URI: 
       # taz.de -- CDU, Grüne und FDP vor der NRW-Wahl: Sicher ist nichts, Distanzierung ist alles
       
       > Die CDU hofft auf die Wähler in der Provinz. Die Grünen besinnen sich auf
       > die linksliberale Kernklientel. Die FDP will in den Bundestag.
       
   IMG Bild: Die Noch-Ministerpräsidentin hat Konkurrenz bekommen
       
       Womit lassen sich WählerInnen in Nordrhein-Westfalen jetzt noch überzeugen?
       Was CDU, FDP und die Grünen des Landes derzeit vorhaben.
       
       ## CDU: Der Herausforderer
       
       Spitzenkandidat Armin Laschet hofft auf die Wähler in der Provinz – und
       warnt davor, Stimmen an die FDP zu verschenken. 
       
       Beverungen taz | Wenn sich CDU-Herausforderer Armin Laschet wohlfühlen
       will, fährt er in die Provinz. In den Großstädten an Rhein und Ruhr, in
       Köln, Duisburg oder Dortmund ist für seine Christdemokraten wenig zu holen.
       Im ostwestfälischen Beverungen aber, direkt an der Weser an der Grenze zu
       Niedersachsen, ist die Stadthalle bei seinem Wahlkampfauftritt voll –
       schließlich hat Laschet Kanzlerin Angela Merkel im Schlepptau.
       
       Pflichtschuldig geht Merkel mit Nordrhein-Westfalens Landesregierung hart
       ins Gericht. Der Landesentwicklungsplan, mit dem der grüne Umweltminister
       Johannes Remmel die Flächenversiegelung stoppen will, schade „der
       Wirtschaft“ und damit allen Bewohnern des „ländlichen Raums“, klagt sie –
       dabei wird in NRW täglich die Fläche von 14 Fußballplätzen zubetoniert.
       Überhaupt, mehr Beton: Wegen fehlender „baufähiger Projekte“ schaffe es
       Nordrhein-Westfalens staugeplagter SPD-Verkehrsminister Mike Groschek nicht
       einmal, alle dem Land zustehenden Straßenbaumittel in Berlin abzurufen. Das
       ist ein Vorwurf, den die Landesregierung allerdings vehement bestreitet.
       
       Überdecken soll die Klage der Kanzlerin jedoch vor allem, wie sehr die
       Politik ihres Parteifreunds Laschet der von Ministerpräsidentin Hannelore
       Kraft ähnelt. In der Energiepolitik setzt der CDU-Mann wie die
       Sozialdemokratin weiter auf Kohlekraftwerke, in der Bildungspolitik auf die
       Wahlfreiheit zwischen dem Abitur nach acht oder neun Jahren. Zur
       Profilierung nutzt CDU-Mann Laschet vor allen das Thema Sicherheit. Immer
       wieder kritisiert er Noch-Innenminister Ralf Jäger von der SPD: Der sei
       nicht nur für hohe Einbruchszahlen, sondern auch für den Terroranschlag des
       in NRW registrierten Anis Amri auf den Weihnachtsmarkt am Berliner
       Breitscheidplatz verantwortlich.
       
       Helfen soll dabei der konservative CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach –
       dabei hat der längst erklärt, aus Krankheitsgründen keinesfalls Minister
       werden zu wollen.
       
       Laschet selbst gilt gerade vielen Konservativen schlicht als zu „lasch“. In
       seiner Partei wird der einstige Integrationsminister noch immer
       „Türken-Armin“ genannt – freundlich ist das nicht gemeint. Laschet weiß,
       dass es für ihn knapp wird. Nicht umsonst warnt er davor, FDP zu wählen:
       „Es geht um jede Stimme.“
       
       ## Die Grünen: Bloß nicht Jamaika?
       
       Die NRW-Ökopartei besinnt sich auf ihre linksliberale Kernklientel – und
       schließt kurz vor der Wahl eine Koalition mit CDU und FDP aus. 
       
       Bochum taz | Das Versprechen der Grünen ist klar: Wer sich bei der NRW-Wahl
       am 14. Mai für die Ökopartei entscheidet, landet nicht mit Christdemokraten
       und der wirtschaftsliberalen FDP in einer Regierung. „Keine Option für NRW“
       sei ein solches Bündnis, versichert nicht nur die grüne Spitzenkandidatin,
       die amtierende Vizeministerpräsidentin Sylvia Löhrmann. „Es wird in NRW
       keine Jamaika-Koalition geben“, twitterte auch Landesparteichef Sven
       Lehmann.
       
