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       # taz.de -- Inselfieber global: Im Paradies gibt’s Party ohne Ende
       
       > Die Touristifizierung der Welt verlangt nach idyllischen Orten wie den
       > indonesischen Gili-Inseln. Der Strandradius schrumpft, der Traum wird
       > Albtraum.
       
   IMG Bild: Warten auf Touristen auf den Gili Inseln
       
       Der weißkörnige Strand wie eine Postkarte, die zu Hause am Kühlschrank
       hängt, die man Freunden zeigt und vom „Paradies“ spricht. Vor 50 Jahren war
       er für die ersten Bewohner der indonesischen Gili-Inseln nicht mehr als ein
       öffentliches Klo. Die Bugis waren arme nomadische Fischer aus Sulawesi, so
       erzählt es Stefan Pfister. Vorbeiziehende Touristen spiegeln sich in seiner
       Sonnenbrille, während er die Geschichte der „Gilis“ erzählt. Sie beginnt
       mit dem Zweiten Weltkrieg.
       
       Überwachsene Bunkeranlagen sind Überbleibsel einer Zeit, in der die
       Inselgruppe nördlich von Lombok so uninteressant war, dass man sie als
       Lager für japanische Kriegsgefangene nutzte. Auf den drei Inseln gab es
       nichts außer Süßkartoffeln und Büschen, ein paar mickrige Hügel, nicht
       einmal Schatten. Dass dieses „Nichts“ für Backpackertouristen in den 80er
       Jahren Inselsehnsüchte auslöste, konnten die Fischer nicht ahnen, als sie
       die ersten Siedlungen im Inneren von Gili Air, Gili Trawangan und Gili Meno
       bauten.
       
       Er sei der Erste gewesen, der Kokospalmen auf die Insel brachte und damit
       die Inseln bewirtschaftbar machte, erzählt Pfister. Die Dorfbewohner kennen
       den Spa, Bar- und Villenbesitzer als „Mr Stefan“ oder: der erste Mann auf
       der Insel. Der 69-Jährige, aufgeknöpftes Hawaiihemd und graumelierter
       Pferdeschwanz, erzählt, dass er Schauspieler war, für den „Tatort“ unter
       anderem, bis er genug hatte „von roten Teppichen“. Eigentlich suchte er nur
       seine Ruhe als er in den 70er Jahren mit seinem Segelschiff die Inseln
       umrundete: „Schon als ich Robinson Crusoe in meiner Kindheit las, habe ich
       mir gewünscht, eine Insel zu besitzen“.
       
       ## Gnadenlose Vermarktung
       
       Als er damals den menschenleeren Strand betrat, war er mit den Fischern
       alleine. Zehn Jahre später entdeckten Backpackertouristen, bald auch
       Investoren und Pauschalurlauber die Gili-Inseln. Bis zu 4.000 Besucher
       erreichen täglich die Inselgruppe. Etwa genau so viel Einwohner zählen die
       Inseln, die zusammen nur etwa so groß sind wie Berlin-Neukölln. Im Jahr
       2012 arbeiteten 80 Prozent der Familien, zuvor Fischer und Landwirte, im
       Gastbetrieb. In nicht einmal fünfzig Jahren waren die Gili-Inseln zu einem
       Ort geworden, an dem seine Bewohner von der Vermarktung des vermeintlichen
       Inselparadieses leben.
       
       Für Stefan Pfister ein Wandel vom „Traum zum Albtraum“. Um die Mittagszeit,
       wenn die Fischer schlafen gehen, erreichen die ersten Touristenboote die
       Inseln. Auf Gili Trawangan werden die Ankommenden mit wummernden Bässen
       begrüßt. Touristinnen in Glitzerbikinis und Strohhüten springen vom Deck
       ins badewannenwarme Wasser. Den letzten Teil der Reise legen sie zu Fuß
       zurück, den Rollkoffer auf dem Kopf balancierend. Anstatt Taxifahrern
       warten junge Männer mit hölzernen Kutschen, Cidomos, auf die Gäste.
       
       Neben bunt bemalten Essensständen, gibt es Latte Macchiato, veganes Eis und
       Bier aus der Tiefkühltruhe. „This is only for rich people“ steht auf die
       hölzernen Fassade einer Familienunterkunft. Abseits der Strandpromenade, im
       Dorfinneren, haben sich ein paar verschleierte Frauen zum Mittagsschlaf
       unter eine überdachte Holzplattform gelegt. Sie lassen sich so wenig vom
       Ruf des Muezzins stören wie von der Elektromusik am Strand.
       
       Ein paar Hühner rennen im Zickzack über den sandigen Boden, ein Kind dreht
       mit dem Fahrrad Runden. Es ist das Hauptverkehrsmittel auf der Insel. Im
       Hinterland der Insel ist der Bass der Strandbars nur noch dumpf zu hören.
       Das Besondere an den Gilis sei die Ruhe, sagt Hidayat Taufiq, der
       Gemeindechef der Inseln, als hätte er den Satz schon oft wiederholt. Eine
       zehnminütige Bootsfahrt entfernt fände sie jeder Besucher je nach Belieben:
       Auf Gili Trawangan nur abseits der Partymeile.
       
