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       # taz.de -- 25 Jahre Münchener Flughafen: Protest beim Jubelfest
       
       > Vor 25 Jahren wurde der neue Münchner Flughafen mit zwei Startbahnen
       > eröffnet. Kommt eine dritte? Die CSU feiert den Airport, Gegner
       > demonstrieren.
       
   IMG Bild: Keine Lust zu feiern – Startbahngegner Christian Magerl im Erdinger Moos
       
       Berglern/Freising/München taz | Kurz vor Freising biegt Christian Magerl
       rechts ab, steuert den VW Touran in einen Feldweg. Magerl kommt vom
       politischen Frühschoppen in Berglern. Das Thema: Flughafen. Dritte
       Startbahn. Mal wieder. Jetzt will er noch schnell etwas zeigen. Vor einem
       vier Meter hohen Holzkreuz hält er an. Zwei Rehe springen davon.
       
       Kreuze in der bayerischen Landschaft sind nichts Ungewöhnliches. Dieses
       schon. Magerl steigt aus, will erklären, was es damit auf sich hat. Er hält
       inne, zeigt auf einen dunklen Punkt, der sich vor dem Radarturm bewegt. „Da
       ist eine Bekassine“, sagt er dann. „Eine Schnepfenart“, erklärt Magerl.
       „Die ist hier äußerst selten.“
       
       Seit fünfzig Jahren beobachtet Magerl Vögel, er hat über Singvögel im
       nordöstlichen Erdinger Moos promoviert. Er ist Landtagsabgeordneter von
       Bündnis 90/Die Grünen, mischt beim BUND Naturschutz mit und hat gegen Bau
       und Ausbau des Münchner Flughafens gekämpft wie kaum ein anderer. Er ist
       61, das Kopfhaar noch dunkel, der Bart schon grau. Ein paar Meter von hier
       soll die geplante dritte Startbahn enden. Oder beginnen. Wie man’s nimmt.
       Ob die Bahn wirklich kommt, ist offen.
       
       Während Freistaat und der Betreiber FMG den 25. Flughafengeburtstag feiern,
       haben die Anwohner eine Botschaft ins Feld geschrieben. Wer von Osten
       anfliegt, kann sie lesen – in zwölf Meter großen, orangefarbenen Lettern:
       No 3. Runway. Am 17. Mai, dem Flughafengeburtstag, werden sie zudem eine
       Mahnwache vor der Allerheiligen-Hofkirche in der Münchner Residenz
       abhalten, während gleichzeitig drinnen der Flughafen gepriesen wird.
       
       ## „Absiedlung“ heißt das
       
       Magerl dreht sich um und deutet auf ein Haus, es steht etwa 100 Meter
       hinter dem Kreuz. „Das erste Gehöft von Attaching.“ Der Freisinger Ortsteil
       wäre von der dritten Startbahn besonders betroffen. Nach Kerosin riecht es
       dort schon jetzt. In 70 Metern Höhe würden die Maschinen über ihre Häuser
       donnern, sagen die Anwohner. 500 Mal am Tag. Bis zu 300 Menschen, so die
       Schätzung, müssten umziehen. „Absiedlung“ heißt das. Ihren Unmut haben die
       Attachinger auf Transparente gemalt, die an Zäunen und Hauswänden hängen:
       „Hier wird Attaching zerrissen“, steht da. Oder: „Wer jetzt noch schläft,
       schläft bald nicht mehr.“
       
       Begonnen hat der Streit 2007. Damals wurde ein Planfeststellungsverfahren
       eingeleitet. Mit seinen zwei Bahnen, hieß es, sei der Flughafen dem
       Flugverkehr bald nicht mehr gewachsen. Vier Jahre später gab die Regierung
       von Oberbayern ihren Segen. Die Flughafengegner reagierten mit einem
       Bürgerbegehren – in München. Die Landeshauptstadt hält 23 Prozent der
       Anteile am Flughafen und hat de facto ein Vetorecht. Am 17. Juni 2012
       stimmten die Münchner beim Bürgerentscheid gegen den Bau. Juristisch
       verbindlich war der Entscheid zwar nur für ein Jahr, doch Oberbürgermeister
       Dieter Reiter (SPD) fühlt sich dem Votum noch verpflichtet.
       
