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       # taz.de -- Koch Fabio Haebel über Nikkei-Küche: „Schon die Inkas aßen rohen Fisch“
       
       > 15.000 Kilometer Ozean trennen Japan und Peru, doch kulinarisch stehen
       > sie sich nahe, Nikkei nennt sich die Fusion ihrer Küchen. Fabio Haebel
       > erklärt, was das ist.
       
   IMG Bild: Ceviche ist das Signature Food der Nikkei-Küche
       
       taz.am wochenende: Herr Haebel, Nikkei ist gerade in aller Munde. Was
       können wir uns darunter vorstellen? 
       
       Fabio Haebel: Es ist die Verbindung von zwei ganz besonderen Küchen. Die
       japanische ist eine der aufwändigsten und sicherlich eine, vor der die
       Leute die größte Ehrfurcht haben. Das liegt auch daran, dass Köche in Japan
       Könige sind. Dazu die südamerikanische Küche, die so spannend ist, weil sie
       so artenreich ist. An wenigen Orten gibt es so viele unterschiedliche
       Sorten von Gemüse wie an der südamerikanischen Westküste, eben in Peru und
       Chile.
       
       Und wie kommt man darauf, die Küchen zu verbinden? Fusion-Küche ist doch
       out. 
       
       Der Unterschied ist: Nikkei hat eine Tradition. Es ist die Küche der
       japanischen Einwanderer in Peru. Viele sind Ende des 19. Jahrhunderts
       migriert, es waren Glückssucher. Es gab damals einen großen Goldrausch in
       Südamerika, vor allem in Peru. Doch die Einwanderer entdeckten bald, dass
       sie gegen die Peruaner kaum eine Chance hatten, an einen Claim zu kommen.
       Also gründeten sie Straßenküchen, sogenannte Bodegas oder Fondas.
       
       Und da gab es dann Nikkei-Küche? 
       
       Nicht im heutigen Sinne. Das Essen war anfangs traditionell peruanisch,
       aber mit japanischen Einflüssen. Mit der Zeit ist das immer mehr
       ineinandergeflossen, irgendwann so weit, dass die Menschen japanisch
       gekocht haben, aber mit Zutaten von vor Ort.
       
       Eine kulinarische Integrationsgeschichte. 
       
       Und eine Erfolgsstory. Nikkei breitet sich um die ganze Erde aus. In Europa
       war Ferran Adrià ein wichtiger Vorreiter …
       
       … der Gründer des legendären Restaurant „elBulli“, den man vor allem als
       Erfinder der Molekularküche kennt.
       
       Adrià ist ein großer Visionär. Er hat 2006 mit seinem Bruder Albert in
       Barcelona das Nikkei-Restaurant „Pakta“ aufgemacht. Das war der
       Startschuss. Ein großer Vorreiter war auch der japanische Koch Nobu
       Matsuhisa.
       
       Wie passen die Küchen Perus und Japans zusammen? 
       
       Die Überschneidungen sind, obwohl beide Länder 15.000 Kilometer Ozean
       trennen, relativ groß. Wir haben Reis, Soja, Mais, Zitronengras, die
       Vorliebe für Fleisch und viel Fisch, der auch roh zubereitet wird, eine
       Parallele zu Sushi. Insoweit hatten es die Japaner relativ leicht, die
       Peruaner zu überzeugen.
       
       Wie muss man sich die traditionelle Küche des Landes vorstellen? 
       
       Sehr vegetarisch geprägt. Das hängt damit zusammen, das die Leute kein Geld
       hatten und sich nicht viel leisten konnten – bis heute. Sie ist simpel und
       sehr bodenständig, die Grundlagen sind Mehl, Mais und Kartoffeln. Eine
       Delikatesse in den Straßenküchen sind Anticuchos, am Spieß gegrillte
       Rinderherzen.
       
       Und das haben die japanischen Köche aufgenommen? 
       