       Allerdings: Auf einen Lagerwahlkampf setzen die Grünen erst seit gut zwei
       Wochen. Zuvor waren sie in Umfragen abgestürzt: Bis in den Januar hinein
       prognostizierten die ein zweistelliges Ergebnis, dann ging es abwärts – am
       25. April drohte sogar die Fünfprozenthürde. Löhrmann erteilte daraufhin
       CDU-Mann Armin Laschet eine Absage: „Wir wollen nicht mit ihm in die
       Regierung“, erklärte sie.
       
       Untermauern sollte diese Haltung auch ein Beschluss eines kleinen
       Parteitags am Sonntag in Bochum – doch der fiel weniger deutlich aus: Zwar
       betonten die Grünen darin einstimmig, der klima- und umweltfeindlichen
       Politik Laschets und der „marktradikalen FDP“ unter Christian Lindner
       „nicht zur Macht verhelfen“ zu wollen. Glaubhaft schien das vielen aber
       nicht: Zuvor hatte sich Löhrmann wie viele andere NRW-Grüne jede
       Regierungsoption jenseits der AfD offenhalten wollen.
       
       Grüne Realos sagen, der jüngste Beschluss diene vor allem „strategischen“
       Zwecken. Sollten CDU und FDP ihren Kurs nach der Wahl ändern, seien
       zumindest Gespräche möglich. Überhaupt trage der linke Parteiflügel Schuld
       am Absturz: Abgesackt sei die Partei erst nach der Kritik der
       Bundesvorsitzenden Simone Peter am Silvestereinsatz der Polizei in Köln am
       Jahreswechsel 2015/16: Nach den massiven sexuellen Übergriffen auf Frauen
       zwölf Monate zuvor hatte die Parteilinke geklagt, die Beamten
       diskriminierten Menschen mit Migrationshintergrund nun durch Racial
       Profiling.
       
       Nun setzen die Grünen wieder auf ökologische Kernthemen. Allein in NRW will
       ihr Umweltminister Johannes Remmel zehn der klimaschädlichsten
       Kohlekraftwerke abschalten. Unter dem Label unter dem Motto „NRWagen“
       sollen Entwicklung und Bau eines Elektroautos gefördert werden. Im
       Bahnverkehr setzt die Partei auf ein landesweit gültiges 2-Euro-Ticket. Die
       Grünen fordern auch, die maroden belgischen Atomkraftwerke Tihange und Doel
       abzuschalten.
       
       Mit wem aber wollen die Grünen ihre Politik realistischerweise umsetzen?
       FDP-Chef Lindner hat eine Ampelkoalition ebenso kategorisch ausgeschlossen
       wie die Grünen Jamaika. Immerhin: Geschadet hat der Ökopartei ihr Weckruf
       nicht. Der Wiedereinzug in den Landtag scheint gesichert.
       
       ## FDP: Auf dem Sprung nach Berlin
       
       Über den Umweg Nordrhein-Westfalen will Christian Lindner seine Partei
       wieder in den Bundestag bringen. Im Programm: nichts Neues. 
       
       Düsseldorf taz | Einer der Sieger der Landtagswahlen vom kommenden Sonntag
       wird in jedem Fall FDP heißen, so viel scheint klar. Möglich macht das der
       Bundesvorsitzende der Wirtschaftsliberalen, Christian Lindner. Mit 4,8
       Prozent ist die FDP 2013 aus dem Bundestag geflogen. Jetzt will er seine
       Partei auch deutschlandweit wieder an die Macht bringen: In bundesweiten
       Umfragen rangiert die FDP bereits wieder zwischen 6 und 7 Prozent.
       
       Bereits seit Anfang April tourt der 38-jährige Politiker, der mit 21
       erstmals in den Düsseldorfer Landtag einzog und vom damaligen
       FDP-Landeschef Jürgen Möllemann leicht spöttisch „Bambi“ genannt wurde,
       durch das Land. Dass er nach seinen vielen Wahlkampfauftritten müde wirke,
       wisse er selbst: Dieser Hinweis durfte bei keiner von Lindners
       Publikumsansprachen fehlen.
       
       Auch in Wahlkampfspots kultiviert Lindner das Image eines Mannes, der sich
       gegen jeden Widerstand durchsetzt. „Haben sie mal was gemacht, von dem sie
       überzeugt waren, das es richtig ist“, fragt er in einem ultraschnell
       geschnittenen Clip in dramatischem Schwarz-Weiß, in dem er auch im
       unterhemdartigen T-Shirt zu sehen ist und der mehr als 700.000 Mal
       angeklickt wurde. Egal ob „Schulen“, „Steuern“, „Digitalisierung“ oder
       „Bürokratismus“: Entsprechend der Sehgewohnheit jüngerer WählerInnen
       reduziert der FDP-Chef komplexe Themen in nur einer Minute und 27 Sekunden
       auf einzelne Schlagworte – erweckt dabei aber den Eindruck, er
       repräsentiere eine Art Common Sense, den zumindest hart arbeitende Leute
       einfach teilen müssen.
       
