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       # taz.de -- Menschen wie Inseln: Verschwunden im Nebel
       
       > Der Kieler Klaus Böldl schreibt über Vereinzelung. In seinem neuen Roman
       > „Der Atem der Vögel“ zieht ein Hamburger durch die verregneten Färöer
       
   IMG Bild: Kap Enniberg am nördlichsten Ende der Färöer-Inseln im Nebel – oder Regen?
       
       Vor ein paar Tagen hat das Institut für öffentliche Gesundheit in
       Tórshavn, der Hauptstadt der Färöer-Inseln, eine neue Studie
       veröffentlicht. Demnach sei das Leben auf den entlegenen, ewig verregneten
       und vom Wind zerzausten Inseln einfach großartig. Und es möge ja sein, dass
       die benachbarten Länder Norwegen, Dänemark und auch Island beim UN-Index
       für Lebenszufriedenheit und Wohlergehen regelmäßig abräumten. Aber die
       Färöer könnten da noch eine Schippe drauflegen: „Die Menschen auf den
       Färöern sind einfach die glücklichsten Menschen der Welt“, verkündete der
       Direktor des Instituts, Magni Mohr, gut gelaunt.
       
       „Ich könnte mir vorstellen, dass das stimmt“, sagt der Kieler
       Schriftsteller und Skandinavist Klaus Böldl, der sich für seinen neuen
       Roman „Der Atem der Vögel“ die Färöer als Schau- und Lebensmittelpunkt
       ausgesucht hat. „Denn auch wenn die Lebensbedingungen dort manchmal hart
       sind, vor allem im Winterhalbjahr, hat man schon den Eindruck, dass ein
       größerer Zusammenhalt zwischen den Menschen besteht. Die kennen sich
       vielfach alle, weil es eine kleine Community ist“, sagt er. Dazu komme,
       dass die Leute auf den Färöern sehr gläubig seien. „Und vielleicht gibt
       auch das den Leuten so ein Gefühl des Aufgehobenseins auf diesen entlegenen
       Inseln.“
       
       Die Färöer also, jene Inselgruppe zwischen Schottland und Island, die bei
       uns hin und wieder kurz in die Medien gerät, wenn mal wieder ein
       Qualifikationsspiel für die Europameisterschaft ansteht – und die
       Mannschaft der Färöer verliert so gut wie immer bis haushoch. Aber einer
       wie Philipp, der Held in Böldls neuem Roman, würde nie Fußball schauen. Er
       geht am Stadium Tórsvollur vorbei, streift es mit einem Blick – das war es
       auch schon.
       
       ## Versprachlichte Landschaft
       
       Denn Philipp ist ein Landschaftsmensch. Einer, der sich mit Vögeln auskennt
       und mit Wolkenformationen. Und er ist einer, der sich gar nicht so sicher
       ist, ob er auf diese Welt gehört. Oder nicht besser verschwinden sollte –
       irgendwo im Nebel, im Regen. Wenn der Regen so fein übers Land zieht, vom
       Meer her oder auf das Meer zu, dass er Nebel sein könnte – und umgekehrt.
       
       Klaus Böldl war öfter auf den Inseln, hat ihnen in seinem Essayband „Die
       fernen Inseln“ schon 2003 nach einem Besuch einen Text gewidmet, in dem er
       seine Hoffnung bestätigt fand, eine Landschaft vorzufinden, „von solcher
       Einförmigkeit, dass man spurlos darin aufgehen könnte“. Geschrieben hat er
       seinen Roman dann aber im vergleichsweise überlaufenen Kiel. Wobei bei ihm
       der Ort der Anfang von allem sei: „Wenn sich bei mir eine Idee zu einem
       Text entwickelt, ist am Anfang immer der Schauplatz, die Landschaft
       vorhanden. Um diesen Ort oder diese Landschaft zu versprachlichen, braucht
       es dann bestimmte Figuren.“
       
       Naheliegend wäre es zwar gewesen, irgendeinen Ornithologen oder Geologen
       über die Inseln zu schicken, aber die Gefahr, dass dann sein Roman nur eine
       literarisch überformte Landeskunde hätte werden können, erschien ihm zu
       groß. Letztlich sei er auf eine Gestalt gekommen, „die vom Leben auf den
       Färöern leicht überfordert ist“, sagt er. Eine Gestalt mit einem relativ
       geringen Radius – „eine sehr in sich verkapselte, egozentrische Figur“.
       Philipp also, einen Restaurator, den es vor gut zwei Jahren aus seinem
       möblierten Zimmer in Hamburg auf die verregneten Inseln zog. „Mich hat es
       interessiert, die Spannung einer so auf sich verwiesenen Figur und der
       umgebenden, großartigen, kulissenhaften Landschaft auszuloten“, sagt Böldl.
       
       Und so gibt es neben der Landschaft mit ihren schroff abfallenden Klippen,
       den mit Schafen bestückten, oft sumpfigen Weiden, auch eine Frau an
       Philipps Seite, die Kinderärztin Johanna, die jeden Tag verlässlich in ihr
       Krankenhaus geht. Ständig erzählt sie von ihrem Kollegen Jens, der eine
       Sonnenbrille mit verspiegelten Gläsern trägt, wenn der Himmel über Tórshavn
       mal aufreißt. „Dieser Jens könnte schon eine Bedrohung darstellen“, sagt
       Böldl, „sofern der Text von einer Katastrophe handeln sollte.“
       
       ## Verstörend unheimisch
       
       Mit Johannas kleiner Tochter Rannvá spaziert Philipp durch die kleine Welt
       der Hauptstadt mit dem Hafenbecken nebst Fähranleger, dem zentralen
       Busbahnhof, den Wegen, die an den Stadtrand führen. Wegzukommen ist ihm
       wichtig, aber auch, dass er jederzeit wieder umkehren und zurückkehren
       könnte. Als dann die Kinderärztin und ihr Kind aufs Festland, nach Dänemark
       reisen: Wäre das nicht eine Gelegenheit, endlich zu gehen? Weg zu sein,
       einfach weg? „Der Atem der Vögel“ ist ein seltsames und seltsam betörendes
       Buch; eines, das einen aus dem Alltag hebt mit seinem ganzen hektischen
       Quatsch und unwichtigem Durcheinander; auch weil es einen ein bisschen
       verstört.
       
       Und Philipp zieht sich an und geht nach draußen in den Regen, der nicht
       aufhören will, warum sollte er auch? Schritt für Schritt die Küste entlang,
       über die Berge und Felsen, durch den Regen, der mal schwächer, mal stärker
       wird. Und wenn es nicht regnet, dann regnet es bald wieder, keine Sorge. So
       wie auch Philipp immer wieder zurückkehrt in das Haus, das nicht seines
       ist, zu dem Kind, das nicht seines ist. Dort sitzt er dann, unheimisch und
       nur auf sich geworfen, sodass er doch wieder los muss – raus, weit nach
       draußen, um im Nebel zu verschwinden.
       
       19 May 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Frank Keil
       
       ## TAGS
       
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