       ## Der Chef der Dorfangelegenheiten
       
       Gili Trawangan gilt als die jugendlichste der Inseln, Gili Meno als
       Flitterwochenparadies und Gili Air als die authentischste Insel, wo „noch“
       am meisten Einheimische leben. So charakterisiert der 40-Jährige die
       Inseln. Taufiq, moosgrüne Uniform, der Stift in der Brusttasche und roter
       Samthut, ist auf Gili Air geboren. Er erinnert sich gut daran, wie er sich
       über „seinen ersten Touristen“ wunderte.
       
       „Viele der Familien, früher auch Fischer aus der indonesischen Provinz
       Sulawesi, arbeiten im Tourismus“, erzählt er bei einer Tasse Tee. Gleich
       müsse er los, sagt Taufiq, während seine Mitarbeit im Hintergrund den
       Pavillon im Innenhof für eine Gemeindesitzung bestuhlen. Hier kommen die
       Dorfbewohner regelmäßig zusammen, um über Dorfangelegenheiten zu sprechen.
       
       Heute auf der Tagesordnung: Landvergabe oder „Party Guidelines“. Die Ruhe,
       Gilis wichtigstes Marketing-Tool, wird durch lokale Verordnungen geschützt.
       Motorlärm ist verboten, Hundegebell reguliert. Wer am Strand von Gili Meno
       versucht, eine Party zu veranstalten, wird bestraft. Gleichzeitig gelten
       die Gili-Inseln als gesetzloser Ort.
       
       Auf dem indonesischen Festland kann ein Drogenhändler mit der Todesstrafe
       rechnen. Hier aber werben Bars mit „fresh magic mushrooms“. Einen Shot
       Crystal Meth gibt es hier für umgerechnet weniger als 3 Euro. Zwei privat
       angeheuerte Securitys patrouillieren auf jeder Insel, erklärt der
       Gemeindechef. Eine Polizei gibt es aber so wenig wie eine standardisierte
       Strafverfolgung. Es ist die Dorfgemeinschaft, die über die Bestrafung
       berät. Eine gängige Form ist der Walk of Shame. In einer öffentlichen
       Parade werden die Angeklagten der Gemeinschaft vorgeführt.
       
       Im Dezember mussten zwei Australier mit einem Schild „Ich bin ein Dieb“
       über Gili Trawangan laufen. Es waren nur Fremde, die vergangenes Jahr den
       Walk of Shame laufen musste. Die Einwohner selbst wären durch Rufmord genug
       gestraft, so erklärt es Muadz Bhojez und lehnt sich aus seinem hölzernen
       Stand. Erst auf den zweiten Blick sieht man das Schild „Tourist Office“.
       
       Durch seinen Job kennt Bhojez, Blümchenhemd und Sonnenbrille, beide Seiten:
       die Perspektive der Dorfbewohner und die der Touristen. Sieben Tage die
       Woche verkauft er Tickets. Die Arbeit heißt für ihn acht Stunden
       Dauergrinsen: „Es ist anstrengend, immer freundlich zu sein, obwohl man
       selbst Sorgen hat.“ Anders als für die Touristen bedeuten die Inseln für
       den jungen Vater nicht das Paradies, sondern Einkommen für die ganze
       Familie.
       
       ## Die touristische Leitkultur
       
       „Niemand kommt hierher, weil er auf Gili leben möchte“, sagt Bhojez und
       meint seine Landsleute. „Wir sind hier, weil die Touristen hier sind.“ Und
       die? „Weil sie sich hier wohlhabend fühlen können, anders als dort, wo sie
       herkommen.“ Einmal im Monat fährt der junge Vater in seine Heimat, „das
       Land der tausend Moscheen“.
       
       Auf Lombok gebe es eine Kultur, auf den Gilis nicht. Sein Blick haftet an
       einer Gruppe vorbeiziehender Mädchen in Shorts und Bikinioberteilen,
       während er versucht, die richtigen Worte zu finden: „Das ist einfach neu
       für viele“, sagt er schließlich. Ständig bekäme er von seinen Kunden Bier
       angeboten, „es wäre unhöflich, nein zu sagen“. Muslim auf den Gili-Inseln
       zu sein, sei schwierig. Dabei sind 90 Prozent der Inselbewohner gläubige
       Muslime.
       
       Auf Gili Air wird derzeit eine Mosche gebaut. Sie soll größer werden als
       jedes Hotel auf der Insel, als wäre es ein Wettkampf: Islam gegen
       Freizügigkeit. Seit dem großen Touristenboom gebe es an jeder Bar Alkohol,
       erklärt Bhojez. Für Touristen sogar an Ramadan – hinter verschlossener Tür
       auch für Muslime. Im Inneren der Inseln reihen sich Bikiniverbotsschilder.
       Die Bewohner seien sauer, aber sie möchten die Touristen nicht verlieren.
       