       2015 bekam Attaching hohen Besuch: Horst Seehofer. „Wenn ich auf die Zahl
       der Flugbewegungen schaue“, sagte der Ministerpräsident vor
       Flughafengegnern, „dann kann man jedenfalls für den Augenblick feststellen,
       dass sich aus der Zahl der aktuellen Flugbewegungen die Notwendigkeit einer
       dritten Startbahn nicht ergibt.“
       
       ## Seehofer: „Die Zahl der Flugbewegungen steigt“
       
       Ein Jahr später – in der CSU-Fraktion hatte mittlerweile eine
       Unterschriftenliste für den Bau der Startbahn kursiert – sagte Seehofer in
       einer Regierungserklärung: „Die Zahl der Flugbewegungen steigt.“ Der
       Zeitpunkt sei gekommen, über den Bau der dritten Startbahn zu reden.
       
       Was die Landeshauptstadt beim Flughafen mitzureden habe, will Erwin Huber
       nicht einleuchten. „Wir werden uns nicht auf Dauer von München aufhalten
       lassen.“ Huber sitzt in seinem Büro im Maximilianeum. Er gehört zu den
       dienstältesten Abgeordneten, war mal CSU-Chef. Schon in den Achtzigern war
       er Berichterstatter zum Thema Flughafen.
       
       Während er spricht, schaut er konzentriert auf die Tischplatte. „Wer die
       dritte Startbahn ablehnt, der führt ein bewusstes Abbremsen der Entwicklung
       herbei“, sagt er. Im globalen Wettbewerb seien schnelle Verbindungen das A
       und O. Die Flughafengegner argumentierten ja immer, es gebe bei der Zahl
       der Flugbewegungen noch Luft nach oben. Die gebe es aber nicht zu den
       Hauptverkehrszeiten.
       
       ## Maximal 480.000 Flugbewegungen
       
       Beim Frühschoppen in der Sportgaststätte von Berglern argumentiert
       Christian Magerl tatsächlich mit der „Luft nach oben“: Die maximale
       Kapazität liege bei 480.000 Flugbewegungen, das sei mehr als die Auslastung
       der fünf größten Flughäfen Europas. In London Heathrow reichten zwei
       Bahnen, um insgesamt 75 Millionen Passagiere abzufertigen. Und in Gatwick
       seien es so viele Passagiere wie in München – bei nur einer Bahn.
       
       Den Vortrag hält Magerl nicht zum ersten Mal, alle paar Wochen wird er
       angefragt. Seine Powerpoint-Präsentation bringt er regelmäßig auf den
       neuesten Stand. Er spricht von Lärmbelästigung, Naturzerstörung,
       Erkrankungen. Das neueste Schlagwort ist „Ultrafeinstaub“. Der soll für die
       menschliche Lunge weit gefährlicher sein als Feinstaub, aber die Messung
       ist schwierig, Grenzwerte gibt es keine.
       
       Eine Folie zeigt die Entwicklung des Flugaufkommens. Es wächst sehr viel
       langsamer als die Zahl der Passagiere, stattdessen wachsen die Maschinen.
       Neues Futter liefert Magerl ein Gerichtsentscheid aus Österreich. Auch in
       Wien-Schwechat wollte man eine dritte Piste. Das Projekt wurde vom
       Bundesverwaltungsgericht gestoppt. Als Grund nannten die Richter die
       negativen Folgen für das Klima.
       
       ## Zubetonierter Tegernsee
       
       Außerdem, schimpft Magerl, sei das ganze Wachstum doch gekauft. Fast 300
       Millionen Euro habe die Betreibergesellschaft FMG seit 2005 ausgegeben, um
       mit Zuschüssen Flugverkehr nach München zu locken. Am Ende wirft er noch
       ein Bild des Tegernsees an die Wand. Er lehnt sich aufs Pult. „Würden Sie
       den zubetonieren?“ Genauso groß sei die Fläche, die der dritten Startbahn
       weichen müsste.
       