       Dabei hat die FDP inhaltlich kaum Neues anzubieten, was über die
       Marktradikalität und Elitenfreundlichkeit von Lindners Vorgänger Guido
       Westerwelle hinausgeht. Lindner will die Steuern gerade für Häuslebauer
       senken: Die Belastung mittlerer Einkommen sei „regelrecht im Sozialismus
       angekommen“, klagt er. In der Bildungspolitik steht die Bevorzugung des
       Gymnasiums im Programm, Klimaschutz wird vor allem als Bremse für die
       Wirtschaft wahrgenommen. Fallen soll deshalb nicht nur in NRW „rot-grüne
       Bürokratie“: Von der „Hygiene-Ampel“, an der KundInnen schnell erkennen
       sollen, wie sauber ein gastronomischer Betrieb arbeitet, will die FDP
       ebenso wenig wissen wie von Tariftreuegesetzen, die eine faire Bezahlung
       von ArbeitnehmerInnen zumindest bei öffentlichen Aufträgen sichern sollen.
       
       Wer soll diese Politik durchsetzen? Lindner selbst präsentiert sich an
       Rhein und Ruhr als eine Art politischer Untoter. Nach einem Wiedereinzug in
       den Bundestag am 24. September will er auf jeden Fall nach Berlin wechseln.
       Seinen designierten Statthalter, Landtagsfraktionsvize Joachim Stamp,
       kennen nur Polit-Insider. Allerdings: Mag Lindner auch bereits von einem
       Sitz in der Bundesregierung träumen – Stamp sieht er in NRW sowieso in der
       Opposition: „Wahrscheinlichstes Ergebnis“ der Landtagswahl sei eine Große
       Koalition, verkündet der FDP-Chef sei Wochen.
       
       12 May 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Wyputta
       
       ## TAGS
       
   DIR Landtagswahl Nordrhein-Westfalen
   DIR Nordrhein-Westfalen
   DIR Armin Laschet
   DIR Sylvia Löhrmann
   DIR Christian Lindner
   DIR Hannelore Kraft
   DIR Bündnis 90/Die Grünen
   DIR NRW
   DIR Landtagswahl Nordrhein-Westfalen
   DIR Jamaika
   DIR Schwerpunkt Landtagswahlen
   DIR Landtagswahl Nordrhein-Westfalen
   DIR Sylvia Löhrmann
   DIR Schwerpunkt Landtagswahlen
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Die Grünen nach der NRW-Wahl: Schnell das Krönchen richten
       
       Spitzenkandidatin Göring-Eckardt bemüht sich nach dem Wahldesaster in NRW
       darum, heitere Gelassenheit zu demonstrieren. Ob das reicht?
       
   DIR Drei Liebeserklärungen an NRW: „Nur rumsitzen ist nix für uns“
       
       Gemeinschaftsgefühl trotz Bindestrich, rheinische Heiterkeit und
       Erinnerungen ans Herrengedeck.
       
   DIR Hannelore Krafts NRW-Wahlkampf: Nah bei den Leuten
       
       In der westfälischen Provinz pflegt die Ministerpräsidentin ihr Image als
       Kümmerin. Ob das aber reicht? Sie scheint selbst zu zweifeln.
       
   DIR Pro & Contra Schwarz, Grün, Gelb: Wollen wir Jamaika?
       
       Schleswig-Holstein hat gewählt: Eine mögliche Kombination wäre jetzt
       Schwarz-Grün-Gelb. Können wir diese Koalition wollen?
       
   DIR Kommentar Wahl in NRW: Riecht nach Angst
       
       Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin in NRW, hat der Linken nicht zum
       ersten Mal eine klare Absage erteilt. Diesmal wirkt sie aber seltsam.
       
   DIR NRW-Innenminister Ralf Jäger: Die Belastung
       
       Viele Skandale fallen in seine Amtszeit, zum Beispiel die Kölner
       Silvesternacht. Ralf Jäger befindet sich in der Defensive und setzt dennoch
       auf Angriff.
       
   DIR Vor der Landtagswahl in NRW: Grüne öffnen die CDU-Tür
       
       Die Grünen schließen eine Koalition mit der FDP kategorisch aus. Eine
       Zusammenarbeit mit der CDU soll aber denkbar bleiben.
       
   DIR TV-„Wahlarena“ in NRW: Buhrufe für die AfD
       
       Eine Diesel fahrende Grüne, ein nachdenklicher Pirat, ein nervöser
       Rechtspopulist: Zehn Tage vor der Landtagswahl in NRW wird es im TV
       spannend.