe der Brasilianer, auf dem Bauch liegend und
       damit beschäftigt, seine Arme dem Zugriff des Polizisten zu entziehen,
       dabei noch an Marcel B.s Jacke gezerrt und ihn damit in Bedrängnis
       gebracht.
       
       Das konnte sich niemand vorstellen, auch der Richter am Amtsgericht, Hans
       Ahlers, attestierte den BeamtInnen in seinem Urteil später „falsch
       verstandenen Korpsgeist“, im Klartext also: eine uneidliche Falschaussage.
       
       Gestern nun sollten beide BeamtInnen erneut als Zeugen gehört werden. Die
       Polizeioberkommissarin D. lässt sich entschuldigen, eine Mandelentzündung,
       eitrig. Der zweite Kollege, Polizeioberkommissar André M., wird
       hereingerufen und von Richterin Wilkens belehrt, das Übliche: Man soll als
       Zeuge die Wahrheit sagen, tut man es nicht, macht man sich strafbar. Das
       weiß der Polizist natürlich.
       
       ## Dem Polizisten droht ebenfalls ein Ermittlungsverfahren
       
       Doch dann greift der Staatsanwalt ein: Er bitte darum, den Zeugen
       ausführlich zu belehren, also: Ihn über sein Zeugnisverweigerungsrecht
       aufzuklären und ihm einen anwaltlichen Beistand zur Seite zu stellen. Der
       Oberkommissar guckt überrascht. Sowohl der Verteidiger von Marcel B., Temba
       Hoch, als auch die Vertreterin der Nebenklage Britta von Döllen-Korgel
       schließen sich dem an, aus „Fürsorgepflicht für den Zeugen“ und aus
       „Fairness“, wie die beiden Anwälte später sagen.
       
       Denn Oberkommissar M. ist in einer schwierigen Lage, auch wenn ihm das
       offenkundig noch nicht klar ist. Widerruft er seine Aussage vor dem
       Amtsgericht, droht ihm ein Ermittlungsverfahren, weil er damit zugegeben
       hätte, vor dem Amtsgericht gelogen zu haben.
       
       Bestätigt er aber erneut die abenteuerliche Geschichte, droht ihm ebenfalls
       ein Ermittlungsverfahren: Denn Rechtsanwältin von Döllen-Korgel hat
       angekündigt, seine Vereidigung zu beantragen. Sollte er also bei seiner
       Geschichte bleiben und ihm nachgewiesen werden, dass sie falsch ist, hätte
       er unter Eid gelogen. „Das ist ein Verbrechen und wird mit nicht unter
       einem Jahr Freiheitsstrafe bestraft“, sagt Temba Hoch. Und das bedeutet
       zwangsläufig die Entlassung aus dem Polizeidienst.
       
       Alle im Gericht sind sich einig, dass aus „Fürsorge“ für den Zeugen also
       ein Anwalt her muss – der ihm im Zweifel raten kann, nicht auszusagen, um
       sich nicht selbst zu belasten. Der Oberkommissar wird also beauftragt, sich
       einen Anwalt zu suchen, doch das dürfte nicht ganz einfach werden: „Ich
       würde sagen, Sie suchen sich jemanden, der viel Zeit hat“, rät ihm
       Richterin Wilkens. Denn bis zu seiner Vernehmung, die jetzt auf den 19. Mai
       vertagt ist, muss der Anwalt zunächst Akteneinsicht beantragen und
       sämtliche Prozessakten gewälzt haben.
       
       Der Oberkommissar ist damit zunächst entlassen – und hat wohl immer noch
       nicht ganz begriffen, dass er gerade vor sich selbst beschützt wurde. Er
       steht noch eine Weile unschlüssig im Saal, bevor er einmal unsicher in die
       Runde winkt und geht.
       
       9 May 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Karolina Meyer-Schilf
       
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