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       # taz.de -- Abschiebungen nach Somalia: Was heißt schon freiwillig?
       
       > Millionen Somalier leben im Ausland. Der Druck heimzukehren, steigt. Das
       > bekommen auch Flüchtlinge in Deutschland zu spüren.
       
   IMG Bild: Straßenszene in der somalischen Hauptstadt Mogadischu nach einer Explosion im März dieses Jahres
       
       Berlin taz | Will Deutschland nach afghanischen Flüchtlingen bald auch
       somalische Schutzsuchende abschieben? Bisher haben die deutschen Behörden
       noch keine Somalier in das von Bürgerkrieg, Terror und Hunger zerrüttete
       Land am Horn von Afrika zurückgezwungen. Aber der Druck wächst. Immer
       häufiger werden Flüchtlinge aus Somalia aufgefordert, freiwillig
       zurückzukehren. Andernfalls würden sie in ihre Heimat oder einen anderen
       Staat abgeschoben, der sie aufnehmen will.
       
       Einer von denen, die jetzt in großer Sorge sind, ist der 18jährige Ahmed
       Muse in Berlin. Er berichtet, dass er als Kind von der – vor über einem
       Jahrzehnt in Somalia entstandenen – Terrormiliz al-Shabaab entführt und für
       den Kampf im „Heiligen Krieg“ militärisch ausgebildet worden sei. Mit
       seinem Bruder und anderen Kindersoldaten sei er jedoch bei seinem ersten
       militärischen Einsatz geflohen. Al-Shabaab habe ihn wieder eingefangen. Die
       meisten anderen der geflohenen Kindersoldaten seien erschossen worden.
       Davongekommen sei er nur, weil es gerade einen militärischen Angriff
       gegeben habe und er in dem Chaos weglaufen konnte. Nach drei Jahren in
       verschiedenen afrikanischen Staaten sei er in Deutschland gelandet, wo er
       seit 2015 lebt.
       
       Ahmed Muses Asylantrag wurde abgelehnt. Begründung: „Soweit der
       Antragsteller vorträgt, bei seiner Rückkehr nach Somalia könne er erneut in
       die Hände von al-Shabaab geraten und diese würden ihn töten, handelt es
       sich grundsätzlich um ein allgemeines Problem [. . .], welches jedoch nicht
       die asylrechtliche Erheblichkeitsschwelle überschreitet“, heißt es in
       seinem Asylbescheid.
       
       Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) räumt ein, dass in
       Somalias Hauptstadt Mogadischu 1.400 Zivilisten binnen sechs Monaten
       getötet wurden. Aber: „Bei Zugrundelegung einer Einwohnerzahl von einer
       Million und selbst unter Berücksichtigung einer hohen Dunkelziffer ist
       festzustellen, dass konfliktbedingte Ereignisse nicht so häufig sind, dass
       jeder Rückkehrer damit rechnen muss, Opfer willkürlicher Gewalt zu werden“,
       heißt es.
       
       ## Reaktionen sind oft Panik und psychische Probleme
       
       Ahmed Muse ist kein Einzelfall: Sein Landsmann Abdilkadir* soll ebenfalls
       aus Berlin nach Somalia zurückkehren. Er stamme aus einer wohlhabenden
       Familie, berichtet der junge Mann, und sei von al-Shabaab schwer gefoltert
       worden, um von ihm Geld zu erpressen. In seinem Asylbescheid heißt es, die
       Terrormiliz sei eine nichtstaatliche Organisation – und sein Schicksal
       daher nicht asylrelevant.
       
       Als Abdilkadir das Schreiben erhielt, reagierte er panisch, versuchte
       vergeblich, nach Großbritannien zu gelangen, kehrte schließlich aus
       Nordfrankreich nach Berlin zurück.
       
       Auch sein Landsmann Hassan Bashir*, der heute in Brandenburg lebt, hat bei
       seiner Asylanhörung berichtet, dass er von der Terrormiliz zwangsrekrutiert
       und dort gefoltert worden sei. In seinem Ablehnungsbescheid heißt es:
       „Al-Shabaab dürfte grundsätzlich kein großes Interesse daran haben,
       unbedeutende Flüchtlinge aufzuspüren und zu bestrafen.“
       
       Hassan Bashirs Anwältin Oda Jentsch hat in den letzten Monaten mehrere
       solche Fälle erlebt – und die Folgen für die Betroffenen beobachtet: „Die
       Mandanten reagieren panisch und werden psychisch krank“, berichtet sie. Das
       beträfe nicht nur die Männer, die von der Terrormiliz zwangsrekrutiert
       wurden. Jentsch weiß auch von Frauen, die vergewaltigt und
       zwangsverheiratet wurden.
       
       ## „Nichts anderes gelernt als Asylanträge abzulehnen“
       
       Abgelehnte Asylanträge sind in der Regel mit der Aufforderung zur Ausreise
       verbunden – und zugleich wird die Abschiebung angedroht, sollte man nicht
       von selbst gehen. Dieses Vorgehen entspreche der Rechtslage, erklärt eine
       Sprecherin des Bundesinnenministeriums. Zwar fänden „derzeit keine
       Rückführungen nach Somalia“ statt, man fördere aber freiwillige Rückkehrer.
       Das seien im vergangenen Jahr 22 und in diesem Jahr 3 Personen gewesen.
       
       Wie die Bundesländer mit Somaliern verfahren, die nicht als Flüchtlinge
       anerkannt werden, ist unterschiedlich: Mancherorts kürzen die Behörden die
       Sozialleistungen von 409 auf 201 Euro monatlich. In einem anderen Fall
       gewährte das Bundesamt einem Somalier zwar nicht Asyl, sprach aber in dem –
       der taz vorliegenden – Ablehnungsbescheid zugleich ein Abschiebeverbot aus.
       Begründung: In Somalia herrsche Anarchie und Terror.
       
       Warum urteilen die Behörden mal so und mal so? Bernd Mesovic von Pro Asyl
       sieht ein Problem in der unterschiedlichen Qualifikation der Mitarbeiter
       des Bundesamts: „Da ist vieles im Moment außer Rand und Band. Einige neu
       eingestellte Mitarbeiter wurden zuerst für Balkanflüchtlinge eingesetzt und
       scheinen nichts anderes gelernt zu haben, als Asylanträge abzulehnen. Das
       wichtigste Ziel im Bundesamt ist es zurzeit, viele Asylanträge bis zu den
       Bundestagswahlen zu entscheiden. Dabei gibt es viel Schlamperei.“ Eine
       freiwillige Rückkehr hält Mesovic für ausgeschlossen: „Da wirkt die
       Terrormiliz. Es gibt keinen Staat. Und Somalia ist eine extreme
       Clan-Gesellschaft. Man kann nicht ohne Gefahr durch fremde Clan-Gebiete
       reisen, geschweige denn sich dort niederlassen.“
       
       Auch die Bundestagsabgeordnete Luise Amtsberg (Grüne) hält es für
       unverantwortlich, Somalier zur „freiwilligen“ Ausreise zu drängen: „Neben
       der dramatisch schlechten Sicherheitslage in dem Land sind nach Angaben der
       UN über 6 Millionen Menschen in Somalia auf humanitäre Hilfe angewiesen.
       Das ist mehr als die Hälfte der Bevölkerung. Zehntausende Menschen sind
       akut vom Hungertod bedroht, denn in dem Land herrscht eine anhaltende
       Dürre.“
       
       11 May 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Marina Mai
       
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