       Es gab einiges zu entdecken: Chili, Mais oder Kartoffeln. Auch Ceviche ist
       ein Produkt dieser Entwicklung. Schon die Inkas legten rohen Fisch in
       Limettensaft ein, die Japaner nahmen das auf, aber sie fügten
       beispielsweise noch Ingwer hinzu.
       
       Was passiert, wenn man rohen Fisch in Limettensaft mariniert? 
       
       Das ist eine Kaltgarmethode. Beziehungsweise eine Haltbarmachung. Die
       Zitronensäure denaturiert die Proteine ähnlich, wie es auch beim Kochen
       geschieht. Der Zitronensaft färbt sich mit der Zeit weißlich. Das nennt man
       dann Leche de Tigre …
       
       … übersetzt: Tigermilch. 
       
       Ja, denn es ist noch Chili im Spiel. Diese Tigermilch, die bei der Ceviche
       entsteht, ist eine wunderbare Zutat. In vielen Küchen wird sie aufgefangen,
       und mit Pisco – einem peruanischen Trauben-Destillat – als Drink serviert.
       Wie ein Digestif.
       
       Nikkei haben inzwischen viele Wirte in Deutschland entdeckt. 
       
       Ja, viele südamerikanische oder japanische Restaurants nehmen das gerade
       als Zusatz auf ihre Karte, wenigstens hier in Hamburg. Das ist doch etwas
       typisch für Deutschland: Sobald etwas auch nur ansatzweise Trend ist,
       kommen die Trittbrettfahrer. Ich nenne das Windschattenintelligenz. Aber
       nur weil ein Tex-Mex-Laden nun auch zwei Sushi-Rollen anbietet, ist das
       längst kein Nikkei.
       
       Sie stehen vor der Eröffnung eines Restaurants für Nikkei-Küche. Was
       fasziniert Sie daran? 
       
       Dass sie so abenteuerlustig und experimentierfreudig ist. Ich bin sicher,
       schon die original Nikkei-Küche ist mit der heutigen nicht mehr zu
       vergleichen. Sie hat sich über Generationen immer weiterentwickelt und ist
       etwas komplett Eigenständiges geworden.
       
       Es wird auch nicht mehr als Streetfood gekocht wie ursprünglich. 
       
       Nein, im Gegenteil: Nikkei ist heute ein Synonym für gehobene Küche, gerade
       hierzulande. Oft werden Luxuszutaten verwendet, was dem deutschen Gaumen
       entgegenkommt. Aber das wäre mir zu einfach.
       
       Nämlich wie? 
       
       Ich nehme das Konzept Nikkei als Denkanstoß. Nicht nur die peruanische
       Küche ist extrem spannend. Mexiko, Brasilien, Argentinien, wir werden
       sicher ein Auge auf den ganzen lateinamerikanischen Kontinent haben – und
       auf alles, was zwischen ihm und Japan liegt.
       
       In Ihrem bisherigen Restaurant sind Sie wesentlich bodenständiger. 
       
       Ich mache bisher Nordic French. Das spiegelt meine Wurzeln wider. Ich bin
       in am Kaiserstuhl geboren und mit der französischen Küche im Elsass
       aufgewachsen.
       
       Spielt auch Regionalität eine Rolle? 
       
       Definitiv. In beiden Restaurants. Wir arbeiten mit Süßwasserfischen und
       Muscheln hier aus dem Norden, verzichten also auf Lachs und Thunfisch. Den
       Kabeljau werde ich sicher vermissen. Aber mir ist wichtig, vom Großfang
       wegzugehen. Auch Wild wird eine große Rolle spielen. Wir haben einen großen
       Überbestand in Deutschland, und die Leute müssen sich einfach von dem
       Gedanken lösen, Wild nur im späten Herbst zu essen. Das ist nicht richtig.
       Am 10. Mai beginnt die Jagdsaison.
       
       7 May 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jörn Kabisch
       
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