       ## Das Riff darbt
       
       Die Frage, wie die Gilis in den nächsten 20 Jahren aussehen werden,
       beantwortet Bhojez mit einer einzigen Handbewegung: zum Boden sinkenden
       Handflächen, „sie werden verschwunden sein“. Worüber die Dorfbewohner nur
       zögerlich sprechen, ist für die Langzeitbesucher längst evident: In den
       letzten 50 Jahren sind die Gili-Inseln um über dreißig Meter Strandradius
       geschrumpft. Der Meerespegel steigt – vor allem seit die Regierung 1998
       Teile des Riffs sprengte, als Zugang für immer größere Touristenboote.
       
       „Wir wissen nicht, was wir gegen das steigende Wasser tun können“, sagt der
       Gemeindechef. Die Antwort der lokalen Regierung auf das steigende Wasser
       ist eine provisorische Mauer. An vielen Orten steht bereits die dritte. Sie
       sollen die Wassermassen von den Gebäuden in Strandnähe abhalten. Im Grunde
       bewirken sie aber genau das Gegenteil: Sie ziehen den Sand ins Meer. Der
       Strand schrumpft weiter.
       
       „Das ist die indonesische Mentalität: heute zu leben, egal was in zwanzig
       Jahren passiert“, erklärt Delphine Robbe. Sie ist eine derjenigen, die über
       zehn Jahre den Anstieg des Meeresspiegels beobachtet. Sie kam 2004, als die
       Leute noch am Strand schliefen, weil es keine Hotels gab, die Gebäude noch
       einstöckig waren, der Strand ein gutes Stück breiter war. Es gab weder
       Strom noch Pizza, erzählt Robbe. Im Dorf ist sie bekannt als die
       „Ökokriegerin“. Delphine Robbe ist die Leiterin der Organisation Gili Eco
       Trust.
       
       Anfang des Jahres starben 40 Prozent des umliegenden Korallenriffs ab. Auf
       den Gili-Inseln sei die globale Erderwärmung nicht mehr abstrakt, sondern
       spürbar. Das Wasser ist 34 Grad warm, sichtbar als „gebleichter“
       Korallenschotter, der an den Strand gespült wird. Vor einem Poster voller
       Blau- und Grüntöne wie auf einer Malerpalette erklärt die Ingenieurin
       Delphine Robbe, wie ein gesundes Korallenriff aussieht. Weiß bedeutet
       einfach nur tot. Mit der sogenannten Biorock-Technologie versuchen sie und
       ihr Team die noch grünen Teile des Riffs zu regenerieren. Das Riff könnte
       die einzige Chance sein gegen das ansteigende Wasser.
       
       ## Ökologischer Tourismus?
       
       In der Studie „Is the Beachparty over?“ fragen sich die Forscher Mark und
       Joanna Hampton, wie lange sich der Tourismus noch halten wird. Die
       ungeplante Entwicklung des Tourismus habe schon lange die lokale Kapazität
       überstrapaziert. Allein an Silvester diesen Jahres feierten fast 15.000
       Besucher auf den Inseln. „Es sind einfach zu viele“, sagt Robbe. Während
       der Strand schwindet, türmen sich im Inneren der Inseln die Müllberge. Bis
       zu 20 Tonnen täglich quellen über die Mauern auf Ackerland, wo Kühe in den
       toxischen Essensresten grasen. Für die immer mehr werdenden Restaurants
       werden die Gewässer überfischt. Taucher, die auf dem Riff laufen, zerstören
       mit dem Riff das Ökosystem des Wassers, aber auch den einzig effektiven
       Schutzwall gegen die Flut.
       
       „Der Tourismus zerstört die Insel“, sagt Delphine Robbe. Gili Eco Trust
       fordert neben der inoffiziellen Religionspolizei eine Ökopolizei. Eine
       Umweltsteuer hat die Organisation schon eingeführt. Ein Teil der Hotel-
       oder Restaurantrechnung fließt in den Wiederaufbau des Riffs, noch
       freiwillig. In Bars gibt es Bier umsonst gegen einen Eimer gesammelten
       Mülls. Sie würde die Besucher gerne zu einem verantwortungsvollen Tourismus
       zwingen, sagt Robbe, als eine Erinnerung auf ihrem Handy aufpoppt: Im
       Jackpot sind heute 45 Millionen.
       
       Mindestens einmal im Monat spielt sie Lotto. „Ich brauche das Geld“, sagt
       sie, „für meinen Masterplan.“ Sie will die Insel zu einem weltweiten
       Beispiel machen, wie nachhaltiger Tourismus funktionieren kann. „Wenn die
       Insel im Arsch ist, könnte ich einfach abhauen“, sagt Robbe. In Frankreich
       würde sie eine gut bezahlte Stelle als Ingenieurin finden: „Aber wenn ich
       tatsächlich gehe, wird hier nichts Nachhaltiges passieren.“
       
       Anfangs wollten die Inselbewohner sie von der Insel werfen. Sie sagten, es
       sei nicht ihre Insel. Aber welche dann, fragte sie sich. Sie entschied sich
       dazu, die Gilis zu ihrem Zuhause auf Lebenszeit zu machen, für das sie sich
       verantwortlich sei. „Wir alle sind es“, fügt sie hinzu.
       
       20 May 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ann Esswein
       
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