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       # taz.de -- Urteil zu Leistungen für Ausreisepflichtige: Weniger als das Minimum
       
       > Das Bundessozialgericht entscheidet: Wer die eigene Abschiebung
       > verhindert, hat nur Anspruch auf das „unabweisbar Gebotene“.
       
   IMG Bild: Das Bundessozialgericht in Kassel
       
       Freiburg taz | Der Staat darf abgelehnten Asylbewerbern die
       Sozialleistungen kürzen, wenn sie ihre Abschiebung verhindern. Das hat am
       Freitag das Bundessozialgericht (BSG) entschieden. Die entsprechende
       Regelung im Asylbewerberleistungsgesetz verstoße nicht gegen das
       Grundgesetz. Betroffen sind wohl einige zehntausend ausreisepflichtige
       Ausländer.
       
       Geklagt hatte ein heute 49-Jähriger Mann, der 2002 nach Deutschland kam. Er
       sagte, er komme aus Kamerun und stellte einen Asylantrag, der 2004
       abgelehnt wurde. Seitdem ist er ausreisepflichtig. Kamerun würde ihn
       aufnehmen, wenn es einen Beleg gäbe, dass der Mann tatsächlich aus dem Land
       kommt. Er hat allerdings keinen Reisepass.
       
       Die deutschen Behörden forderten ihn seither 19 Mal auf, an der Beschaffung
       von Ersatzpapieren mitzuwirken. So könne er seine Exfrau bitten, ihm die
       Eheurkunde zu schicken. Oder er könne seinen Bruder bitten, eine
       Geburtsurkunde zu besorgen. Doch der Mann blieb untätig. Drei Mal wurde er
       in die Botschaft von Kamerun vorgeladen, damit ihm die Diplomaten Fragen
       stellen können. Zwei Mal sagte er kein Wort, beim dritten Mal kam er gar
       nicht.
       
       Der Mann lebt seit 2002 in einer Gemeinschaftunterkunft in Senftenberg
       (Brandenburg) und darf nicht arbeiten. Er hat keine Chance auf ein
       Bleiberecht und keine Perspektive in Deutschland. Er will aber auch nicht
       zurück in sein Herkunftsland. Gründe nennt er keine.
       
       ## Sachleistungen und Gutscheine
       
       Seit 2005 bekommt er wegen seiner mangelnden Kooperation nur noch
       „unabweisbar gebotene“ Sozialleistungen. Im Zeitraum 2013 bis 2015, um den
       konkret gestritten wird, erhielt er Sachleistungen und Gutscheine im Wert
       von monatlich 217 Euro. Gestrichen wurde ihm das sonst bar ausgezahlte
       „soziale Existenzminimum“ für Telefon, Verkehr, Medien und
       Freizeitaktivitäten in Höhe von 137 Euro.
       
       Sein Anwalt Volker Gerloff berief sich auf das Grundrecht auf
       „Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums“. Dieses hatte das
       Bundesverfassungsgericht 2012 postuliert. Damals wurden die Sätze des
       Asylbewerberleistungsgesetzes bis fast auf Hartz IV-Niveau erhöht.
       Begründung: Die Menschenwürde dürfe nicht aus migrationspolitischen Gründen
       relativiert werden. Dies gelte auch hier, so Gerloff.
       
       Das Bundesozialgericht lehnte die Klage aber ab. Die gesetzliche Regelung,
       die eine Kürzung der Leistungen erlaubt, sei verfassungskonform. Die
       Gewährung des vollen Existenzminimums dürfe an die Einhaltung gesetzlicher
       Mitwirkungspflichten gebunden werden. Es sei auch nicht verfassungswidrig,
       dass der Mann bereits seit 2005 abgesenkte Leistungen erhält. Er habe sein
       „missbräuchliches Verhalten“ schließlich jederzeit ändern können, so die
       Richter.
       
       Gegen diese Entscheidung ist noch Verfassungsbeschwerde möglich. Anwalt
       Gerloff will zunächst aber die Begründung des BSG prüfen.
       
       Az.: B 7 AY 1/16 R
       
       12 May 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Rath
       
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