       „Da ist wieder einer.“ Herbert Knur, Polohemd, graues, leicht gewelltes
       Haar, sitzt in der Küche seines Einfamilienhauses und beobachtet Flugzeuge.
       Knur wohnt in Berglern. In 400 Metern Entfernung passieren die landenden
       Maschinen das Haus. Knur schaut nicht aus dem Fenster, nur auf sein
       Smartphone; er hat die App „Flightradar24“ geöffnet. „Der kommt aus
       Moskau“, sagt Knur. „Ein Airbus A320.“
       
       Berglern, eine unspektakuläre Gemeinde – knapp 3.000 Einwohner. Kirche,
       Sportplatz, Raiffeisenbank, rundherum blühender Raps. Alle zwei Stunden
       kommt ein Bus aus Erding. Die dritte Bahn würde noch zwei Kilometer näher
       an den Ort rücken als die bisherige Nordbahn. Zwei Kruzifixe hängen in
       Knurs Küche, auch die Mutter Gottes, in der Diele die gerahmten
       Auszeichnungen aus einem Politikerleben. 24 Jahre lang war Knur
       Bürgermeister von Berglern.
       
       ## Der Seehofer-Geschädigte
       
       Bei geschlossenem Fenster hört man die Wanduhr ticken, schon vor Jahren
       haben die Knurs Schallschutzfenster einbauen lassen. „Ich ärgere mich vor
       allem im Sommer, wenn ich ein Fußballspiel anschauen möchte, draußen ist es
       warm, aber ich muss die Terrassentür zumachen, weil sonst nichts zu hören
       ist. Oder wenn mich um 5 Uhr in der Früh eine Maschine weckt.“ Irgendwann
       hat sich Knur angewöhnt, um 5 Uhr aufzustehen und joggen zu gehen.
       
       Der 70-Jährige reibt sich das Kinn. „Ich bin ja ein Seehofer-Geschädigter.“
       Kurz nach dessen Amtsantritt 2008 habe er mit ihm gesprochen. Seehofer habe
       sich die Argumente gegen die Startbahn angehört und versprochen, auf jeden
       Fall noch mal mit Bürgermeister Knur zu sprechen, bevor etwas entschieden
       werde. Als der dann am Rande eines Bezirksparteitags 2011 erfuhr, dass die
       Entscheidung gefallen sei, war es aus. Knur trat aus der CSU aus – und mit
       ihm die meisten Mitglieder des Ortsverbands.
       
       „Jetzt hört man wieder einen. Der kommt aus Wien.“
       
       ## Das verwitterte Kreuz
       
       Ach ja, das Kreuz. Christian Magerl erzählt nun seine Geschichte. Vor zehn
       Jahren haben sie es hier aufgestellt. Grau ist es inzwischen, verwittert.
       „Das haben wir g’scheit einbetoniert“, sagt er. Sprich: Wer hier eine
       Startbahn baut, muss ein geweihtes Kruzifix fällen. Und zuvor muss er den
       BUND Naturschutz enteignen.
       
       Denn dem gehört das Grundstück entlang des Feldwegs. 800 Quadratmeter sind
       es vielleicht. Nicht viel, aber genug. Für die neue Startbahn braucht der
       Flughafen das Land. Das Grundstück gehörte einmal zwei Brüdern, Bauern aus
       der Umgebung. Doch dass es ihnen gehörte, wussten sie nicht – bis die
       Anfrage kam, ob sie nicht Lust hätten, es dem Flughafen zu verkaufen.
       Hatten sie nicht. Sie schenkten es dem BUND Naturschutz.
       
       Ein langgezogenes „Ziiep“ ertönt. Der Balzgesang des Wiesenpiepers.
       
       17 May 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dominik Baur
       
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       Im Saal gab es Tumulte.